Mächtig oder ohnmächtig - Medien im Transformationsprozess

Seminarvortrag zum staatlichen Nachrichtenmonopol in der DDR

Als sich der eiserne Vorhang öffnete, war nicht nur die Sicht in den Westen frei, sondern es stand auch der Weg zur Demokratie offen. Das galt einerseits für die Politik und ermöglichte es andererseits den Medien, unabhängig zu werden. Wie der Wandel zu einer demokratischen Regierung auszusehen hat, ist relativ klar definiert - zum Beispiel durch freie Wahlen. Die Transformation der Medien von einem politischen Instrument zu einer unabhängigen Instanz ist weitaus schwieriger. Welche Rolle spielten die Medien selbst in diesem Prozess? Waren sie der Motor oder nur ein Objekt? Mit diesen Fragen beschäftigte sich ein Seminar für tschechische und deutsche Studenten in Prag.

Am Beispiel von Tschechien und Ost-Deutschland beschäftigte sich das Seminar 'Transformation der Medien' mit deren Rolle im politischen und gesellschaftlichen Wandel. Die Ausgangssituation beider Länder war dieselbe: Das Ende des Sozialismus war auch das Ende der Parteiorgane im Rundfunk- und Zeitungsbereich. Die Transformation an sich verlief aber in beiden Ländern unterschiedlich. Zu möglichen Gründen äußert sich Helena Tovardkova, Seminarteilnehmerin und Studentin aus Brünn:

"In Deutschland gab es die Möglichkeit, sich an etwas anzulehnen. Es gab ein kommerzielles Milieu. Wir in Tschechien hatten weder einen großen Bruder noch sonstige Vorbilder. Wir sind aus etwas hervorgegangen, das sehr verzerrt war, nämlich dem sozialistischen Journalismus. Daraus einen demokratischen Journalismus zu bilden, war sehr schwierig. Es gab hier keine Leute, die dazu imstande waren."

Und heute, fast 18 Jahre nach diesem Wandel, zeigt sich tatsächlich ein wesentlicher Unterschied im Verhalten der Medien. Die Seminarteilnehmer besuchten ARD-Hörfunk-Korrespondent Peter Hornung in seinem Studio in Prag. Er arbeitet seit 2002 in Tschechien. Nach der Diskussionsrunde fasste Hornung seine Eindrücke zur tschechischen Medienlandschaft zusammen:

"Es gibt hier einen Mangel an politischer Debattenkultur, was sich auch in den Medien wiederspiegelt. Es gibt in Deutschland immer wieder politische Debatten, die sich durch alle Medien ziehen und in allen Facetten beleuchtet werden. Solche Debatten gibt es hier nicht. Hier gibt es nur Scheindebatten, aber die tatsächlichen Probleme werden nicht diskutiert. Die werden weder im Politischen, noch in den Medien besprochen. Das ist ein großer Unterschied."

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In diesem Zusammenhang beobachtet Hornung auch eine zunehmende Boulevardisierung der Medien. So würde man hier gerne aus einer Mücke einen Elefanten machen und lieber eigentlich Nebensächliches zu Skandalen hochstilisieren, anstatt über politische Inhalte zu berichten. Wahrscheinlich ist es eine Frage der Zeit, bis sich der Wandel auch in den Köpfen der Mediennutzer und Medienmacher vollzieht. Denn die Transformation ist ein vielschichtiger und langwieriger Prozess, findet Joachim Dethlefs, Seminarteilnehmer und Student aus Hamburg:

"Ich glaube, es gibt einzelne Medien, welche die Transformation mitragen. Auf jeden Fall sieht man an den Rundfunkstationen und Zeitungsredaktionen sehr gut, wie sich ein Land transformiert. Zuerst wird durch sie das alte politische System verkörpert: in ihren Strukturen und durch die Charaktere der Mitarbeiter. Und dann findet in der Regel kein glatter Bruch statt, also kein Wechsel von heute auf morgen. Das war weder hier noch in der DDR so. Sondern im Zuge der Transformation wechseln die Führungskräfte und dann - im Laufe von mehreren Jahrzehnten - die Mitarbeiter. Sodass die Transformation an sich Jahrzehnte dauert, bis sie abgeschlossen ist."

Da die Medien also unmittelbar mit in diesen Wandel involviert waren und sind, stellt sich die Frage, welche Rolle sie selbst in dem Prozess der Transformation gespielt haben. Waren sie ein Motor, also unmittelbar beteiligt an den Umbrüchen, oder waren sie nur ein Objekt von vielen, das sich erst im Nachhinein angepasst hat? Dazu noch einmal Peter Hornung:

"Ich glaube nicht, dass die Medien eine treibende Rolle gespielt haben. Die Medien hier in diesem Land sowieso nicht, auch nicht nach dem Regimewechsel, also nach der Wende. Ich glaube aber, dass die Medien eine große Rolle einnehmen sollten bei der Herausbildung einer Zivilgesellschaft, die in diesem Land noch unterentwickelt ist, wie in anderen Ländern Mittel- und Osteuropas. Eben weil die Medienlandschaft hier unterentwickelt ist und der Journalistenberuf nicht die Anerkennung hat die er haben sollte. Denn die Auswahlkriterien, die ethischen Kriterien - also die Basics - für Journalisten, sind nicht die, die sie sein sollten."

Der tschechische Journalist Jan Pertl sieht das etwas anders. Er ist Chefredakteur bei der pilsener Tageszeitung "Plzensky Denik" und hat die Entwicklungen selbst miterlebt.

"Ich bin auf jeden Fall davon überzeugt, dass die Medien eine große Rolle gespielt haben in der Zeit der Transformation. Denn das Wichtigste was man machen musste war, die Informationen weiter zu geben. Das haben in dieser Situation nur die Medien geschafft. Es mussten viele Entscheidungen getroffen werden, auf internationaler, wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftspolitischer Ebene. Außerdem setzten sie eine öffentliche Diskussion in Gang. Denn das öffentliche Eigentum musste privatisiert werden und keiner wusste, wie. Darüber wurde viel diskutiert und es wurde entschieden, dass die Leute so etwas Ähnliches wie 'Kupons' kaufen konnten. Damit konnten sie sich Teile vom öffentlichen Eigentum kaufen - so ist unsere Privatisierung verlaufen. Zusammenfassend würde ich sagen, dass die Medien auf jeden Fall Träger der Transformation waren. Denn die Idee bei den öffentlichen Demonstrationen ist eine Sache, aber die Realisierung und Durchsetzung ist eine andere."

Sowohl der Besuch beim Pilsener "Denik" als auch beim ARD-Büro in Prag gehörten zum festen Bestandteil des Seminars. Insgesamt 18 Studenten aus Tschechien und Deutschland nahmen daran teil. In zahlreichen Diskussionen konnten die Teilnehmer gegenseitig von den Erfahrungen der anderen profitieren. Organisiert und geleitet wurde das Seminar von Bara Prochazkova, Chefreporterin bei der Prager Zentralredaktion des Denik und Jürgen Webermann, Redakteur bei NDR-Info in Deutschland. Er zieht abschließend noch ein Fazit zur Frage nach der Rolle der Medien im Transformationsprozess.

"Nach wie vor ist es schwierig, die Medien in den Transformationsprozess einzuordnen. Ich glaube, dass die Medien, gerade in der ersten Zeit, durchaus Akteur waren in der Transformation. In Ost-Deutschland hatten diese Funktion die westdeutschen Medien. Eben im Hinblick darauf, dass sie die Wiedervereinigung propagierten. In Tschechien spielten sie sicherlich auch eine Rolle. Der Hunger nach freien Medien, wie der freien 'Lidove Noviny', die Leute aus dem eigenen Land herausgaben, war immens. Nur irgendwann begannen die ökonomischen Probleme und spätestens da wurden die Medien zum Objekt. Ihre Rolle wurde dann stark eingeschränkt, aus ökonomischen Gründen und weil man sich an sie gewöhnte."