Mangel an Gutachtern verlangsamt in Tschechien Gerichtsprozesse
In Tschechien mangelt es an Gerichtsgutachtern. Vor allem in den Bereichen Psychologie, Psychiatrie und Sexualforschung fehlen Fachleute. Auch eine Erhöhung der Entschädigung für die Sachverständigen konnte daran bisher nichts ändern. In der Folge ziehen sich die Gerichtsverfahren in die Länge.
„Jeden Tag muss ich drei bis fünf Anfragen für Gutachten ablehnen“, sagt Alena Gayová in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks. Sie ist Psychiaterin, und in ihrer Freizeit erstellt sie Stellungnahmen für Gerichte – und das seit 25 Jahren. Doch nun könnte damit bald Schluss sein.
„Ich bin bis zum Jahresende völlig ausgelastet. Ich weiß deshalb nicht, ob ich im kommenden Jahr weiterhin Gutachterin sein will. Der Druck ist einfach unerträglich. Ich erstelle die Einschätzungen nach Feierabend, an Wochenenden, im Urlaub und in der Nacht.“
Ein halbes Jahr müssen die Behörden derzeit auf Alena Gayovás Gutachten warten, denn weitere Gerichtssachverständige gibt es nur wenige – vor allem auf ihrem Fachgebiet, der Kinderpsychiatrie. Neben Psychiatern sind es laut dem tschechischen Verband der Sachverständigen und Gutachter (AZO) vor allem Psychologen und Sexualwissenschaftler, die fehlen. Aleš Vémola ist Vorsitzender der Vereinigung:
„Die Richter verlangen von uns die Beurteilungen und meinen, sie hätten schon etliche Kontakte angefragt. Wir müssen leider antworten, dass sie ein halbes Jahr warten müssen.“
Laut dem Verband gibt es derzeit in Tschechien fast 5800 Gerichtsgutachter aus über 50 Fachgebieten – deutlich weniger als noch einigen Jahren…
„Anfang 2018 gab es noch weit über 8000, sogar fast 9000 Sachverständige. Dann hat der Negativtrend eingesetzt, und dieser hält bis heute an.“
Auch die höhere Entlohnung konnte daran nichts ändern. Seit Jahresbeginn bekommen die Experten bis zu 1000 Kronen (42 Euro) pro Stunde – das Doppelte des bisherigen Satzes. Doch laut Aleš Vémola ist auch das zu wenig. 1500 bis 2000 Kronen wären angesichts der anspruchsvollen Tätigkeit angemessen, so der Verbandschef. Die älteren Gutachter würden nach und nach ihre Tätigkeit niederlegen, für die jüngeren aber seien die Konditionen derzeit schlichtweg nicht attraktiv, berichtet Vémola. Schuld daran seien auch die Bürokratie und die zahlreichen Verpflichtungen:
„Durch eine Gesetzesnovelle ist es neuerdings deutlich komplizierter, ein Gutachten zu schreiben. Der Aufwand ist stark gestiegen – ebenso wie die administrative Belastung.“
Im Justizministerium scheint man sensibilisiert für das Problem. Staatssekretär Karel Dvořák (Stan) betont, die Lage sei ernst:
„Die Änderungen des Gesetzes hatten in gewisser Weise ihre Berechtigung. Nun wollen viele Gutachter jedoch ihre Tätigkeit niederlegen.“
Deshalb soll das von den Experten kritisierte Gesetz laut Dvořák noch einmal geändert werden:
„Wir wollen einige administrative Änderungen einschränken. Zudem denken wir, dass durch die höhere Entlohnung ein weiterer Motivationsanreiz entsteht. Denn wir können die Experten nicht zu einer Stellungnahme zwingen, sie sind nämlich keine Staatsbediensteten.“
Einen Entwurf für eine entsprechende Novelle könnte das Justizministerium laut Karel Dvořák in den nächsten Wochen vorlegen.