Mangelnder Datenschutz: Big-Brother-Negativpreis geht unter anderem an Oberstes Verwaltungsgericht

Big Brother – der Große Bruder, der alles ausspioniert – ist dank George Orwells Roman „1984“ zu einem Alltagsbegriff geworden. Und auch in Tschechien werden die Big Brother Awards verliehen. Der Antipreis für die Missachtung der Privatsphäre ging dieses Mal unter anderem an das Oberste Verwaltungsgericht.

Foto: Seznam.cz

Finden, was man noch nicht kennt – damit wirbt der Spot von Seznam.cz. Der Nachrichtenserver und Emailanbieter scheint seine Nutzer aber schon besser zu kennen, als so manchem lieb sein könnte. Darum wurde er gerade mit dem Big Brother Award als „Firmenschnüffler“ des Jahres 2022 ausgezeichnet. In der Begründung wird bemängelt, dass mit der Abmeldefunktion für den Emailbereich auf Seznam.cz nicht gleichzeitig das Sammeln der Nutzerdaten beendet werde. Jurymitglied Jan Vobořil:

Jan Vobořil  (Foto: Barbora Linková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Obwohl man auf ‚Abmelden‘ klickt, ist man noch gar nicht abgemeldet, sondern es werden weiter persönliche Daten gespeichert. Man muss erst noch auf ‚Vergessen‘ klicken. Dies ist unserer Meinung nach für den Nutzer sehr verwirrend.“

Das Unternehmen verteidigt diese Praxis damit, nur eingeloggten Nutzern personalisierte Werbung anbieten zu können. Diese werde von den Anwendern selbst eingefordert, betont Seznam-Sprecherin Aneta Kapuciánová:

„Nachdem sich die Nutzer aus ihrem Emailfach abgemeldet hatten und weiter die Inhalte auf unserer Homepage nutzten, bekamen sie nicht-personalisierte Werbung zu sehen und wussten nicht warum. Sie verstanden nicht, dass die Abmeldung aus der Emailfunktion eine automatische Abmeldung von der ganzen Homepage bedeutete.“

Karel Šimka  (Foto: Archiv des Obersten Verwaltungsgerichts)

Die Big Brother Awards werden in Tschechien von der NGO Iuridicum Remedium vergeben, und dies aktuell schon zum 18. Mal. Die Negativpreise gelten Institutionen, Firmen oder Personen, die zu weit in die Privatsphäre ihrer Klienten eindringen. Die unrühmlichen Gewinner wählte in diesem Jahr eine neunköpfige Jury aus, zu der im Übrigen nur eine Frau gehörte. Einer der Awards ging dabei an das Oberste Verwaltungsgericht. Es wird als „Amtsschnüffler 2022“ gerügt, und das konkret für eine Entscheidung des 9. Senats aus dem Juli vergangenen Jahres. Dabei ging es um die Weitergabe von Filmaufnahmen der Bordkameras in Polizeiautos an das Finanzamt. Die Jury kritisiert, dass diese Daten für einen anderen als den ursprünglichen Zweck genutzt wurden. Der Vorsitzende des Obersten Verwaltungsgerichts, Karel Šimka, entgegnet, dass dabei das Interesse an der Aufklärung einer Straftat überwogen habe:

„Hier stehen sich zwei Rechtsansprüche gegenüber: Einerseits das Recht auf den Schutz persönlicher Daten und andererseits das Interesse, eine bestimmte Information für etwas Weiteres zu verwerten, was nicht ganz schlecht ist. In diesem Falle halfen die Aufnahmen bei der Erkenntnis, dass jemand etwas andere Steuern zahlte, als er vorgab.“

Als „Langzeitschnüffler“ des vergangenen Jahres wurde zudem die Firma Microsoft ausgewählt. Die Jury bezieht sich hierbei auf die Analyse eines deutschen Datenschutzamtes, nach der Microsoft mit seinen Programmen für den Online-Unterricht auf „sehr intransparente“ Weise Daten der Schüler und Lehrer sammelt. Diese würden dann unter Missachtung der Datenschutzgesetzgebung in die USA weitergeleitet, heißt es in der Begründung.

Wie üblich wurde aber auch in diesem Jahr ein Positivpreis verliehen. Dieser ging an das IT-Kollektiv NoLog für die Entwicklung anonymisierter und frei zugänglicher Online-Instrumente, etwa für Videoanrufe oder das Versenden von Dokumenten. Big Brother Awards werden auch in vielen anderen Ländern vergeben. In Deutschland etwa fanden sich unter den Ausgewählten im vergangenen Jahr der Lieferdienst Lieferando oder das Bundeskriminalamt.