Maria-Schnee-Kirche: Auf den Spuren von 14 Märtyrern

Foto: Jana Šustová

Es wäre die größte Kirche Prags geworden – hätte man sie denn vollendet: die Maria-Schnee-Kirche in der Prager Neustadt. Sie wurde schon 1347 gegründet. Im Kloster, das neben der Kirche errichtet wurde, siedelten sich Anfang des 17. Jahrhunderts die Franziskaner an. Das Stift sowie die Pfarrei waren nach den Hussitenkriegen heruntergekommen, die Franziskaner begannen dann, es wieder zu beleben. Im Jahr 1611 kam es bei Maria Schnee zu einem tragischen Ereignis: Bei einem Überfall auf das Kloster wurden 14 Mitglieder des Franziskanerordens ermordet. Diese bald als Märtyrer verehrten Franziskaner werden nächste Woche in Prag seliggesprochen. In der Maria-Schnee-Kirche finden derzeit verschiedene Veranstaltungen statt, die an die vor 400 Jahren verstorbenen Märtyrer erinnern.

Maria-Schnee-Kirche  (Foto: Jana Šustová)
Trotz ihrer Größe und Höhe fällt die gotische Kirche im Prager Stadtzentrum nicht auf. Denn Maria Schnee ist zum Teil hinter Häusern versteckt, die erst viele hundert Jahre später erbaut wurden. Die Kirche wurde als dreischiffige Basilika geplant, fertig wurde aber im 14. Jahrhundert nur das Presbyterium. Der Bau wurde durch die Hussitenkriege unterbrochen. Heute gelangt man in den Eingangshof der Kirche vom Jungmannplatz. Rechts vom Eingangshof geht es in den Kreuzgang des Klosters, wo vor kurzem eine Ausstellung über die vierzehn Märtyrer eröffnet wurde. Antonín Klaret Dabrowski ist Franziskaner und zudem Pfarrer bei Maria Schnee. Bei der Führung durch das Klosterareal zeigt er einige Orte, die in den tragischen Ereignissen von 1611 eine Rolle spielten. Zuerst geht es in den Klosterhof, der wie eine grüne Oase wirkt.

„Den Hof nennen wir ´Zur Eibe´, denn hier steht eine etwa 400 Jahre alte Eibe. Es wird erzählt, dass den Baum sogar Karl IV. gepflanzt haben soll. Das stimmt natürlich nicht. Aber es kann sein, dass er aus der Zeit um 1600 stammt, also aus der Zeit, als hier die 14 Franziskaner ermordet wurden. Auch die Botaniker schätzen das Alter der Eibe auf etwa 400 Jahre.“

Sakristei der Kirche  (Foto: Jana Šustová)
Das Kloster wurde am 15. Februar 1611 von etwa 700 bewaffneten Menschen überfallen. Sie drangen zuerst in die Kirche ein, wo sie zwei Priester totschlugen.

„In der Sakristei der Kirche suchte damals auch ein gewisser Jan Rode Zuflucht, der Küster war. Er entging dem Tod aber nicht.“

Dem Tod entgingen damals auch jene Ordensmitglieder nicht, die sich im Kreuzgang des Klosters sowie im Klosterspital aufhielten. Der damalige Klostervikar bemühte sich erfolglos, einige der Mönche in Sicherheit zu bringen und sie auf dem Dachboden zu verstecken. Wer sich eine Vorstellung davon machen will, wie hoch die Verfolger kletterten, um die letzten Klosterbewohner zu finden, kann mit Pfarrer Dabrowski die steile verstaubte Wendeltreppe auf das Dach hinaufsteigen. Ganz oben zeigt Dabrowski auf eine kleine vergitterte Öffnung:

Unter dem Dach in der Maria-Schnee-Kirche  (Foto: Jana Šustová)
„Das Loch in der Mitte des Bodens unter uns war Jahre lang mit Holz überdeckt. Erst bei einer Reparatur hat man es gefunden. Den Zeitzeugen zufolge haben die Angreifer die toten Mönche durch dieses Loch runter in die Kirche geworfen. Über eine Leiter kann man noch in den kleinen Turm hinaufklettern. Dort sollen sich damals drei der Franziskaner versteckt haben. Wenn man dort oben steht, kann man sich gegen jemandem, der gerade hinaufklettert, wehren. Sie haben sich damals aber nicht gewehrt. Hätten sie sich gewehrt, wären sie im Kampf wie die anderen rund fünfzig Stadtbürger gestorben. So sind sie jedoch als Märtyrer gestorben.“

Das Massaker fand am 15. Februar 1611 im Prager Franziskanerkloster statt
Alle Klosterbesucher waren froh, als sie die vielen Treppen wieder heil runter kamen und das steile Dach der Kirche von unten beobachten konnten. Maria Schnee ist nur ein wenig niedriger als der Veitsdom, bemerkt der Pfarrer und gelegentliche Touristenführer Antonín Klaret Dabrowski.

Das Massaker fand am 15. Februar 1611 im Prager Franziskanerkloster statt. Die Ursachen sind noch nicht endgültig geklärt. Sie waren daher eines der Themen einer Fachkonferenz, die anlässlich der bevorstehenden Seligsprechung der vierzehn Ordensbrüder veranstaltet wurde. 1611 war Prag die Residenzstadt von Kaiser Rudolf II., rund 80 Prozent der Bewohner waren damals nicht katholisch. Auch wenn Rudolfs Majestätsbrief von 1609 die Religionsfreiheit gewährte, kam es immer wieder zu konfessionellen Streitigkeiten. Rudolf II. lud 1611 die Truppen des Passauer Bischofs Leopold nach Prag ein. Danach brachen in der Stadt Kämpfe aus. Und das nicht nur zwischen Katholiken und Protestanten, sondern auch zwischen dem Heer der Böhmischen Stände und den Passauern. Die Menschen hätten befürchtet, dass etwas sehr Schlimmes folgen werde, sagt Historiker Petr Hlaváček:

Petr Hlaváček  (Foto: Jana Šustová)
„Diese Hysterie erreichte mit den Angriffen auf die Prager Klöster und andere katholische Institutionen ihren Höhepunkt.“

Warum sind gerade die Franziskaner das Ziel des Angriffs geworden?

„Das hatte wahrscheinlich mehrere Gründe. Erstens waren die Franziskaner in Prag ganz neu. Sie gehörten einer Reformgruppierung des Franziskanerordens an und waren als Prediger in der Prager Neustadt sehr aktiv. In einer Stadt, wo es immer wieder zu konfessionellen Streitigkeiten kam, waren diese Ordensmitglieder nicht zu übersehen. Zweitens wurde das Kloster nicht vom Stadtrat geschützt. Der Schirmherr des Klosters, Zdeněk Vojtěch von Lobkovic, hielt sich nicht in der Prager Neustadt, sondern auf der Kleinseite auf. Die Grenze zwischen den beiden Stadtteilen bildete die Moldau.“

Foto: Jana Šustová
Weiß man etwas mehr über die Herkunft der Franziskaner? Waren auch Ordensbrüder aus den Böhmischen Ländern unter ihnen?

„Diese Franziskanerkommunität war wirklich international. Im Kloster lebten nicht nur tschechisch- oder deutschsprachige Böhmen, sondern auch Franziskaner aus Italien, Spanien, dem heutigen Belgien und anderen Ländern. Die Kommunität stellte einen Symbol für die internationale Bedeutung Prags dar.“

Der Überfall und die Plünderung des Klosters und der Kirche dauerten angeblich vier Stunden lang. Woher stammen die Informationen über den Verlauf der tragischen Ereignisse?

Sterbliche Überreste der Franziskaner  (Foto: Martina Schneibergová)
„Es gibt verschiedene historische Quellen zu dieser Geschichte wie beispielsweise Chroniken und Berichte von Augenzeugen. Der Angriff spielte sich gerade in der Faschingszeit ab, wo viele Menschen betrunken waren. Viele Bürger schlossen damals ihre Häuser und trauten sich nicht auf die Straße zu gehen. Zu dieser Zeit kam es zu Überfällen einiger der Prager Klöster. Es handelte sich nicht um Kampf der Protestanten gegen die Katholiken, sondern die Plünderer waren eine Art Lumpenproletariat, sie raubten die Kirchen, Klöster und andere Gebäude aus.“

Wie hat man auf den Angriff auf das Kloster damals reagiert? Gibt es Berichte darüber?

„Ja. Reaktionen kamen sehr bald nach dem Massaker. Der Stadtrat, der Kaiser sowie die böhmischen Stände entschuldigten sich dafür beim Papst sowie beim spanischen König. Denn es handelte sich um einen Angriff auf katholische Institutionen. Vierzehn dieser Rebellen oder Rowdys wurden vom Stadtrat festgenommen, verurteilt und hingerichtet. Dazu gibt es aber nur wenig Informationen.“

Liturgisches Gewand  (Foto: Jana Šustová)
Die Ereignisse von 1611 sind Thema einer Ausstellung, die vor kurzem im Kreuzgang des Klosters eröffnet wurde. Amáta Wenzlová beteiligte sich an der Zusammenstellung der Ausstellung:

„Wir haben uns bemüht, die Ausstellung mehrdimensional zu gestalten. Sie präsentiert Informationen und enthält zudem ein empathisches Element. Die Besucher können sich in die damalige Situation im Kloster einfühlen und sich vorstellen, was die einzelnen Franziskaner damals erlebt haben. Und schließlich präsentieren wir hier historische Gegenstände, die die Geschichte illustrieren. Zu sehen ist beispielsweise ein Faksimile des Majestätsbriefs von Rudolf II., das aus dem Nationalarchiv ausgeliehen wurde. Wir stellen hier auch das liturgische Gewand aus, das der hiesige Priester Juan Martinez anhatte, als er ermordet wurde. Zu den Exponaten gehört zudem eine Truhe, in der die sterblichen Überreste der ermordeten Franziskaner bestattet wurden. Im Juli dieses Jahres wurde sie geöffnet, die sterblichen Überreste wurden von den Anthropologen untersucht. Die Truhe wurde gereinigt und restauriert und kann besichtigt werden.“

Foto: Jana Šustová
Die Ausstellung ist noch bis zum 25. November im Franziskanerkloster zu sehen. In den kommenden Tagen stehen weitere Veranstaltungen bei Maria Schnee auf dem Programm –Führungen, Konzerte und eine Performance, die im Zeichen der vierzehn Prager Märtyrer stehen.