Mehr Gerechtigkeit: Tschechien diskutiert über die Rentenbezüge früherer kommunistischer Funktionäre

KPTsch-Regionalparteitag in den 1970er Jahren

Sie hatten in der Nomenklatura der Tschechoslowakei hohe Positionen inne und haben sich dementsprechend schuldig gemacht: Dennoch erhalten frühere kommunistische Funktionäre deutlich höhere Renten als die Opfer des Regimes. Ab März aber werden die Altersbezüge der ehemaligen höchsten Vertreter von Partei und Staat abgesenkt. Warum geschieht dies erst jetzt? Und wie wird dabei vorgegangen?

Jaroslav Hutka | Foto: Prokop Havel,  Archiv des Tschechischen Rundfunks

Jahrelang musste der frühere Dissident und Liedermacher Jaroslav Hutka prozessieren, um für die Verfolgung durch die Kommunisten in den 1970er Jahren entschädigt zu werden. Obwohl er zu den prominenten ehemaligen Regimegegnern gehört, sprang für ihn nur eine minimale Abfindung heraus. Der Anwalt Lubomír Müller, der Hutka vor Gericht vertrat, rechnete dies vor kurzem in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks zusammen:
 
„Er hat Anspruch auf zwei Zuzahlungen zur Rente. Die eine ist gesetzlich geregelt, es handelt sich um 15 Kronen Entschädigung für jeden Monat im Gefängnis. Da Herr Hutka zweimal für drei Tage und dann noch einen weiteren Tag eingesperrt wurde, sind das sieben Tage. Das entspricht 3,50 Kronen, die auf vier Kronen aufgerundet wurden. Zudem gibt es eine Regierungsanordnung aus dem Jahr 2004. Gemäß dieser hat er zusätzlich Anspruch auf 50 Kronen Zuzahlung für jeden angebrochenen Monat, den er im Gefängnis verbracht hat. Bei ihm sind dies also 50 Kronen.“

Macht zusammen 54 Kronen mehr im Monat an Rente oder umgerechnet 2,14 Euro.

Ganz anders hingegen ehemalige kommunistische Funktionäre. Ihre Altersbezüge liegen schon deswegen vergleichsweise hoch, weil ihre Arbeit meist gut bezahlt war. Außerdem beziehen zum Beispiel die früheren Angehörigen der Sicherheitskräfte vom tschechoslowakischen Innenministerium heute zusätzlich hohe Aufschläge für ihre – so heißt es – „Verdienste für den Staat“.

Änderung bereits ab März

Doch die Rentenbezüge der früheren Nomenklatura werden jetzt gekürzt. Das entsprechende Gesetz wurde im Oktober 2022 vom Parlament verabschiedet, auf Vorschlag von Arbeits- und Sozialminister Marian Jurečka (Christdemokraten). Das Institut für das Studium totalitärer Regime hat die Liste jener früheren Funktionäre zusammengestellt, deren Rentenzahlungen ab März sinken werden. Das Institut ist die tschechische Entsprechung der deutschen Gauck-Behörde. Der Jurist Kamil Nedvědický ist stellvertretender Leiter der Institution. Im Interview für Radio Prag International erläuterte er den Sinn der Rentenkürzungen:

Kamil Nedvědický | Foto: Olga Vasinkevič,  Radio Prague International

„Es gibt hierzulande eine große Gruppe an Menschen, die dem kommunistischen Regime gedient haben und dafür damals höher entlohnt wurden als jene, die nicht aktiv den Machtapparat vertreten haben. Und das hat sich nach der Samtenen Revolution in höheren Rentenbezügen niedergeschlagen. Die Kritik lautete dann, dass es doch nicht gerecht sein könne, wenn der neue demokratische Staat einerseits den totalitären Vorgänger als verbrecherisch und illegitim bezeichnet, aber andererseits die höchsten Vertreter von damals weiterhin finanziell für ihre Dienste belohnt. Dabei dachte man nicht nur an die Gegner des Regimes, die verfolgt wurden, sondern auch an die sozusagen normalen Beschäftigten.“

Nun sind schon mehr als 34 Jahre seit der Samtenen Revolution vergangen. Und viele frühere Funktionäre liegen bereits unter der Erde. Das lässt sich am Beispiel der letzten rein kommunistischen Regierung in der Tschechoslowakei illustrieren. Sie wurde von Ministerpräsident Lubomír Štrougal geleitet und hatte 20 Kabinettsmitglieder. Von ihnen leben heute nur noch der damalige Minister ohne Portefeuille, Marián Čalfa, der Innenminister Jaromír Žák und der Minister für Außenhandel, Jan Štěrba. Štrougal selbst ist übrigens vor einem Jahr im Alter von 98 Jahren gestorben.

Warum wurde also erst jetzt die Aufmerksamkeit auf ihre Renten gelenkt? Und kommt die Maßnahme nicht viel zu spät?

„Auch früher war dies schon ab und zu Thema. Doch das Bemühen ging eher dahin, das Unrecht gegenüber den Opfern abzumildern. Deswegen standen die ehemaligen Funktionäre bisher nicht so im Fokus. Jeder sagt jetzt natürlich, dass dies spät kommt. Aber lieber spät als zu spät oder gar nicht“, sagt Nedvědický.

Mehrere Tausend Betroffene

Nachdem das entsprechende Gesetz gebilligt wurde, begann das Institut für das Studium totalitärer Regime, die Archive zu durchforsten. Man habe eine Liste der ehemaligen Funktionäre erstellt, die noch leben, sagt Kamil Nedvědický:

„Es war nicht so einfach, alle Menschen ausfindig zu machen, die unter das Gesetz fallen. Denn es geht nicht nur um die höchsten Vertreter auf zentraler Ebene, sondern auch auf regionaler Ebene. Am Anfang sind wir davon ausgegangen, dass es sich um mehrere Tausend Menschen handeln könnte. Ich denke, wir kommen tatsächlich auf eine niedrige vierstellige Ziffer. Die genaue Zahl wollen wir aber noch nicht nennen, obwohl die Kollegen bereits alle Archivbestände durchgegangen sind und alle Dokumente gesichtet haben zu der Frage, wer wie lange in welchem Parteigremium oder in welcher Staatsinstitution gearbeitet hat. Derzeit überprüfen wir aber noch, ob die Personen noch am Leben sind und ob mögliche Verwechslungen vorliegen. Bis Ende dieses Jahres haben wir dafür noch Zeit.“

Foto: e-Sbírky,  Nationalmuseum,  CC BY-NC-ND 4.0 DEED

In einigen Fällen ist die Überprüfung jedoch bereits abgeschlossen. Darüber werden die rentenzahlenden Institutionen informiert. Das seien die tschechische Sozialversicherungsbehörde (ČSSZ), das Verteidigungs- und das Innenministerium, so Kamil Nedvědický. Seinen Worten nach können also im März bereits die ersten Renten von ehemaligen Funktionären gekürzt werden.

Auf der Liste stünden nur die höchsten Vertreter der kommunistischen Macht. Der Jurist nennt ihre Funktionen:

„Regierungsmitglieder, die Führung der gesetzgebenden Institutionen, Generalstaatsanwälte, die Vorsitzenden der höchsten Gerichte, führende Sekretäre der Parteiausschüsse in den Bezirken und Kreisen. Und bei den Sicherheitsbehörden ist dies die Führungsriege im Rang von Oberst und General. Das waren wirklich die höchsten Spitzen des Regimes in allen Bereichen.“

Allerdings gibt es auch Grenzfälle, die im Gesetzestext berücksichtigt wurden…

Foto: e-Sbírky,  Nationalmuseum,  CC BY 4.0 DEED

„Jeder Fall wird individuell beurteilt. Das Gesetz definiert genau, auf welche Menschen sich die Regelung nicht bezieht. Das sind zum Beispiel jene, die über eine gewisse Zeit hinweg eine Führungsfunktion bekleidet haben, sich später aber gegen das Regime stellten. Im Rahmen der Rechtsprüfung wird dies dann unter die Lupe genommen“, so Nedvědický.

Das Gesetz regelt natürlich ebenso, um wieviel die Rentenansprüche abgesenkt werden sollen. Und zwar sind das 300 Kronen im Monat (11,92 Euro) für jedes angefangene Jahr in den Diensten des kommunistischen Staates. So können bis zu mehrere Tausend Kronen zusammenkommen. Die Altersbezüge dürfen jedoch nicht unter die Höhe der durchschnittlichen Bruttorente sinken. Diese liegt in Tschechien seit Januar bei 20.693 Kronen (822 Euro).

Auch deswegen betont der stellvertretende Leiter des Instituts für das Studium totalitärer Regime:

„Es ist eher eine symbolische Sache. In keinem Fall wird jemandem die Rente weggenommen. Der Staat will nur klar machen, dass er auch bei den Altersbezügen berücksichtigt, ob jemand das Regime gestützt oder Widerstand geleistet hat.“

Jiří Gruntorád | Foto:  Jekaterina Gerzman,  Radio Prague International

Denn mittlerweile hat die tschechische Regierung ebenso beschlossen, die Renten für die Opfer kommunistischer Herrschaft anzuheben. Zunächst musste es aber zu Druck von außen kommen. So trat der frühere Dissident Jiří Gruntorád im November vergangenen Jahres in Hungerstreik, um für sich und seine damaligen Mitstreiter menschenwürdige Altersbezüge zu erkämpfen. Und das mit Erfolg, weil Arbeits- und Sozialminister Jurečka letztlich einlenkte. Demnach erhalten alle, die offiziell vom tschechischen Staat als Widerstandskämpfer anerkannt wurden, schon demnächst mindestens die Durchschnittsrente. Jurist Nedvědický ordnet diese Maßnahme ein:

„Man muss eine Lösung finden für jene Menschen, die sich dem kommunistischen Regime entgegengestellt haben und von diesem stark geschädigt wurden. Da geht es um Fälle, in denen jemand zum Beispiel nicht in seinem erlernten Beruf arbeiten durfte. Oder es wurde die Möglichkeit eines Studiums verweigert. Diese Menschen sollten nicht unterhalb eines Niveaus leben müssen, das wir für normal halten – und das ist eben die Durchschnittsrente.“

Zu Ende vergangenen Jahres waren 2350 Menschen in Tschechien offiziell anerkannt als Widerstandskämpfer gegen das kommunistische Regime. Laut dem Ministerium für Arbeit und Soziales dürften einige Hundert von ihnen zu jenen Härtefällen gehören, deren Rentenbezüge angehoben werden.

Bei der Kürzung der Renten ehemaliger kommunistischer Funktionäre wiederum hinkt Tschechien übrigens weit hinterher. In Deutschland sind bereits 2005 die Altersbezüge für hochrangige Begünstigte des DDR-Regimes heruntergesetzt worden. Aber auch in Polen, Ungarn, der Slowakei, Estland oder Lettland bestehen vergleichbare Regelungen.

Autoren: Till Janzer , Olga Vasinkevich
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