Milliarden für die Kirche: Überfällige Restitution oder Schuss aus der Hüfte?
Prag, so heißt es, ist die Stadt der hundert Türme. In Wirklichkeit ist schon allein die Zahl der Kirchtürme viel höher. Touristen könnten fast den Eindruck gewinnen, dass die Religion im Alltag der Tschechen einen hohen Stellenwert einnimmt. Doch der Glaube spielt hier eine eher untergeordnete Rolle, und 18 Jahre nach dem Sturz des Kommunismus gibt es auch noch keinen umfassenden finanziellen Ausgleich zwischen Kirche und Staat. Wenigstens letzteres soll sich nun ändern, und zwar durch einen Regierungsbeschluss, der vorige Woche verabschiedet – und sogleich heftig diskutiert wurde.
Ende des Vorjahres hatten Vertreter einer Regierungskommission und der 17 vom Staat anerkannten Religionsgemeinschaften eine entsprechende Einigung getroffen. Für Premierminister Mirek Topolánek ein längst überfälliger Schritt:
„Bis heute gibt es in der Frage des Kircheneigentums, das die Kommunisten während ihrer Herrschaft gestohlen haben, keine endgültige Lösung. Die Gesetze aus der Zeit nach der Wende haben nur einen Teil des Unrechts wieder gut gemacht, denn alles, was mittlerweile Eigentum von Gemeinden oder Privatpersonen ist, kann nur sehr schwer rückerstattet werden. Im Umgang mit der Vergangenheit liegt also die moralische Dimension dieses Beschlusses.“Wie sieht er also aus, der Beschluss, der am Regierungstisch zwar einstimmig gefällt wurde, ansonsten in der politischen Landschaft aber für einigen Wirbel sorgt? Die Religionsgemeinschaften sollen in den nächsten 60 Jahren insgesamt 83 Milliarden Kronen erhalten – den Löwenanteil von 83 Prozent bekommt die katholische Kirche. Mit 4,8 Prozent Zinsen und einigen Naturalien, die ebenfalls restituiert werden sollen, bringt das dem Staat und damit den Steuerzahlern Gesamtkosten in Höhe von 270 Milliarden Kronen, das sind 10 Milliarden Euro. Eine Investition, die sich letztendlich rechnet, meint Premier Topolánek:
„Der Staat bezahlt ja derzeit die Geistlichen von 17 Kirchen – die größte davon ist natürlich die katholische. Doch es kommen immer mehr Glaubensgemeinschaften hinzu, die die Kriterien für eine staatliche Finanzierung erfüllen. Mit unserem Vorschlag wollen wir auch hier eine bessere Trennung von Kirche und Staat erreichen.“Anders ausgedrückt: Die wirtschaftliche Entflechtung soll beiden Seiten Klarheit und Rechtssicherheit bringen. Die Kirchen sollen über mehr Mittel verfügen, aber auch über mehr finanzielle Eigenverantwortung. Für den Staat wiederum, so rechnet die Regierung vor, sei das langfristig sogar eine Entlastung. Derzeit nämlich zahlt er für die Gehälter der Geistlichen jährlich etwa eine Milliarde Kronen. Künftig sollen die Geldmittel für die Kirchen jedes Jahr um fünf Prozent reduziert werden, nach einer zwanzigjährigen Übergangsfrist wäre die Geldquelle Staat für sie dann endgültig versiegt.
Kritik an dem Kabinettsbeschluss kommt nicht nur aus der Opposition. Auch in den Reihen der Regierungsparteien werden Zweifel laut. 60 Jahre Rückzahlungen, das sei eine lange Zeit, meint etwa Miroslava Němcová, bürgerdemokratische Vizepräsidentin des Abgeordnetenhauses. Man solle sich reiflich überlegen, ob man noch die eigenen Enkel mit solchen Hypotheken belasten möchte. David Rath, Abgeordneter der oppositionellen Sozialdemokraten, drückt es drastischer aus:
„Die Summe hat mich richtig geschockt. Dass wir Steuerzahler den Kirchen fast 300 Milliarden zahlen sollen – als ich diese Zahl gesehen habe, ist mir direkt die Luft weggeblieben.“
Andere äußern erhebliche Zweifel an der Art und Weise, wie diese Summe überhaupt zustande kam. Die Regierung habe einfach aus der Hüfte geschossen, hört man, und zwar zulasten der tschechischen Steuerzahler. Der sozialdemokratische Fraktionschef Michal Hašek will es jetzt genau wissen:
„Unserer Meinung nach müssen hier noch einige Angelegenheiten geklärt werden. Ich zum Beispiel werde vom Landwirtschaftsminister eine genaue Aufstellung darüber verlangen, wie die betreffenden Vermögenswerte eigentlich geschätzt wurden. Die Endsumme beruht nämlich auf Zahlen des Landwirtschaftsministeriums, und wir wollen wissen, woher diese Zahlen stammen, und nach welcher Methode man bei der Schätzung vorgegangen ist. Erst dann können wir über die Sache weiterdiskutieren.“Weiterdiskutiert wird spätestens im Parlament, wo der Kabinettsvorschlag noch eine Mehrheit finden muss. Da die Regierungskoalition im Abgeordnetenhaus nur eine knappe Mehrheit hat, bleibt die Debatte spannend.
Premierminister Mirek Topolánek macht deshalb mit weiteren wirtschaftlichen Argumenten, jenseits der nackten zahlen, Stimmung für den Entwurf seines Kabinetts:
„18 Jahre lang schon kann der Staat nicht über Besitztümer verfügen, die Gegenstand diverser Restitutionsverfahren sind. Es gilt dort ein Baustopp, und man kann keine Investitionen tätigen. Das blockiert die Entwicklung der Gemeinden, und es verhindert die Nutzung von Wäldern, Grundstücken und anderen Vermögenswerten. Das alles sind versäumte Gelegenheiten. Doch wenn das Gesetz bewilligt wird, dann werden diese Gelegenheiten genutzt. Es werden neue Industriegebiete entstehen, man wird Häuser bauen, Landwirtschaft betreiben, es werden Bäume wachsen. Das ist ein Aspekt, den derzeit eigentlich niemand so richtig ernst nimmt.“Und was sagt eigentlich die katholische Kirche? Verglichen mit den Scharmützeln der Politiker übt sie sich in nobler Zurückhaltung. Vereinzelte Stimmen aber gibt es. Zum Beispiel die von Kardinal Miloslav Vlk, der die Einigung mit der Regierung auf seine Art verteidigt:
„Wir haben keinerlei politische Macht, wir appellieren lediglich an das rationale Denken der Politiker. Die nun getroffene Übereinkunft ist für den Staat überaus günstig, und auch der Bund der Städte und Gemeinden hat sie dringend nötig. Also kann ich mir kaum vorstellen, dass die Politiker imstande wären, eine solche Übereinkunft abzulehnen.“