Pressestimmen zu Topolaneks Haltung zur EU-Verfassung und zum Streit um den Veitsdom
Im Mittelpunkt der heutigen Ausgabe von "Im Spiegel der Medien" stehen diesmal die Reaktionen der tschechischen Presse auf die jüngsten Aussagen von Premier Mirek Topolanek zum europäischen Verfassungsvertrag und zum langwierigen Konflikt zwischen Kirche und Staat um den Prager Veitsdom. Am Mikrophon sind Thomas Kirschner und Robert Schuster.
Doch zur allgemeinen Überraschung gab es in der Koalition in dieser Frage bisher keinen Konflikt. Und auch der Premier selbst überraschte in den vergangenen Wochen durch einen pragmatischen, wenn nicht gar konstruktiven Ansatz. So geschehen am Anfang dieser Woche, als sich Topolanek in Brüssel bei einem Treffen mit EU-Kommissionspräsident Jose Barroso versöhnlich gab und erklärte, Tschechien werde den Ratifizierungsprozess des Verfassungsvertrags nicht blockieren.
In den tschechischen Zeitungen stießen die jüngsten Aussagen des Regierungschefs auf ein unterschiedliches Echo, und die meisten Autoren werteten sie sehr vorsichtig. So schrieb etwa Martin Komarek in der auflagenstärksten unter den seriösen tschechischen Zeitungen, in der "Mlada fronta Dnes":
"Aus Topolaneks Erklärungen zum Verfassungsvertrag lässt sich ein Verdacht ableiten: Der umfangreiche und in Brüsseler Newsspeak geschriebene dicke Text, der als Verfassungsvertrag bezeichnet wird, ist dem Premier gleichgültig. Er ist kein leidenschaftlicher Feind des Regelwerks, wie zum Beispiel Vaclav Klaus, ebenso wenig gehört er zu dessen ergebenen Befürwortern. Er kann mit dem Regelwerk vielleicht eher gar kein Gefühl verbinden. Das ist aber überraschenderweise kein schlechter Ausgangspunkt für die tschechische Position, denn Leidenschaft und Ideologien müssen bei diesem Thema bei Seite treten. Es ist keine Herzensangelegenheit. Den Vertrag nicht zu unterschreiben, wäre eine Dummheit. Einen Vertrag zu unterschreiben, mit dem man nicht übereinstimmt, wäre ebenfalls eine Dummheit. Man muss also über den Text weiter verhandeln, damit man den Verfassungsvertrag letzten Endes in Ehre unterschreiben kann. Von vornherein etwas anzunehmen oder abzulehnen, wäre deshalb unvernünftig."Weitaus kritischer bewertete der Kommentator der Wirtschaftszeitung "Hospodarske noviny", Adam Cerny, die Ergebnisse von Topolaneks Brüssel-Reise:
"Fast hätte man schon meinen können, dass die neue Prager Regierung ein wenig ihre europäischen Noten zurechtgerückt hat und dass sich das Land in die europäische Debatte nicht nur mit Selbstbewusstsein, sondern auch Zielstrebigkeit einbringen will. Auch die Aussage des Premierministers in Brüssel von Anfang dieser Woche, dass Tschechien den Verfassungsprozess nicht blockieren will, ließ diese Vermutung plausibel erscheinen. Das war doch eine ganz andere Rhetorik, als das Stammtisch-Vokabular, mit dem der heutige Regierungschef noch im vergangenen Jahr über den Verfassungsvertrag herzog. Doch diese Kerze leuchtete nicht lange. Ein einziger Tag reichte, und schon ist man wieder im Unklaren über die Positionen des Regierungschefs. Zwar weiß man, was die Bürgerdemokraten ablehnen. Ein völliges Rätsel ist aber, was sie in Europa erreichen wollen. Nach einem Treffen mit dem Chef der britischen Konservativen erklärte nämlich Topolanek einerseits, dass die Mitgliedsstaaten selber entscheiden sollten, wie viel Integration sie haben wollen; im gleichen Atemzug lehnte er aber ein Europa der mehreren Geschwindigkeiten ab."
Ein Dauerbrenner in Tschechien, der seit den frühen 90er Jahren immer wieder für Schlagzeilen sorgt, ist der Streit zwischen der katholischen Kirche und der Verwaltungsbehörde der Prager Burg um den Prager Veitsdom. Es geht um die Eigentumsrechte und somit auch darum, wer die Regeln für die Nutzung der Prager Kathedrale festlegen darf. Während der vergangenen 14 Jahre gab es hierzu zahlreiche, oft widersprüchliche Urteile. Während vor einem Jahr das Stadtgericht von Prag die Kirche als Eigentümer feststellte, hat der Oberste Gerichtshof als Berufungsinstanz in den vergangen Tagen in seinem Urteil das genaue Gegenteil verkündet.Die tschechischen Kommentatoren verleitete das naturgemäß auch zu grundsätzlichen Überlegungen über die Beziehung zwischen Staat und Kirche in Tschechien. Jan Jandourek schrieb dazu in der in der "Mlada fronta Dnes":
"Mehr als die Hälfte der Tschechen vertritt die Meinung, dass den Kirchen kein Eigentum zurückgegeben werden sollte. Vielleicht hängt das damit zusammen, dass eine Mehrheit die Auffassung vertritt, die Kirchen seien nicht nützlich. Damit geraten wir aber zwangsläufig auf ein sehr dünnes Eis. Dem Menschen ist nämlich zueigen, dass er vor allem sich selbst und seine Verwandten als wichtig betrachtet. Die Nützlichkeit von Mitarbeitern und Nachbarn ist aber ungewiss. Warum sollte man also dem Nachbarn ein gestohlenes Fahrrad zurückgeben, wenn er als nicht nützliches Geschöpf erscheint? Vielleicht hat auch er das Rad vorher gestohlen. Nein, wahrscheinlich wird es einfacher sein, zur faden Wahrheit zurückzukehren, nämlich, dass Gestohlenes zurückgegeben werden muss."
Eine Gegenposition dazu fand sich in der linksorientierten Zeitung "Pravo", die gegenüber dem Wirken der katholischen Kirche in Tschechien traditionell kritisch eingestellt ist. Der Autor des Textes, Pavel Verner, machte in seinem Meinungsbeitrag fast alle Argumente geltend, die in diesem Zusammenhang immer wieder zu hören sind. Hier eine kurze Kostprobe:"Mit ihrem vergeblichen Kampf um die Kathedrale verliert die katholische Kirche bei der Öffentlichkeit stetig Sympathiepunkte. Im Verlauf des vergangenen Jahres, als die Kirche den Dom kontrollierte, machte sie vor allem auf sich aufmerksam, indem sie ein Eintrittsgeld von 100 Kronen pro Person einführte. Na gut, hundert Kronen ist keine große Summe, aber sie symbolisiert den Hunger der Katholiken nach Eigentum, wobei dies in Anbetracht der Geschichte unmoralisch ist. Es stimmt aber auch, dass das Schicksal des Veitsdoms nicht durch Paragraphen gelöst werden kann, denn die Bedeutung des Gebäudes für den tschechischen Staat übertrifft das alles in hohem Maße. Es kann nur durch den gesunden Menschenverstand und Toleranz des Geistes gelöst werden. Den Katholiken soll als Trost dienen: Wenn die Kathedrale letzten Endes auf Grund des Gerichtsurteils wirklich dem Staat gehören wird, wird sie auch ihnen gehören. Denn schließlich sind sie tschechische Bürger."
Zum Abschluss noch einige Passagen aus einem Kommentar, der in der Tageszeitung "Lidove noviny" erschienen ist. Dessen Autor, Bob Fliedr, brachte dabei einen weiteren, nicht uninteressanten Aspekt ins Spiel. So schrieb er: Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Staat werde schon lange auch auf einer persönlichen Ebene geführt, nämlich als ein Konflikt zwischen Tschechiens Präsident Vaclav Klaus und dem Oberhaupt der katholischen Kirche, dem Prager Erzbischof Kardinal Miloslav Vlk:
"Am Anfang der Beziehung zwischen Vaclav Klaus und Miloslav Vlk stand Höflichkeit und ein gewisses Entgegenkommen. Sehr bald gerieten die beiden jedoch aneinander. Stein des Anstoßes war die Beziehung zwischen Kirche und Staat. Aus einem anfänglichen Dialog wurden bald zwei Monologe. Klaus wie auch Vlk haben dabei nicht nur der Sache wegen gegeneinander polemisiert. Grund sind höchstwahrscheinlich auch ihre ähnlichen Charaktere. Klaus und Vlk argumentieren heute genauso wie vor Jahren. Manchmal kommt von der einen oder anderen Seite der Aufruf zum Gespräch, aber die beiden hören das nicht mehr. Da hilft nur eine personelle Veränderung. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es auf beiden Stellen dazu fast zur gleichen Zeit kommen könnte."