Senatoren legen neue Verfassungsbeschwerde gegen Lissabonvertrag ein
Das Thema Lissabon-Vertrag ist in Tschechien ein Fortsetzungsdrama. Der neueste Akt wurde am Dienstag eingeläutet. Eine Gruppe von Senatoren hat vor dem tschechischen Verfassungsgericht in Brno / Brünn eine neuerliche Beschwerde gegen den EU-Reformvertrag eingelegt. Zur endgültigen Ratifizierung fehlt in Tschechien zwar nur noch die Unterschrift von Staatspräsident Klaus. Der aber hat wiederholt erklärt, er wolle vor seiner Entscheidung das zweite Referendum der Iren sowie die Entscheidung der tschechischen Verfassungsrichter abwarten.
Mit der Beschwerde der überwiegend bürgerdemokratischen Senatoren vor dem tschechischen Verfassungsgericht verlängert sich der Ratifizierungsprozess zum Lissabon-Vertrag abermals. Zwar hatten die Richter in einem ersten Urteil Ende November 2008 die Verfassungsmäßigkeit des Dokuments festgestellt, damals ging es aber nur um Teile des Vertrags. Nun fechten ihn die Senatoren als Ganzes an. Sie befürchten bei seinem Inkrafttreten den Verlust nationaler Souveränität für ihr Land. Ihr Wortführer Jiří Oberfalzer:
„Da wäre zum Beispiel die Frage der Einwanderung, die Frage, welche Ziele die EU eigentlich verfolgt, die Frage des Strafrechts. Das sind unserer Meinung nach grundlegende Pfeiler der Souveränität. Das Verfassungsgericht sollte anerkennen, dass eine Abgabe dieser Souveränität nicht möglich ist. Wenn es dies nicht tut, dann sollte es zumindest festlegen, wie weit die europäische Legislative gehen darf.“
In Irland findet am Freitag ein zweites Referendum zum Lissabon-Vertrag statt. Nach einem Ja der Iren, das laut Umfragen als wahrscheinlich gilt, will auch der polnische Präsident Lech Kaczynski das Dokument unterschreiben. Tritt dieser Fall ein, würde die ganze EU auf Tschechien warten. Eigentlich sollte die neue EU-Kommission bis Ende Oktober bestimmt werden, und zwar nach den Vorgaben des Lissabon-Vertrags. Doch dazu müsste die Ratifizierung in allen EU-Mitgliedsstaaten abgeschlossen sein. Bis zu einem Urteil der tschechischen Verfassungsrichter könnte es aber noch länger dauern. Für diesen Fall hat Bürgerdemokratenchef und Ex-Premier Mirek Topolánek seinen Rückzug aus der Politik angedroht:„Meine weitere politische Karriere verknüpfe ich mit der Ratifizierung des Lissabon-Vertrags. Ich will nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dass die Tschechische Republik ohne Eurokommissar da steht.“Denn falls der Lissabon-Vertrag nicht rechtzeitig in Kraft treten kann, würde die neue EU-Kommission gemäß des noch geltenden Vertrags von Nizza zusammengestellt. Und der sieht eine Verkleinerung der Kommission vor. Tschechien könnte bei der Besetzung der Ressorts dann leer ausgehen. Topolánek forderte daher die Senatoren, die überwiegend seiner Partei angehören, auf, ihre Beschwerde zurückzuziehen. Die aber denken gar nicht daran, auf ihren Parteivorsitzenden zu hören, und schon gar nicht auf Sozialdemokratenchef Jiří Paroubek, der sagte:
„Wir halten es im nationalen Interesse für sehr wichtig, dass der Lissabon-Vertrag schnellstmöglich bei uns ratifiziert wird.“
Der Ball liegt nun bei den Brünner Verfassungsrichtern, und dann – ein Alptraum vieler Europäer – wieder beim tschechischen Präsidenten Václav Klaus.