Mit Know-how ins Nachbarland: Tschechische Chancen auf dem deutschen E-Food-Markt
„Rohlík“ ist in Tschechien einer der erfolgreichsten E-Food-Anbieter. Seit August vergangenen Jahres ist das Unternehmen auch in Deutschland auf dem Markt, und zwar unter dem Firmennamen Knuspr.de. Erich Čomor ist Chef des Ablegers. Und der Mutterkonzern hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt – nämlich die Expansion in möglichst viele deutsche Großstädte und baldige Umsätze in Höhe von mehreren Milliarden Kronen.
Das Lager von Rohlík in Horní Počernice, einem Vorort von Prag. Radek Slavík ist hier Leiter der Lagerprozesse. Er beschreibt, wie die Bestellungen in einem Online-Supermarkt normalerweise abgewickelt werden:
„Die Lieferanten bringen uns die Ware direkt ins Lager. Danach wird sie von uns eingelagert. Wenn eine Kundenbestellung kommt, wird sie in unsere drei Lagerzonen aufgeteilt – diese sind Trockenprodukte, Gekühltes und Tiefkühlkost. Unsere Mitarbeiter bestücken dann Taschen und Kisten mit den jeweiligen Artikeln der Bestellungen. Am Ende werden die Waren aus den drei Lagerzonen zusammengeführt und einem Kurier übergeben. Er bringt dem Kunden den Einkauf an die Haustür.“
In den Regalen lagert jeder Artikel in solchen Mengen, wie sie im klassischen Supermarkt undenkbar wären. Aber noch etwas anderes ist auffällig: Das Sortiment ist nämlich nicht in die klassischen Abteilungen wie Drogerie, Getränke und so weiter gegliedert. Sondern neben Pasta liegen zum Beispiel Kekse und ein Stück weiter Klopapier. Lagerleiter Slavík erläutert:
„Wir haben alles so verteilt, dass sich die meistverkauften Artikel nah am Fließband befinden. So erleichtern wir unseren Mitarbeitern die Arbeit. Der Scanner legt dann den Laufweg fest für den sogenannten Picker, je nach Lage eines Artikels.“
„Picker“ leitet sich vom englischen „to pick“ ab und bedeutet etwa „heraussuchen“. Im Lagerjargon heißt derjenige so, der die bestellte Ware mit einem Scanner per Strichcode erfasst und anschließend in die Tasche für den Kunden steckt.
„Sind sie eine Kontrolle?“
Bei der Führung durch das Lager des Lieferdienstes Rohlík sind wir nun aus der trockenen Zone in eine gekühlte übergegangen. Radek Slavík weiter:
„Hier ist es deutlicher kälter. In diesem Bereich lagern wir Gemüse wie etwa Spargel oder Salat. Wir dürfen die Kühlkette nicht unterbrechen – so ist die Ware sowohl während der eigenen Lagerung, als auch bei der Bearbeitung der Bestellung und der Lieferung zum Kunden ständig gekühlt.“
Für die Mitarbeiter im Rohlík-Lager heißt das aber zugleich, dass sie sich häufig in stark gekühlten Räumen aufhalten. In der Tiefkühlkost-Abteilung, in der die Temperatur meist bei -20 Grad Celsius liegt, treffen wir auf einen Mann mittleren Alters. Er trägt außer der Warnweste, die hier alle Angestellten haben, mehrere Jacken übereinander. Und seinen Mund hat er mit einem Schal bedeckt, auf dem Raureif zu sehen ist.
Auf das Aufteilen folgt wieder das Zusammenführen. An der Verpackungslinie kommt die bestellte Ware aus allen Lagerzonen in eine Recycling-Papiertasche. Der letzte Schritt hier im Lager ist dann, den eingepackten Einkauf in ein Fahrzeug zu laden.
Auf dem Parkplatz vor dem Lagergebäude frage ich einen Kurier, ob ich aufnehmen darf, wie er die Ware in seinen kleinen grün-weißen Van mit dem Logo von Rohlík lädt. Er entgegnet mit der Frage, ob ich eine Kontrolle durchführe. Auf meine Antwort, dass ich vom Tschechischen Rundfunk sei, reagiert er gelassen: „Ach so, Rundfunk.“
Das geschilderte Lagerkonzept haben auch Rohlíks Tochtergesellschaften im Ausland, wie Radek Slavík bestätigt und ergänzt:
„In den Lagern verwenden wir unsere eigene Software, die wir selbst programmieren. Wenn es in der Software zur einer Änderung kommt, kann diese in allen unseren Lagern vorgenommen werden.“
In den vergangenen vier Monaten haben die Mitarbeiter von Rohlík in Horní Počernice im Schnitt 6800 Bestellungen pro Tag ausgeliefert. Die Firma hat in Prag aber noch eine weitere Warenhalle, nämlich in Liboc.
Hilfreicher Dienst oder unnötiger Luxus?
Doch was halten die Tschechen von diesem Lieferservice? Ivana wohnt in der Nähe von Prag und ist eine langjährige Kundin von Rohlík. Gegenüber Radio Prag International sagt sie:
„Mit dem Lieferdienst Rohlík habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Vor sechs Jahren habe ich dort zum ersten Mal bestellt, also ungefähr in der Zeit, als das Unternehmen auf den Markt kam. Damals hatte ich eine gebrochene Hand und konnte nicht einkaufen gehen. Seitdem hat Rohlík sein Angebot sehr erweitert – es gibt nun sogar Haushaltswaren, Tierfutter oder Gartenbedarf. Deswegen mache ich mittlerweile bei ihnen Großeinkäufe, fast jede Woche. Zu Anfang waren das hingegen immer nur ein paar Artikel.“
Anders äußert sich Eva. Sie wohnt zwar auch in der tschechischen Hauptstadt, sieht den Lieferdienst jedoch kritisch:
„Ich denke, Rohlík hat eine gute Arbeit in der Pandemie geleistet, als manche Leute keinen guten Nachbarn hatten, der ihnen bei den Einkäufen half, während sie sich in die Isolation begeben mussten. Im normalen Leben denke ich aber, dass ein Lieferdienst einen höheren Aufwand an Kosten und Verpackungsmaterial bedeutet und letztlich zu einem erhöhten Ressourcenverbrauch führt. Zudem ist es meiner Meinung nach für die menschliche Gesundheit besser, wenn man die Ware in einem normalen Supermarkt auswählt – nach dem Geruch und nach der Verpackung. Dabei hat man auch immer die Möglichkeit, mit dem Verkäufer ins Gespräch zu kommen. Gesundheitliche Vorteile sehe ich dadurch, dass man einfach selbst zum Einkaufen loszieht. Aus diesen Gründen nehme ich die Dienste von Rohlik nicht in Anspruch.“
Rohlíks Markteintritt in Deutschland
Im August 2021 hat die Rohlík-Gruppe ihr Geschäft in Deutschland gestartet, und zwar unter der Marke Knuspr.de. Auf welche Marktlage das tschechische Unternehmen dort gestoßen ist, erläutert Rainer Münch. Er ist Handelsexperte bei der Unternehmensberatung Oliver Wyman:
„In der Pandemie haben wir eine erhebliche Beschleunigung des Online-Kaufs von Lebensmitteln in Deutschland erlebt – von einem Prozent des Gesamtmarktes auf zwei Prozent. Das bedeutete eine Verdoppelung. Zugleich ist dies immer noch ein niedriger Anteil im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern. Das liegt zum einen daran, dass Deutschland eine hohe Dichte an Lebensmittelhändlern hat und damit viele Möglichkeiten für die Kunden bietet, bequem einzukaufen. Und zum anderen gibt es in Deutschland im Vergleich zu Frankreich oder England keine so starke Verdichtung auf eine Mega-Großstadt, die dann auch über den Online-Lebensmittelhandel erschlossen werden kann. Stattdessen existieren viele föderalistisch angelegte Zentren, die strukturell einen größeren Aufwand erfordern, um ein entsprechendes Angebot bereitzustellen.“
Den Markennamen „Rohlík“, also das in Tschechien so beliebte Hörnchen, wollte die Firma in Deutschland nicht nutzen. Der Ableger betreibt seine Geschäfte unter Knuspr.de, und Erich Čomor ist dort der Geschäftsführer:
„Wir sind immer ein lokaler Dienst, unser Schwerpunkt sind ja auch regionale Produkte. Deshalb wollten wir auf dem deutschen Markt nicht als globale Marke auftreten. Unser Name Knuspr leitet sich von ‚knusprig‘ ab, was bei den Kunden ein Bild von Frische und Qualität hervorrufen soll.“
Zurzeit nimmt das Unternehmen in München seinen Angaben nach täglich 3000 Bestellungen entgegen und bedient über 40.000 Kunden. Im Februar dieses Jahres hat die Tochtergesellschaft von Rohlík ihre Dienste auch auf Frankfurt am Main ausgedehnt. Rohlík expandiert zudem in weitere Länder – so etwa nach Österreich (und zwar unter dem Marke Gurkel.at), Italien, Spanien und Ungarn.
Rivalen auf beiden Seiten der Grenze
Knuspr.de ist jedoch nicht der einzige Anbieter mit tschechischem Hintergrund in dieser Branche in Deutschland. Bereits im Mai 2021 hat Jakub Havrlant mit seiner Investment-Gruppe Rockaway Capital den deutschen Lebensmittel-Lieferservice Bringmeister aufgekauft. Dieser gehörte früher zur Supermarktkette Edeka.
Rockaway sowie Knuspr.de als Teil der tschechischen Rohlík-Gruppe konkurrieren sowohl in München miteinander, als auch in Tschechien. Havrlants Rockaway steht nämlich nicht nur hinter Bringmeister, sondern ist zudem Aktionär des tschechischen Lieferdienstunternehmens „Košík“ (auf Deutsch „Korb“). Beim Vergleich zwischen Rohlík und Košík in Tschechien lässt sich jedoch nicht sagen, wer erfolgreicher ist im Land – denn beide Unternehmen haben auf Anfrage ihre Jahresumsätze nicht offengelegt.
Vielversprechende Zukunft
Zur Marktposition beider Unternehmen in Deutschland sagt Rainer Münch jedoch:
„Wir sehen bei den Anbietern unterschiedliche Geschäftsmodelle. Manche von ihnen haben auf sogenannten Quick-Commerce gesetzt – so etwa die Firma Gorillas – und damit auf sehr schnelle Lieferung. Andere Anbieter – wie Picnic – haben ihren Dienst persönlich gestaltet, mit ‚Milch-Mann-Logik‘ und besonderer Interaktion mit ihren Kunden. Und dann gibt es Angebote wie jene von Bringmeister und Knuspr, die sich dazwischen positioniert haben – mit einem inspirierenden Sortiment und etwas längeren Lieferzeiten, die man trotzdem aber noch als kurzfristig bezeichnen kann.“
Knuspr-Chef Erich Comor erklärt im Gespräch für Radio Prag International, worin der Hauptunterschied liegt zwischen der deutschen und der tschechischen Kundschaft:
„Der deutsche Kunde hat ein starkes Interesse an Bio- und Regionalprodukten. Dieses ist bedeutend größer als in Tschechien. Die Vorannahme dabei ist, dass lokale Kleinproduzenten umweltfreundlicher sind als große Konzerne.“
Mehr als ein Viertel der Artikel, die Knuspr in Deutschland verkauft, sind laut Čomors Angaben mit einem Bio-Stempel versehen.
Den Konkurrenzdruck spürt Čomor in Deutschland eher im Marketing als im Geschäft. Für das Nachrichtenportal „Business Insider“ sagte er vor zwei Jahren, dass seine eigentlichen Wettbewerber nicht die anderen deutschen Onlineshops seien, sondern die gängigen Supermarktketten. Die heutige Stellung seiner Firma auf dem deutschen Markt bewertet Čomor sehr positiv:
„Unser Geschäft in Deutschland läuft besser, als wir uns das in unseren optimistischsten Szenarien vorgestellt haben. In München sind die Umsätze so schnell gestiegen wie nie zuvor in allen anderen Rohlík-Lagern. Der Standort Frankfurt hat den Münchner Rekord nun sogar übertroffen. Wir freuen uns, dass wir diesen Sommer mit unserem Dienst auch in Hamburg und dann in weiteren deutschen Städten loslegen.“
Und wie schätzt der unabhängige Fachmann Rainer Münch die Zukunftsaussichten von Knuspr und auch Bringmeister ein?
„Auf dem deutschen Markt für Online-Lebensmittel-Lieferungen findet derzeit ein Verteilwettkampf statt. Es dürfte zwei bis drei Jahre dauern, ehe sich zeigt, wer am Ende gewinnt und welches Model sich durchsetzt. Ich sehe durchaus Chancen, dass dazu die Online-Supermärkte mit tschechischen Investoren gehören könnten.“