Mobbing: an tschechischen Schulen ein Problem – mehrere Organisationen helfen

Mit Mobbing an tschechischen Schulen verhält es sich ähnlich wie mit manchen Krankheiten. Geben mag es die Symptome schon immer. Doch beim Namen nennt sie erst die moderne Medizin. Auch gemobbt wurde wahrscheinlich schon immer unter Kindern und Jugendlichen in Tschechien. Doch erst vor einigen Jahren wurde Mobbing an Schulen als ernsthaftes Problem erkannt. Seither hat sich ein Netzwerk von Institutionen herausgebildet, die sich professionell mit dieser Form von Gewalt unter Schülern auseinandersetzen.

Eine der gemeinnützigen Organisationen, die sich mit Mobbing unter Kindern und Jugendlichen befassen, ist die tschechische Help Line. Sie ist Mitglied der internationalen Vereinigung der Child Helplines. Unter ihrer Nummer 116 111 können sich Kinder und Jugendliche telephonisch beraten lassen, wenn sie Probleme haben. Hana Petráková ist eine der Jugendhelferinnen am Telefon. Immer wieder rufen sie Schüler an, die gemobbt werden:

„Das Mobbing beginnt meistens damit, dass ein Mitschüler oder eine kleine Gruppe von Mitschülern aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen werden. Sie werden verspottet, beschimpft, erniedrigt. Später beschädigen andere ihre Sachen. Sie werfen sie vom Pult oder gießen eine Flüssigkeit darüber aus. Das Mobbing kann sich sogar bis zu körperlichen Angriffen und Psychoterror steigern. In besonders schlimmen Fällen wird das Opfer gezielt verfolgt. Es wird nicht mehr in Ruhe gelassen und muss ständig mit Übergriffen rechnen.“

Etwa sechs Prozent der Anrufe bei der Help Line betreffen Fälle von Mobbing. Gemobbt wird sowohl in der Schule als auch auf dem Schulweg. Die Jugendhelfer der Help Line sind eine erste Anlaufstelle für die Opfer. Sie bemühen sich, die Selbstsicherheit des Opfers im vertraulichen Gespräch zu stärken. Sie muntern das Kind auf, die Eltern und Lehrer in sein Problem einzuweihen. Erst wenn die Bezugspersonen des Kindes nicht helfen können, ziehen sie professionelle Hilfe heran. Hana Petráková:

„Wir weisen die Schüler dann auf fachliche Beratungsstellen hin. Zum Beispiel das Zentrum für pädagogische Fürsorge oder die psychologischen Beratungsstellen. Manchmal nennen wir ihnen auch eine Vereinigung mit dem Namen ‚Minimierung von Mobbing’. Diese Vereinigung hat sich auf Hilfe bei Mobbingfällen spezialisiert.“

Mit Mobbing befasst sich unter anderem auch die Prager gemeinnützige Organisation PrevCentrum. Die Experten dieses Zentrums für Prävention behandeln Mobbing als ein gruppendynamisches Problem. Alexandra Roubalová, eine der Mitarbeiterinnen, erklärt, wie sie dabei vorgehen:

„Wir fassen das Mobbing als ein Symptom der gesamten Schulklasse auf. Die Klasse macht das Mobbing erst möglich, wenn die Beziehungen unter den Schülern nicht mehr stimmen. Wichtig ist dabei die schweigende Mehrheit. Sie hat großen Einfluss auf die Beziehungen innerhalb der Klasse.“

Das PrevCentrum lädt die betroffenen Schulklassen zu mehreren Sitzungen ein. Bei den ersten Sitzungen wird eine Diagnose erstellt, worin das Problem genau besteht:

„Bei diesen Sitzungen schauen wir uns an, wie das Klima und die Beziehungen in der Klasse sind. Wir wenden dazu verschiedene expressive Ausdrucksformen an, zum Beispiel nonverbale und künstlerische Techniken. Mit diesen psychosozialen Spielen verschaffen wir uns ein Bild von den Schwächen und Stärken der Gruppe“, Roubalová.

Bei den folgenden Sitzungen arbeiten die Experten des Zentrums für Prävention dann mit interaktiven Techniken gezielt an dem Problem der Gruppe, berichtet Roubalová. Auch dass die Eltern mithelfen, könne wichtig sein, sagt sie:

„In den Familien wird das Problem oft bagatellisiert. Die Eltern sind über Mobbing nicht genügend informiert. Tritt ihr Kind als Aggressor auf oder wird es ein Mobbingopfer, wollen die Eltern dies oft nicht wahrhaben. Sie leiten ihr Kind dann nicht an, sein Verhalten zu ändern. Die Eltern neigen dazu, ihr Kind in Schutz zu nehmen und zu denken, es sei schon alles in Ordnung.“

Mobbing kann verschiedene Gründe haben und es nimmt unterschiedliche Formen an. Immer mehr greift in Tschechien das so genannte „Cybermobbing“ um sich. Darunter wird die gezielte Verunglimpfung durch Internet und Handy verstanden.

„Mit der Entwicklung der Informationstechnologien treten neue Formen von Mobbing auf. Die Kinder fotografieren zum Beispiel einen Mitschüler auf dem Klo und veröffentlichen das Bild dann am Internet“, sagt Roubalová.

Ein Motiv für Mobbing können auch rassistische Vorurteile sein. Mit Fällen von rassistisch begründetem Mobbing haben die Sozialhelferinnen von der Vereinigung der Roma im mittelböhmischen Lysá nad Labem Erfahrungen gemacht. Zlatuše Klempárová, eine der Sozialhelferinnen:

„Kinder aus Romafamilien werden manchmal auf dem Schulweg von tschechischen Kindern beschimpft oder auch gejagt. Ich hatte einen Fall, bei dem ein Junge ‚Zigeuner’ und ‚Neger’ genannt wurde. Der Junge wollte daraufhin nicht mehr zur Schule gehen.“

Die Vereinigung der Roma in Lysá nad Labem arbeitet bei solchen Mobbingfällen mit den Schulen zusammen, berichtet Klempárovás Kollegin Marcela Féčová:

„Unsere Vereinigung kann den Opfern sehr helfen. Denn wir gehen dann in die Schulen und wirken an der Lösung des Problems mit. Hauptsächlich handelt es sich es um Sonderschulen, dort kommt es am häufigsten zu Mobbing gegen Roma. Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist gut. Die Schulen reagieren auf die Probleme.“

Mobbing sei jedoch nicht ein Problem bestimmter sozialer Gruppen oder Regionen, sagt die Soziologin Martina Budinská. Sie leitet die Abteilung für Prävention des tschechischen Schulministeriums. Mobbing richte sich gegen Einzelne, die sich von der Gruppe unterscheiden und deshalb zu Außenseitern abgestempelt werden. Budinská glaubt, dass Mobbing überall auftreten könne:

„Entscheidend ist das Klima in der jeweiligen Gruppe. Außerdem hängt viel davon ab, wie die Lehrer und die Schulleitung auf Mobbing reagieren. Und vor allem dürfen wir nicht vergessen, dass die Kinder primär in den Familien sozialisiert werden. Ihre angelernten Gewohnheiten, Verhaltensweisen und Einstellungen bringen sie von daheim in die Schule mit.“

Eine Schlüsselrolle bei der Vorbeugung und Bekämpfung von Mobbing komme daher den Familien zu. Darin sind sich die Experten in Tschechien einig. Martina Budinská:

„Die Eltern sollten mehr auf diese Probleme achten. Sie sollten mit den Kindern reden und nachfragen, ob das Kind nicht etwas quält. Sie sollten auch schauen, in welchem Zustand das Kind von der Schule nach Hause kommt. Ob die Kleider in Ordnung sind und dem Kind nicht Schulsachen fehlen.“

Das Schulministerium unterstützt daher Fortbildungsprogramme, die die Kommunikation zwischen Schulen und Familien verbessern.