Möglicher Umzug des "Radio Free Europe/Radio Liberty"

Auf das letzte Tagesecho der Woche folgt nun wie gewohnt der Medienspiegel von Radio Prag. Dazu begrüßen Sie nun ganz herzlich aus dem Prager Studio Robert Schuster und Silja Schultheis.

Im Mittelpunkt unserer heutigen Sendung stehen Kommentare zu dem möglichen Umzug des von den USA finanzierten Senders "Radio Free Europe/Radio Liberty" aus dem Prager Stadtzentrum sowie dem am Mittwoch von der sozialdemokratischen Regierung abgelehnten Gesetzesentwurf zur Einführung von Studiengebühren - zwei Themen, die in der vergangenen Woche auf den Meinungsseiten der tschechischen Presse für Schlagzeilen sorgten.

Beginnen wir mit der Kontroverse zwischen der tschechischen Regierung und der Leitung des Senders "Radio Free Europe/Radio Liberty" über den seit den Anschlägen vom 11. September besonders gefährdeten Standort der Radiostation im Prager Stadtzentrum.

Die Tageszeitung "Lidove noviny" erkennt darin einen Konflikt zweier Grund verschiedener Weltanschauungen und schreibt in ihrer Ausgabe vom 9.Januar:

"Die Amerikaner sind generell sehr empfindlich, was symbolische Gesten anbelangt. Auf ihnen basiert die propagandistische Linie des Kampfes gegen den Terrorismus. [...] Wen kann es vor diesem Hintergrund verblüffen, dass der Intendant von Radio Free Europe den von der tschechischen Regierung nahe gelegten Umzug als ‚Kapitulation vor dem Terrorismus' bezeichnet?"

Für die Amerikaner - so der Kommentator weiter - seien symbolische Niederlagen ebenso schmählich wie tatsächliche. In Tschechien hingegen, dessen Geschichte voll von tatsächlichen wie symbolischen Kompromissen und Kapitulationen sei, stießen eine feste Haltung und prinzipielles Siegesverlangen auf absolutes Unverständnis. Denn:

"Ihre historische Erfahrung gebietet den Tschechen: lieber zurückweichen, Hauptsache überleben, ein verbogenes Rückgrat ist immer besser als ein gebrochenes Rückgrat. Die Kommentare von Premier Milos Zeman zum Umzug von ‚Radio Free Europe' entsprechen genau dieser Haltung."

In dieselbe Stoßrichtung zielt der Kommentar der auflagenstärksten Tageszeitung hierzulande, der "Mlada fronta dnes", vom 9. Januar, in dem von zwei konträren Freiheitsbegriffen die Rede ist. Für die Lösung des Konfliktes im Falle des Radiosenders sieht der Kommentator zwei Möglichkeiten:

"Entweder die Bezeichnung ‚Freies Europa' sowie den Standort des Senders beibehalten. Oder umziehen und den Namen in ‚Radio feiges Europa' ändern."

Das defensive tschechische Verständnis von Freiheit ist auch nach Meinung des in Berlin und Prag tätigen Medienexperten Jaroslav Sonka Ursache des Konfliktes zwischen der tschechischen Regierung und "Radio Free Europe", gleichzeitig aber auch ein generelles Merkmal der tschechischen Politik:

"Es ist eine allgemeine Eigenschaft der tschechischen Politik der letzten zehn Jahre, dass man mit der Freiheit nicht auch die Verantwortungsbereiche in einem Zusammenhang versteht. Es ist schlicht und ergreifend so, dass je souveräner ein Land ist, je souveräner es sich in der internationalen Gemeinschaft bewegt, desto mehr muss es auch darüber nachdenken, welche Rolle es in der internationalen Gemeinschaft spielt. Und keine Rolle spielen zu wollen, dadurch keine Verbindungen nach außen zu haben, das ist keine Souveränität, das ist doch durchaus ein sehr schwaches Bild der tschechischen politischen Diskussion. Aber das gibt es auf mehreren Gebieten. Es ist auch die Mitteleuropäische Universität aus Prag weggezogen, nachdem ihr von Vaclav Klaus nicht besonders freundliche Reaktionen entgegengebracht wurden. Und es ist einfach nicht möglich gewesen, in einer Tätigkeit, die für das Land einen ziemlichen Nutzen hatte, fortzufahren."

Verantwortungsvoll würde sich die tschechische Regierung in der Frage nach dem Standort des Senders dann verhalten, so Sonka:

"wenn man eine Konzeption hat, und die Konzeption einen medialen Standort beinhaltet und Sicherheitsprobleme löst, dann ist man verantwortungsvoll gegenüber den Bürgern. Und wenn man diese Sache gleichzeitig als Investition in einen Standort ansieht, dann ist man doppelt verantwortungsvoll gegenüber den Bürgern. Man hat den Partnern aus dem Ausland etwas anzubieten. Das Schändliche an dieser Geschichte ist, dass man mit diesem Unterton gar nichts anfangen kann, dass man so gar nicht mit den Amerikanern spricht. Sondern es geht richtig um so eine Art Wegschieben von irgendetwas, und das ist eine bisschen faule Lösung."

In ihrer Ausgabe vom 11. Januar berichten "Lidove noviny" auf ihrer Titelseite unter Berufung auf gut informierte, dem Radiosender nahestehende Quellen, dass die Leitung von "Radio Free Europe" ernsthaft den Umzug ihrer Zentrale von Prag nach Budapest oder Tallinn plane. Auf derselben Seite findet sich ein Kommentar unter dem Titel "Warum die Sozialdemokraten 'Radio Free Europe' loswerden wollen". Die Autorin spricht hier von einer "sich steigernden politischen Kampagne" gegen den Radiosender, die in der mangelnden Bereitschaft der postkommunistischen Linken resultiere, sich mit dem zeitlich unbegrenzten Wirken der Radiostation auf dem Gebiet der Tschechischen Republik abzufinden.

Eine diametral entgegengesetzte Meinung spiegelt der Kommentar in der Freitagsausgabe der Tageszeitung "Pravo" wieder. Hier heißt es:

"Als sich Präsident Vaclav Havel im vergangenen Mai lobend über 'Radio Free Europe' äußerte, betonte er u.a. den Einfluss dieses Senders auf die Kultivierung der tschechischen Medien sowie ferner seinen Überblick und seine Zeitlosigkeit. Ein Jahr später erhielten die tschechischen Medien sowie die gesamte Öffentlichkeit statt Kultivierung eine Kalte Dusche von den Vertretern dieses Senders. Überhaupt ist in den arroganten Äußerungen und in der verblendeten Einstellung zur Sicherheit der Bürger des Gastlandes schlicht nichts von der erwähnten Tugend zu finden."

Schreibt die Zeitung Pravo in ihrer Ausgabe vom 11. Januar. Und damit verlassen wir das Territorium des Senders "Radio Free Europe" und widmen uns einem weiteren Thema.

Erwartungsgemäß hat das Kabinett unter Milos Zeman am Mittwoch die von dem oppositionellen Abgeordneten Petr Mateju eingebrachte Gesetzesinitiative zur Einführung von Studiengebühren abgelehnt. Sie widerspreche dem sozialdemokratischen Grundgedanken und würde aufgrund des hohen Verwaltungsaufwandes nicht zur Verbesserung der finanziellen Situation der Hochschulen führen.

Ziel der Gesetzesvorlage ist es, die Hochschulen einer größeren Zahl von Studenten zu öffnen. Um ihnen die Entrichtung der Studiengebühren zu ermöglichen, soll - so will es der Entwurf - begleitend ein Systém von Stipendien, Staatsanleihen und sozialer Unterstützung eingeführt werden.

Die Tageszeitung Pravo kommentiert dies in ihrer Ausgabe vom 8.Januar wie folgt:

"Das Ziel der Rechten ist klar: Studiengebühren zwischen 9.000 und 16.000 Kronen jährlich (280-500 Euro) werden die Studenten zum intensiveren Studieren motivieren, da es ja um ihre eigene Investition geht. Gleichzeitig werden sie die finanzielle Situation der Hochschulen verbessern, deren Leitungsgremien den Vorschlag nach anfänglichem Zögern unterstützen. Der Widerstand der Linken basiert auf folgender Argumentation: Bei der Aufnahme an die Universität würden Bewerber aus ärmeren Familien benachteiligt werden. Zudem ist Vizepremier Vladimir Spidla überzeugt, dass Studiengebühren die jungen Menschen vom Studieren abschrecken würden, statt sie zu motivieren. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Studenten eine ähnliche Auffassung vertreten."

"Seit Mitte der 90er Jahre", kommentiert Lidove noviny, "wird in der Tschechischen Republik darüber gesprochen, dass sich die Studenten wenigstens ein bisschen an den bislang vom Staat getragenen Studiengebühren beteiligen sollten. Jetzt, wo diese Idee konkretere Formen angenommen hat und Aussicht auf Realisierung zu haben scheint, stehen die Wahlen vor der Tür."

Der Entwurf des Abgeordneten Petr Mateju von der Freiheitsunion sei diesmal bis ins Abgeordnetenhaus gelangt. Es sei jedoch keineswegs klar, ob die eigene Partei hinter ihm stehe. Aber auch wenn das Abgeordnetenhaus den Gesetzesentwurf in seiner jetzigen Form mehrheitlich nicht unterstützen sollte, so ändert dies für den Kommentator nichts an der Tatsache,

"dass in einer Zeit, in der ein immer größerer Teil der Bevölkerung an Hochschulen studiert, eine Beteiligung der Studenten an der Finanzierung dieser Institutionen, mehr als aktuell ist."