• 28.06.2004

    Die Regierungskrise in Tschechien nahm am Montag auch einen breiten Raum in der Berichterstattung von Tageszeitungen der Nachbarländer Deutschland und Österreich ein. So urteilt die angesehene "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ), dass Spidlas Rücktritt ein schlechtes Zeichen für die ökonomischen Reformen in Tschechien und die Bestätigung der Krise bei den hiesigen Sozialdemokraten sei. Der FAZ zufolge habe Vladimír Spidla alles, was ein erfolgreicher Ministerpräsident benötige - ihm fehle lediglich eine geeignete Partei, die wirklich zu ihm halte.

    Eine ähnliche Auffassung vertritt die liberale österreichische Tageszeitung "Der Standard", die sich zum Rücktritt des tschechischen Premiers wie folgt äußerte: Der tschechische Premier Vladimír Spidla ist das erste prominente nationale Opfer der Europawahlen vor zwei Wochen geworden. Er hat den Denkzettel, den die Bürger seiner tief gespaltenen Sozialdemokratischen Partei (CSSD) verpassten (nur knapp neun Prozent), politisch nicht überlebt. Dass der erklärte Pro-Europäer und Reformpolitiker Spidla über eine Wahl strauchelte, bei der es eigentlich um europäische Themen gehen sollte, ist eine bittere Ironie."

    Autor: Lothar Martin
  • 28.06.2004

    In ganz Tschechien haben in der Nacht zum Montag Tausende die Qualifikation ihrer Mannschaft für das Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft gefeiert. In Prag waren bereits vor dem Schlusspfiff zahlreiche Fans in den Trikots ihrer Idole und mit rot-weiß-blauer Farbe im Gesicht auf den zentralen Wenzelsplatz geeilt, um mit Sekt und Dosenbier auf das 3:0 gegen Dänemark anzustoßen. In vielen Städten hatten Tausende am Sonntagabend vor Großbildleinwänden die spannende Begegnung verfolgt, davon zahlreiche mit tschechischer Nationalflagge. Nach dem Schlusspfiff fielen sich die Menschen in die Arme und strömten zum Feiern in nahe Gaststätten. Erst nach diesem Sieg glauben die zuvor eher skeptischen tschechischen Fußballfans fest an den EM-Titel für die eigene Mannschaft. Auf dem Weg dorthin wollen wieder mehrere Tausend Tschechen ihre Lieblinge beim am Donnerstag in Porto stattfindenden Semifinalduell mit Griechenland unterstützen. Tausende derjenigen, die sich die weite Reise nach Portugal nicht leisten können, haben sich bereits in der Nacht zum Montag in Restaurants Fernsehplätze für das Spiel gegen die Hellenen reserviert.

    Autor: Lothar Martin
  • 27.06.2004

    Tschechiens Premier Vladimir Spidla hat am Samstag seinen Rücktritt erklärt. Das Vertrauen in die sozial-liberale Regierung sei bei den verlorenen Europa-Wahlen erschüttert worden, sagte er. Als möglicher Nachfolger gilt Innenminister Stanislav Gross. Der Rücktritt Spidlas bedeutet das Aus für die Koalitionsregierung. Gross wurde vom sozialdemokratischen Exekutivausschuss mit der Regierungsneubildung beauftragt. Der scheidende Premier Spidla will am Mittwoch seinen Rücktritt offiziell bei Präsident Václav Klaus einreichen und zuvor sein Land noch beim NATO-Gipfel in Istanbul vertreten. Politische Beobachter gehen davon aus, dass Gross eine Minderheitenregierung seiner Sozialdemokraten mit den Christdemokraten anstrebt. Gross sagte, er rechne damit, dass Präsident Václav Klaus ihn mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Er will spätestens am Dienstag mit den bisherigen Koalitionspartnern der Sozialdemokraten, den Christdemokraten (KDU-CSL) und der liberalen Freiheitsunion (US-DEU), über eine mögliche weitere Zusammenarbeit sprechen. Spidla hatte als Vorsitzender der Sozialdemokraten am Samstagmittag eine parteiinterne Vertrauensabstimmung zur Abwahl als Parteichef nur mit sechs Stimmen Mehrheit überstanden. 103 Delegierte hatten bei der Krisensitzung gegen Spidla gestimmt, 109 wären für seine Abwahl erforderlich gewesen. Spidla hatte sein Amt als Regierungschef vor der Vertrauensabstimmung an seinen Posten als Parteichef geknüpft. Vor der Abstimmung hatte Spidla einen Rücktritt als Parteivorsitzender abgelehnt. Er stand in der Kritik, weil die Sozialdemokraten bei der Europa-Wahl nur 2 der 24 tschechischen Mandate gewinnen konnte. Spidla hat den CSSD-Vorsitz 2001 übernommen und war seit 2002 Ministerpräsident.

    Autor: Daniel Satra
  • 27.06.2004

    Präsident Václav Klaus hat am Sonntag angekündigt mit Sozialdemokraten, Christdemokraten und der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei die Verhandlungen über eine Regierungsneubildung zu beginnen. Zu den Gesprächen, die Klaus für kommenden Donnerstag angekündigt hat, hat er die oppositionellen Kommunisten nicht eingeladen. Klaus geht davon aus, dass Premier Vladimír Spidla am Mittwoch sein offizielles Rücktrittsgesuch einreichen wird. Auf dem außerplanmäßigen Treffen mit Journalisten in Prag sagte Klaus, dass er die drei Parteien für die relevanten Akteure der gegenwärtigen Politszene hält. Über das geplante Treffen sagte Klaus: "Ich werde mit diesen Politikvertretern über ihre Vorstellungen einer Regierungszusammensetzung sprechen, die in der Lage wäre das Vertrauen des Abgeordnetenhauses zu gewinnen und die überlebensfähig wäre." Neuwahlen wären erst "eine Lösung, wenn die Gespräche zu nichts führen", sagte das Staatsoberhaupt. Tschechiens Verfassung nennt beim Sturz einer Regierung keine Frist für die Bildung eines neuen Kabinetts. Vor seinem Abflug zum NATO-Gipfel in Istanbul wollte Klaus nicht bestätigen, dass er Innenminister Stanislav Gross mit der Regierungsbildung betrauen wird.

    Autor: Daniel Satra
  • 27.06.2004

    Einen Tag nach dem Rücktritt des tschechischen Premiers Vladimir Spidla hat der kommissarische Vorsitzende der Sozialdemokraten, Stanislav Gross, Spidla Unterstützung zugesagt. Im Tschechischen Fernsehen sagte Gross, er wolle sich dafür einsetzen, dass Spidla nach seinem Rücktritt als Partei- und als Regierungschef in der Sozialdemokratischen Partei und in der tschechischen Politik weiter Gehör finde. Gross wolle zudem mit Ex-Premier Milos Zeman sprechen, der ihn und Spidla in den vergangenen Monaten scharf kritisiert hatte. Weiter sagte Gross, er wolle an der Reform der öffentlichen Finanzen festhalten. Auf dem Weg zum NATO-Gipfel sagte Spidla, es erwarte ihn in Zukunft einen normalen politischen Alltag und er wolle sich am Aufbau eines modernen tschechischen Sozialstaats beteiligen, wie die Nachrichtenagentur CTK berichtet.

    Autor: Daniel Satra
  • 27.06.2004

    Die liberale Freiheitsunion ist bereit als Oppositionspartei zu arbeiten. Mit diesen Worten reagierte der scheidende Parteichef Petr Mares auf die Rücktrittserklärung von Regierungschef Vladimír Spidla. Die Nachricht vom Fall der tschechischen Regierungskoalition hatte den kleinsten Koalitionspartner am Samstag auf einem Sonderparteitag in Hradec Králové/Königsgrätz ereilt. Als Mares' Nachfolger wurde am Sonntag Pavel Nemec gewählt. Der neue Parteichef war in Spidlas scheidender Regierung Minister für regionale Entwicklung. Nemec konnte 102 von 189 Stimmen auf sich vereinen. Mares war vom Parteivorsitz abgetreten, weil die kleinste Partei der gescheiterten Regierungskoalition, bei den Europa-Wahlen starke Verluste hatte hinnehmen müssen. Nemec sagte nach seiner Wahl, die Freiheitsunion müsse auf nach dem Fall der Regierung darauf vorbereitet sein, als Oppositionspartei zu arbeiten oder sich wieder an einer Koalitionsregierung beteiligen.

    Autor: Daniel Satra
  • 27.06.2004

    Die Christdemokraten haben sich zu Koalitionsverhandlungen bereit erklärt. Eine erneute Regierungskoalition mit den Sozialdemokarten wollen sie jedoch nur eingehen, wenn diese nicht auf die Unterstützung der Kommunistischen Partei angewiesen wäre. Das sagte am Samstagabend der stellvertretende Parteichef der Christdemokraten, Jan Kasal, gegenüber der Nachrichtenagentur CTK kurz nachdem er von Spidlas Rücktritt erfahren hatte. Parteichef Miroslav Kalousek sagte, er könne sich auch eine erneute Koalitiosnbeteiligung der Freiheitsunion vorstellen. Auch eine Zusammenarbeit mit der oppositionellen Demokratischen Bürgerpartei schließe er nicht aus. Bei der Stimmenverteilung im tschechischen Abgeordnetenhaus könnte eine Koalition aus Sozial- und Christdemokraten nur eine Minderheitenregierung stellen.

    Autor: Daniel Satra
  • 27.06.2004

    Nach Angaben des Parteichefs der oppositionellen Kommunistischen Partei, Miroslav Grebenícek, würde seine Partei eine Minderheitenregierung unter Führung der Sozialdemokraten unterstützen. Eine Unterstützung einer neuen Regierung mit dem Christdemokraten Miroslav Kalousek als Regierungschef, könne sich Grebenícek jedoch nicht vorstellen. Er begrüßte Spidlas Rücktritt als Erfolg. Wörtlich sagte Grebenícek: "Es ist gut, dass diese Figur die politische Szene verlässt".

    Autor: Daniel Satra
  • 27.06.2004

    Die oppositionelle Demokratische Bürgerpartei (ODS) fordert nach Angaben ihres Parteichefs, Mirek Topolánek, in einer ersten Reaktion auf Spidlas Rücktritt Neuwahlen. Der Rücktritt habe die ODS nicht überrascht, er habe diese Entwicklung erwartet. Wörtlich sagte Topolánek am Samstagabend: "Für uns bedeutet dies keine bedeutende Veränderung unseres Standpunktes." Die ODS hatte nach dem schlechten Abschneiden der Sozialdemokraten bei den Europa-Wahlen eine Vertrauensabstimmung im Abgeordnetenhaus angestrebt. Gegenwärtig erhält die ODS bei Wahlumfragen den stärksten Zuspruch. Topolánek betonte, die Sozialdemokraten könnten nicht mit einer Unterstützung der ODS rechnen, sollte Innenminister Stanislav Gross mit der Regierungsneubildung beauftragt werde.

    Autor: Daniel Satra
  • 26.06.2004

    Tschechiens Premier Vladimir Spidla hat am Samstag seinen Rücktritt erklärt. Das Vertrauen in die sozial-liberale Regierung sei bei den verlorenen Europa-Wahlen erschüttert worden, sagte er. Als möglicher Nachfolger gilt Innenminister Stanislav Gross. Der Rücktritt Spidlas bedeutet das Aus für die Koalitionsregierung. Gross wurde vom sozialdemokratischen Exekutivausschuss mit der Regierungsneubildung beauftragt. Der scheidende Premier Spidla will am Mittwoch seinen Rücktritt offiziell bei Präsident Klaus einreichen und zuvor sein Land noch beim NATO-Gipfel in Istanbul vertreten. Unter Berufung auf inoffizielle Quellen berichtet die Nachrichtenagentur CTK, dass Gross eine Minderheitenregierung seiner Sozialdemokraten mit den Christdemokraten anstrebt. Gross sagte, er rechne damit, dass Präsident Václav Klaus ihn mit der Regierungsbildung beauftragen werde. Er will spätestens am Dienstag mit den bisherigen Koalitionspartnern der CSSD, den Christdemokraten (KDU-CSL) und der liberalen Freiheitsunion (US-DEU), über eine mögliche weitere Zusammenarbeit sprechen, so Gross am Samstagabend. Auf einer Pressekonferenz am Samstagabend begründete Spidla seine Entscheidung zum Rücktritt:

    "Die Sozialdemokratische Partei hat darüber nachgedacht, dass die Regierung tatsächlich zu brüchig ist und sie es nicht schaffen wird, die Legislaturperiode zu überstehen. Das Vertrauen in die Regierung wurde durch das Ergebnis der Europawahlen erschüttert. Und die Sozialdemokratische Partei hat nun auf diese Weise reagiert."

    Spidla hatte als Vorsitzender der Sozialdemokraten (CSSD) am Samstagmittag eine parteiinterne Vertrauensabstimmung zur Abwahl als Parteichef nur mit sechs Stimmen Mehrheit überstanden. Er gebe auch das Amt als Parteichef auf, hieß es. Spidla, der vor zwei Jahren Regierungschef wurde, stand seit den verlorenen Europa-Wahlen in der Kritik. 103 Delegierte hatten nach Angaben der Nachrichtenagentur CTK bei der Krisensitzung gegen Spidla gestimmt, 109 wären für seine Abwahl erforderlich gewesen. Spidla hatte sein Amt als Regierungschef vor der Vertrauensabstimmung an seinen Posten als Parteichef geknüpft. Auch Innenminister Stanislav Gross hatten die Delegierten im Amt bestätigt. Vor der Abstimmung hatte Spidla einen Rücktritt als Parteivorsitzender abgelehnt. Er stand in der Kritik, weil die Sozialdemokarten bei der Europa-Wahl nur 2 der 24 tschechischen Mandate gewinnen konnte. Zahlreiche CSSD-Funktionäre übten am Samstag heftige Kritik an Spidla und plädierten für die sofortige Übergabe des Parteivorsitzes an Gross. Der frühere CSSD-Vorsitzende und Ex-Regierungschef Milos Zeman forderte am Samstag seinen Nachfolger Spidla auf, von beiden Ämtern zurückzutreten, da er "versagt" habe. Spidla hatte sich noch am Samstagmittag in einer Rede für die Fortführung der Regierungskoalition ausgesprochen. Die CSSD regierte als stärkste Koalitionspartei gemeinsam mit Christdemokraten (KDU-CSL) und Freiheitsunion (US-DEU). Spidla hat den CSSD-Vorsitz 2001 übernommen und war seit 2002 Ministerpräsident.

    Autor: Daniel Satra

Pages