Nächster Halt: Bahnhofskneipe

Bahnhofsrestaurant – Masaryk-Bahnhof in Prag
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Die tschechischen Bahnhofskneipen sind Kult. Sie dienen nicht nur der Verpflegung hungriger Durchreisender, sondern sind auch sozialer Treffpunkt der Ortsansässigen. Während viele der Lokale in den letzten Jahren schließen mussten, entstehen mancherorts auch neue Initiativen, dank derer die Restaurants von einst wieder ihre Türen öffnen.

Inhaber František Chmelík serviert Bier seit mehr als vierzig Jahren an seine Gäste. | Foto: Petr Lukeš,  Radio Prague International

František Chmelík ist wohl einer der dienstältesten Kneiper in den Bahnhofsrestaurants Tschechiens. Seit 1982 betreibt er seine Gaststätte am Bahnhof Ostrava-Svinov. Damals habe dort oft ein reges Treiben geherrscht, schildert der Gastronom für Radio Prag International:

„Zu der Zeit wurden hier im Schnitt täglich 7000 Bier gezapft“, meint Chmelík.

Doch davon kann er heute nur träumen. In seinem Wirtshaus auf dem Bahnhof ist es längst nicht mehr so belebt – und die Station Ostrava-Svinov ist damit kein Einzelfall.

Viele Gaststätten an den Bahnhöfen mussten schließen

Jan Nevola | Foto: Klára Stejskalová,  Radio Prague International

Wenngleich es in Tschechien immer noch mehr Bahnhofskneipen gibt als etwa in Deutschland, mussten die Kultgaststätten mittlerweile vielerorts schließen. Dabei hätten die Restaurants in unmittelbarer Gleisnähe hierzulande eine lange Tradition, betont Jan Nevola. Er ist der Sprecher der Tschechischen Eisenbahnverwaltung (Správa železnic):

Während der Ersten Tschechoslowakischen Republik boten etwa die Prager Gaststätten in den Jugendstilbahnhöfen absolute Spitzengastronomie.

„Die Geschichte reicht bis in die Zeiten Österreich-Ungarns zurück. Bahnhofsrestaurants wurden damals von einer wohlhabenden Klientel besucht. Die Preise bewegten sich am oberen Ende der üblichen Skala und übertrafen bei weitem die von Lokalen im Stadtkern. Während der Ersten Tschechoslowakischen Republik boten etwa die Prager Gaststätten in den Jugendstilbahnhöfen absolute Spitzengastronomie. Und sie hatten lange Öffnungszeiten: Reisende konnten hier mitunter bis zur Abfahrt des letzten Zuges verweilen.“

Nach 1948 habe sich dies jedoch geändert, so Nevola:

Bahnhofsrestaurant in Říčany | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Damals setzte ein großer Wandel ein. Um die einst anmutigen Bahnhofsgebäude kümmerte man sich nun weniger. Und das blieb während der ganzen Zeit des Sozialismus so. Aus den Gaststätten für die Oberschicht wurden vielerorts simple Selbstbedienungslokale. Zudem wurden zahlreiche historische Einrichtungsmerkmale in den Innenräumen der Restaurants zerstört.“

Und dieser Entwicklung habe leider auch die Samtene Revolution nicht wirklich ein Ende setzen können, bedauert der Sprecher. So seien in den letzten Jahren Dutzende, wenn nicht gar Hunderte Lokale geschlossen worden…

„An vielen Stationen gibt es einfach niemanden, der das Restaurant betreiben will. Die Lokale verschwinden auch, weil die Menschen schlichtweg ihre Gewohnheiten geändert haben.“ , so der Eisenbahner.

Faire Preise in der Bahnhofskneipe in Doksy | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Zu diesen geänderten Gewohnheiten zähle etwa, dass die Menschen heutzutage viel weniger Zeit an den Bahnhöfen verbrächten als früher:

„Damals war es gang und gäbe, dass die Reisenden auf den Bahnhof kamen, etwas aßen und sich dann etwa noch in den Warteraum setzten. Dort herrscht heute gähnende Leere. Stattdessen versuchen die Menschen, möglichst schnell durch die Bahnhofshalle hindurch zum Zug zu gelangen und abzufahren.“

Auch die sonstigen Bedingungen seien in der letzten Zeit alles andere als günstig für die Gastwirte, meint Nevola:

„Die Inhaber bestätigen uns immer wieder, dass viele Stammkunden nicht mehr kommen, seit in Tschechien das Rauchverbot in Restaurants eingeführt wurde. Manche haben sich auch über die elektronische Registrierkassenpflicht beschwert. All diese Faktoren wirken sich negativ auf das Phänomen Bahnhofskneipe aus.“

Und nicht zu guter Letzt hänge den Lokalen immer noch der schlechte Ruf aus den 1990er Jahren an, meint der Sprecher.

Schnellimbiss am Bahnhof in Černošice | Foto: Hana Slavická,  Radio Prague International

Nach der Restaurierung von Bahnhöfen werden auch Restaurants wiedereröffnet

Die Tschechische Eisenbahnverwaltung wolle dieses schlechte Bild nun aber ändern:

„In den letzten Jahren haben wir den absoluten Großteil aller Bahnhöfe in Tschechien übernommen. Aktuell läuft eine relativ große Welle an Rekonstruktionen und Sanierungen. Wir versuchen dabei, den Räumlichkeiten, die einst als Restaurant dienten, ihren ursprünglichen Zweck zurückzugeben und sie wieder herzurichten. In den großen Bahnhöfen, wie etwa dem Pilsner Hauptbahnhof, legen wir besonders viel Wert auf die historischen Elemente. Wir wissen aber, dass es auch an kleineren Haltepunkten ein großes Interesse an einer Beköstigung gibt, wenn sie sich an touristisch beliebten Orten befinden. Dies trifft auf Stationen von der Größenordnung wie Jedlová, Skalice nad Svitavou oder Praha-Čakovice zu.“

Bahnhof Praha-Čakovice mit Restaurant | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

Man wolle keine Sterne-Restaurants mit Michelin-Ambitionen aus den Räumlichkeiten machen, so der junge Mann. Dennoch begrüße man eine jede Nutzung der Gaststätten – besonders, wenn warme Küche angeboten werde. Eine Chance seien dabei auch Bahnhöfe in kleinen Dörfern und Gemeinden:

„In kleinen Orten passiert es oft, dass Kneipen und Restaurants schließen müssen. Wenn wir an einem solchen Ort Immobilien sanieren und auf der Suche nach Mietern sind, sprechen wir häufig auch die Gemeindeverwaltung an. Mitunter empfehlen sie uns jemanden, der sich auf die Ausschreibung bewerben kann.“

Vom Schauspieler zum Kneipenwirt

Im Hintergrund des Gartens vor dem Wohndienstwagen ist das Gebäude des Bahnhofs Nižbor zu sehen. | Foto: Petr Lukeš,  Radio Prague International

Ein kleines Dorf, das nun durch seine Bahnhofskneipe neues Leben erhält, ist etwa Nižbor in Mittelböhmen. Der Schauspieler Tomáš Hanák hat dort ein Restaurant in einem alten Holzbau errichtet, der einst als Eisenbahnlager diente. Wie dies geschah, schilderte er gegenüber Radio Prag International:

„Da kam eines zum anderen. Als ich die Idee hatte, diesen Ort zu retten, war ich mir noch nicht sicher, was daraus werden soll. Zunächst zog ich in Erwägung, hier einzuziehen oder ein Loft daraus zu machen. Aber als abstinenter Alkoholiker kam mir dann der Einfall, dass es Zeit für eine Prüfung sei. Also beschloss ich, als echte Herausforderung ein Wirtshaus, also eine Bahnhofskneipe aufzumachen –, das heißt, ein Lokal mit günstigem Essen und vielleicht zwei Sorten Bier vom Fass für die Gäste.“

Mittlerweile habe das im Retro-Stil eingerichtete Restaurant ein breites Publikum, so Hanák:

Tomáš Hanák | Foto: Petr Lukeš,  Radio Prague International

„Es kommen viele Menschen, die Eisenbahnfans sind, oder einfach Leute, die sich dem Zauber aus Ankünften und Abfahrten nicht entziehen können. Aber zu den Gästen zählen auch Menschen, die ein ähnliches Projekt planen. Denn so etwas zu sehen, steckt natürlich an. Die Leute erzählen mir oft, dass es auch bei ihnen einen verlassenen Bahnhof gibt oder heruntergekommene Lagerräume, die sie nun retten wollen – und dann bitten sie mich um Rat.“

Wenn der letzte Zug abgefahren, das Bier oder der Tee aber noch nicht ausgetrunken ist, muss man im Bahnhofslokal in Nižbor nicht verzweifeln. Denn vor einiger Zeit hat der Schauspieler einige ausgediente Eisenbahnwaggons aufgekauft, die nun als Unterkunft dienen:

„Die drei Waggons habe ich eigenhändig zu Ferienwohnungen umgebaut“, so Hanák. Darüber hinaus bietet er unter anderem Filmvorführungen und andere Events in seinem Bahnhof an. Die „Zastávka Nižbor“ ist so eines von vielen Vorzeigeprojekten für die Revitalisierung von Eisenbahnimmobilien in Tschechien.

Zastávka Nižbor | Foto: Petr Lukeš,  Radio Prague International
Autoren: Ferdinand Hauser , Petr Lukeš , Klára Stejskalová
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