„Nicht die komfortabelste Zeit“: Tschechische Ratspräsidentschaft 2009
Der Reigen der Ratspräsidentschaften: in der Europäischen Union gehört er zu den gut eingespielten Ritualen der Balance von Macht und Verantwortung. Kurz zur Erinnerung: Das erste Halbjahr 2007 stand im Zeichen des deutschen Ratsvorsitzes. Derzeit, und zwar noch bis Jahresende, ist Portugal an der Reihe. Tschechien hat noch etwas mehr als ein Jahr Zeit für seine Vorbereitungen. Am 1. Januar 2009 wird dann Prag für sechs Monate zum Brennpunkt der Europapolitik. Die Vorarbeiten laufen bereits auf Hochtouren, und auch das Hauptmotto steht bereits fest. Tschechien will ein „Europa ohne Barrieren“, also größtmögliche Freiheit überall dort, wo es jetzt noch Beschränkungen gibt – zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt. Die ganze Sache hat allerdings einen kleinen Haken: Derzeit weiß niemand, welcher EU-Vertrag Anfang 2009 eigentlich gelten wird. Das Prager Büro der Friedrich Ebert Stiftung und das tschechische Institut Europeum haben dieser Tage eine Konferenz zu dem Thema abgehalten.
„Die Spaltung des Kontinents, und damit die Trennung seiner Bürgerinnen und Bürger, ist endgültig überwunden“, jubelte der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder am 1. Mai 2004 im tschechisch-deutsch-polnischen Dreiländereck und hieß zehn neue Mitgliedstaaten, darunter auch Tschechien, in der Europäischen Union willkommen:„Die Völker Mittel- und Osteuropas sind wieder Teil der europäischen Familie.“
Fast vier Jahre sind seither vergangen, für die Völker Mittel- und Osteuropas gehört die europäische Familie längst zum festen Bestandteil der täglichen Politik.
Vorsitzender des Familienrats aber war bisher noch keines der neuen Mitgliedsländer. Doch genau das wird sich in Kürze ändern. Am 1. Januar 2008 übernimmt Slowenien für sechs Monate die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union. Danach ist Frankreich an der Reihe, und am 1. Januar 2009 wird Tschechien das Ruder in die Hand nehmen. Vor allem für kleinere Länder ist der Ratsvorsitz ein diplomatischer Kraftakt.
„Die größte Herausforderung an eine Präsidentschaft ist wahrscheinlich der administrative Aufwand“, sagt Daniela Kietz von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik.„Es ist einfach enorm, was ein Land da leisten muss. Es muss bis zu 4000 Treffen auf allen Ebenen der europäischen Institutionen organisieren und planen – also im Rat, mit dem Europäischen Parlament, mit der Europäischen Kommission, oder auch mit Drittstaaten in der Außenpolitik. Es muss die Debatten strukturieren und leiten, und das ist ein riesiger Aufwand.“Tschechien wird diese schwierige Aufgabe in einer besonders heiklen Phase der europäischen Politik erfüllen müssen. Denn derzeit weiß niemand, wann der EU-Reformvertrag in Kraft tritt, der den gescheiterten Verfassungsvertrag ersetzen soll. Das kann am 1. Januar 2009 der Fall sein, also an dem Tag, an dem Tschechien den Vorsitz übernimmt. Genauso gut ist es aber möglich, dass der Vertrag erst nach oder sogar während der tschechischen Präsidentschaft Gültigkeit erlangt.
„Das ist schon ein größeres Problem, und es wird die tschechischen Akteure in den nächsten anderthalb Jahren wohl verstärkt beschäftigen“, meint Daniela Kietz. „Es kann sein, dass die Reformen der europäischen Institutionen bereits 2009 in Kraft treten. Das kommt auf den Ratifizierungsprozess an, und man muss die diversen Szenarien auf jeden Fall mitdenken. Es wird zum Beispiel einen gewählten Präsidenten der Europäischen Union geben, der die Sitzungen des Europäischen Rates leitet. Das heißt, die Rolle, die jetzt die Regierungschefs oder die Staatschefs im europäischen Institutionengefüge haben, fällt weg. Sie wird dann vom neuen Präsidenten übernommen. Was aber passiert mit den Staats- und Regierungschefs und ihrer Rolle? Was passiert mit den Impulsen, die sie der Präsidentschaft gegeben haben? Sie sind ja auch diejenigen, die ihrer nationalen Wählerschaft kommunizieren, was sie im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft machen. Sich etwa als Deutscher die deutsche Ratspräsidentschaft ohne die Arbeit von Frau Merkel vorzustellen, das ist eigentlich unmöglich. Da fällt mindestens die Hälfte der Erfolge der Ratspräsidentschaft, unter anderem ihre größten, hinten runter. Ob das ein EU-Präsident ersetzen kann, das ist die große Frage. Genau da müssen die tschechischen Akteure mitdenken, viele Szenarien erwägen und diese wahrscheinlich auch schon jetzt vorbereiten.“Alexandr Vondra ist tschechischer Vizepremier für Europäische Angelegenheiten, und damit einer der Hauptverantwortlichen für die Vorbereitung auf die tschechische Präsidentschaft:
„Zweifellos wird der Verlauf unserer Präsidentschaft davon beeinflusst werden, ob und wann der Reformvertrag in Kraft tritt, weil dieser Vertrag die Rolle des Vorsitzlandes stark verändern wird“, so Vondra. „Es kommt dabei aber natürlich nicht nur auf uns an, sondern auf alle 27 Mitgliedsländer. Wie wir wissen, können dabei Probleme auftreten – und das trotz des starken politischen Willens, der bereits im Juni unter deutschem Vorsitz, unter der wirklich exzellenten Führung der deutschen Bundeskanzlerin mit ihrem Zug zum Tor, einen Kompromiss ermöglicht hat.“
Unter deutschem Vorsitz wurde das Reformpaket geschnürt, nun muss es allerdings in allen 27 Mitgliedsländern ratifiziert werden. Wann dieser Prozess zu einem positiven Abschluss kommt, lässt sich derzeit eben nur schwer einschätzen. Fest steht lediglich, dass im Juni 2009 Wahlen zum Europaparlament anstehen, und dass maßgebliche Stimmen in Europa der Ansicht sind, man sollte mit dem Vertrag bis nach den Wahlen warten. Immerhin nämlich sieht das neue Regelwerk zum Beispiel das Amt des Hohen Vertreters für Außen- und Sicherheitspolitik vor. Dieser wird gleichzeitig Vizepräsident der neuen Kommission sein, bei deren Besetzung wiederum das Europäische Parlament ein Wörtchen mitzureden hat – und zwar am besten in seiner neuen Zusammensetzung, also nach den Wahlen. David Kral vom tschechischen Institut Europeum wagt deshalb eine vorsichtige Prognose:
„Ich persönlich glaube, dass es zu einer politischen Abmachung kommen könnte, die das Inkrafttreten des Reformvertrages auf die Zeit nach den Europawahlen und damit auch auf die Zeit nach der tschechischen Präsidentschaft verschiebt.“
Vizepremier Vondra will lieber nicht spekulieren und übt sich stattdessen in Pragmatismus:
„Das einzige, womit wir heute sicher rechnen können, ist die Unsicherheit, und damit auch die Notwendigkeit, auf alles vorbereitet zu sein. Man kann so etwas als Belastung oder als Herausforderung sehen. Ich persönlich war immer für die zweite Möglichkeit. Der Ratsvorsitz wird für uns ein Test sein. Er wird zeigen, wie flexibel und wie realistisch wir sein können, und ob wir mit Bedingungen zurechtkommen, die vielleicht erst in letzter Minute klar werden. Für die Regierung und die staatliche Verwaltung wird es sich also um eine Art Reifeprüfung handeln, um einen Test unserer diplomatischen Fähigkeiten.“
Ob der Reformvertrag nun vor, während oder nach der tschechischen Präsidentschaft in Kraft tritt – eine wirkliche Überraschung wird keine der drei Möglichkeiten sein. Es gibt eben nur mehrere Varianten, auf die Prag sich vorbereiten muss, und damit mehr Arbeit für das relativ kleine EU-Land Tschechien. Der Verantwortliche in der tschechischen Regierung ist jedenfalls zuversichtlich.
„Natürlich wird die Zeit, in die unser Vorsitz fällt, nicht gerade die komfortabelste sein. Aber wir werden uns dieser Aufgabe stellen, und ich zweifle nicht daran, dass wir sie bewältigen werden. Und zwar gut!“ so Vizepremier Alexandr Vondra.