Nicht nur Königin der Nacht: Die Sopranistin Lucie Kaňková
Die Sopranistin Lucie Kaňková siegte in den vergangenen Jahren bei mehreren Gesangswettbewerben. Sie lebt in der Schweiz und tritt in verschiedenen Opernhäusern Europas auf. Derzeit singt sie in der Prager Staatsoper Donizettis Lucia die Lammermoor.
Frau Kaňková, Sie stammen aus einer Musikerfamilie – nicht nur Ihre Eltern, sondern auch Ihr Großvater und weitere Ihre Vorfahren waren renommierte Musiker und Komponisten. Sie studierten zuerst Geige, aber später haben Sie sich doch für den Gesang entschieden. Was war der Beweggrund?
„Ich habe tatsächlich 20 Jahre lang Geige gespielt, weil alle meine Verwandten Instrumentalisten sind und niemand singt. Ich bin mindestens die vierte Musikergeneration mütterlicherseits und die dritte väterlicherseits. Deswegen habe ich als Kind mit Klavier und Geige angefangen. Ich wollte eigentlich schon immer singen. Aber die Stimme hat eine gewisse Zeit gebraucht, bis sie vorbereitet war. Als ich knapp 22 Jahre alt war, ging ich in die Schweiz und dort fand ich meine Gesanglehrerin und entdeckte, dass der Gesang die Zukunft für mich ist.“
Warum gerade die Schweiz? War das ein Zufall?
„Ich glaube nicht unbedingt an Zufälle. Ich denke, es hat mich irgendwie dorthin gezogen. Ich suchte auch in Deutschland nach Gesanglehrern, aber plötzlich fand ich eine wundervolle Frau – Barbara Locher – die in Luzern und in Bern unterrichtete. Es hat sofort funktioniert, ich begann bei ihr zu lernen, und alles war perfekt.“
Was war für Sie der Türöffner, um auf die Opernbühne zu gelangen? Waren das die Siege bei den internationalen Gesangswettbewerben?
„Ich glaube, das war der Antonín-Dvořák-Wettbewerb in Karlsbad, den ich 2016 gewann. Ich habe dann, glaube ich, 15 weitere Preise bekommen – von Theatern, von Orchestern und von Festivals. Das öffnete mir die Tür, und ich fing allmählich an, auf der Bühne zu singen.“
In welchem Opernhaus sangen Sie zum ersten Mal?
„Das war in Troppau (tschechisch Opava, Anm. d. Red.). Dort gibt es ein kleines Operntheater. Sein Musikdirektor Vojtěch Spurný entdeckte mich sozusagen und wollte mit mir zusammenarbeiten. Ich sang dort wichtige Rollen wie Gilda in Verdis ,Rigoletto‘, Violetta in ,La traviata‘, Ännchen in Webers Oper ,Der Freischütz‘ oder Susanna in ,Le nozze die Figaro‘ . Alle diese Hauptpartien studierte ich dort gemütlich und langsam ein und war dadurch bereit, auf den großen Bühnen zu singen. Es folgten Opernrollen in Prag, Pilsen, Ostrau und Budweis. Ich trat auch im Ausland auf, vor kurzem sang ich in Schaffhausen in der Schweiz, wo ich auch wohne. Ich sang Gilda in Liège und freue mich auf weitere Produktionen. Auch in Budapest trat ich auf. Und jetzt war ich in Japan. Derzeit singe ich auch in der Slowakei. Die Tür in die Opernwelt öffnet sich immer mehr, und das freut mich.“
Nach dem Antonín-Dvořák-Wettbewerb siegten Sie auch bei anderen Gesangwettbewerben. Wie bereiten Sie sich auf einen Wettbewerb vor, was spielt dabei eine große Rolle?
„Ich habe inzwischen gelernt, dass man schauen muss, wer in der Jury sitzt. Wenn die Jury aus Menschen aus Italien zusammengestellt ist, muss man italienisches Repertoire singen. Da singe ich nicht die Königin der Nacht, weil sie einfach Belcanto hören wollen. Man muss sich auch psychisch vorbereiten, man braucht eine gewisse Ruhe. Man darf nicht am Tag vor dem Wettbewerb reisen, das ist immer gefährlich – das Reisen mit Zügen und Flüge machen müde. Die Stimmbänder sind so winzig und brauchen Ruhe und Zeit, sich vorzubereiten. Das sind die wichtigsten Punkte.“
Während der Corona-Zeit waren die Theater geschlossen. Die meisten Sänger konnten nur zu Hause üben. Wie haben Sie diese Zeit genutzt?
„Ich habe mich ausgeruht. Ich habe etwa zwei, drei Monate gar nicht gesungen und meine Stimme hat sich eigentlich entwickelt. In Tschechien durften wir im Theater proben, aber natürlich nicht auftreten. Wir studierten wunderbare Produktionen ein, in Pilsen beispielsweise ,L’incoronazione die Poppea‘ von Monteverdi. Mit dem Stück gastieren wir im Mai in Bayreuth. Ich kann nicht sagen, dass ich damals nichts gemacht hätte.“
In der Zeit nahmen Sie auch ein Video mit der Arie der Königin der Nacht auf, das großen Erfolg feierte…
„Dann schickte ich den Clip ab und bekam den Preis für das beste Bühnenbild und das beste Kostüm. Einfach als Königin im Pyjama im Zimmer zu Hause mit einem Karaoke-Video. Das war wirklich lustig, aber es hat sich gelohnt.“
„Während der Corona-Zeit fanden viele Wettbewerbe online statt. Ich habe eine lustige PR-Managerin, die mir sagte: ,Du musst dich dort anmelden und etwas zu Hause aufnehmen.‘ Ich habe überlegt, was ich machen könnte. Ich habe gegooglet und fand auf Youtube eine Karaoke-Version der Königin der Nacht. Diese habe ich vom Computer abgespielt und einfach im Pyjama auf dem Sofa die Arie gesungen. Dann schickte ich den Clip ab und bekam den Preis für das beste Bühnenbild und das beste Kostüm. Einfach als Königin im Pyjama im Zimmer zu Hause mit einem Karaoke-Video. Das war wirklich lustig, aber es hat sich gelohnt. Anschließend wurde ich nach Liège zum Vorsingen eingeladen, wo ich zurzeit singe. Auch aus Budapest erhielt ich eine Einladung. Viele interessante Leute haben mich gehört.“
In der Prager Staatsoper singen Sie bald die Titelrolle in einer konzertanten Aufführung von Donizettis „Lucia die Lammermoor“. Der Dirigent ist Andriy Yurkevych, der Musikdirektor der Staatsoper. Haben Sie ihn schon zuvor getroffen?
„Er hat diese Arie der Königin der Nacht gehört und mich daraufhin zu einem Konzert nach Odessa eingeladen. Unter seiner Leitung sang ich auch in ,La Traviata‘ in Chişinău in Moldawien. In Prag haben wir uns wieder getroffen. Und nun singe ich Lucia di Lammermoor.“
Sangen Sie die Partie schon irgendwann einmal zuvor?
„Nein, leider noch nicht. Das war immer mein Traum. Ich bin froh, dass ich jetzt die Gelegenheit bekam.“
Haben Sie bestimmte Vorbilder? Inspirieren Sie sich an namhaften Opernsängerinnen?
„Ich muss ehrlich sagen, dass ich kein wirkliches Vorbild habe. Ich suche aber gern nach verschiedenen Interpretationen und dann finde ich meine eigene.“
Was für Partien erwarten Sie in den nächsten Monaten?
„Demnächst singe ich in der wunderbaren Produktion von Monteverdis ,L’incoronazione die Poppea‘. Im Mai führen wir die Oper in Bayreuth auf, vorher im April in Pilsen. Zudem singe ich die Königin der Nacht – in Tschechien sowie in der Slowakei. Ich freue mich auf eine Neuproduktion von Donizettis ,Anna Bolena‘ im Juni in der Oper in Košice in der Slowakei.“
Während des Sommers finden jedes Jahr Musikfestspiele statt. Werden Sie auch bei einem Festival singen?
„Ja, ich fliege im Sommer nach Südafrika. In Johannesburg gibt es ein Orchester, das mehrere Konzerte veranstaltet, die online gestreamt und auch aufgezeichnet werden und die mehrere TV-Sender in Europa und in den USA ausstrahlen. In diesem Jahr organisieren sie eine Operngala, und es freut mich, dass ich dort viele Arien vortragen kann. Das wird ein ganz neues Erlebnis sein.“
Haben Sie eine Traumrolle, die Sie noch nie gesungen haben?
„Das ist schwierig zu sagen. Eigentlich war das die Lucia, die ich nun singen werde. Ich mag es, die Opernstile zu wechseln. Ich habe Barockopern sehr gern, aber kann mir nicht vorstellen, die ganze Zeit nur Barockmusik zu singen. Ich muss sagen, alles, was ich singe, bringt mir etwas Neues. Ich lerne viele neue Dinge und ich mag diese Diversität. Ich kann nicht behaupten, dass ich eine Traumrolle habe, die ich unbedingt singen möchte – vielleicht die Partie der Norma oder Mozarts Constanze würde ich gern singen. Aber ich kann nicht sagen: Das ist die eine Rolle.“
Haben Sie noch Zeit und Lust, Geige zu spielen?
„Es tut weh. Die Finger bewegen sich nicht mehr so schnell. Manchmal spiele ich. Aber jetzt habe ich vermutlich zwei Jahre lang nicht gespielt. Ich fühle mich als Sängerin wohler und besser auf der Bühne.“
Sie fanden, wie Sie sagten, eine wunderbare Lehrerin in der Schweiz. In wieweit ist der Gesangslehrer für einen künftigen Opernstar wichtig?
„In meinem Fall spielte die Gesangslehrerin eine besonders relevante Rolle.“
„Er ist sehr wichtig. In meinem Fall spielte die Lehrerin eine besonders relevante Rolle, weil meine Stimme am Anfang sehr winzig und nicht wahnsinnig interessant war. Ich musste viel studieren und die Gesangstechnik Schritt für Schritt aufbauen, alles von Anfang an. Mit Barbara Locher habe ich mindestens acht Jahre intensiv gearbeitet, bis die Stimme wirklich ,saß‘. Ich muss sagen, ohne sie wäre ich nie so weit gekommen. Dadurch habe ich auch viel darüber gelernt, wie der Körper funktioniert, wenn man singt. Ich unterrichte selbst auch sehr gern. Viele Kollegen vom Theater kommen manchmal zu mir und stellen mir Fragen. Ich unterstütze wirklich gern andere Menschen, weil ich selber Probleme hatte. Meine Tipps helfen meistens. Vermutlich werde ich in der Zukunft auch Lehrerin sein.“
Lucie Kaňková singt die Titelrolle in der konzertanten Aufführung von Donizettis Oper „Lucia die Lammermoor“, die an diesem Samstag in der Prager Staatsoper stattfindet. Das Konzert beginnt um 19 Uhr. Es gibt noch Restkarten.