Nicht nur in Prag: Neue Proteste gegen Babiš geplant
Die Bürgerinitiative „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ will Ende Februar eine Serie von Diskussionsrunden an verschiedenen Orten Tschechiens starten. Die Vertreter der Initiative haben diese Woche über ihre Pläne gesprochen.
Bei der Großdemonstration im November forderten die Vertreter der Bürgerinitiative den tschechischen Regierungschef dazu auf, bis zum Jahresende seinen Interessenskonflikt zu lösen oder als Premier zurückzutreten. Und sie versprachen, am 7. Januar einen Plan weiterer kreativer Proteste zu veröffentlichen, sollte Babiš nicht zurücktreten. Aus dem Grund sprachen die Vertreter der Initiative am Dienstag gegenüber den Medien. Benjamin Roll ist Mitgründer von „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“:
„2019 hat die Zivilgesellschaft ihre Kraft gezeigt und einen massiven Widerstand gegen den Missbrauch von Macht und Wählervertrauen durch den Premier und seine Verbündeten demonstriert. Die 1500 Proteste an insgesamt 370 Orten in ganz Tschechien und die beiden Großdemonstrationen auf der Prager Letná zeugen davon, dass den Bürgern die Demokratie sowie die Lage staatlicher Institutionen nicht gleichgültig sind. Andrej Babiš ignoriert die Bürger und ihre Proteste, die auch im Ausland die Aufmerksamkeit geweckt haben. Anstelle darauf entsprechend zu reagieren, lügt der Premier ständig über seine Probleme und verunglimpft seine Kritiker.“Der Premier hat zwar seinen Konzern Agrofert an zwei Treuhandfonds übergeben, doch Beobachter kritisieren, dass er weiterhin Einfluss auf die Firma hat. Zudem beteiligt sich der Chef der Partei Ano an den Entscheidungen über die Zuteilung von Fördergeldern für seine Holding. Mittlerweile hat laut Roll ein Audit der EU-Kommission bestätigt, dass sich Babiš wirklich in einem Interessenskonflikt befindet und dieses Problem gelöst werden muss:
„Der Premier hat die Tschechische Republik als Geisel genommen. Er hat sich dazu entschieden, nicht nur die Zivilgesellschaft, sondern auch die EU-Kommission zu ignorieren. Es zeigt sich, dass er auch die Staatsverwaltung zu diesem Zweck missbraucht. Sie dient nicht mehr den Interessen Tschechiens, sondern den Interessen eines Oligarchen. Der Premier bemüht sich, den Eindruck zu erwecken, als gebe es keinerlei Probleme. Er will die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von sich ablenken. Die Probleme des Premierministers verschwinden aber nicht so einfach, sie werden im Gegenteil immer größer. Wenn die Staatsverwaltung auf die EU-Audits nicht entsprechend reagiert, werden die Probleme noch größer. Das Verhalten des Premiers lässt sich nicht akzeptieren.“Menschen quer durch Tschechien aktivieren
Ende Februar will die Bürgerinitiative eine Serie von Veranstaltungen starten, sie nennt diese einen „Staffellauf für die Demokratie“. Im Herbst finden Regionalwahlen in Tschechien statt. Die Aktivisten wollen darum binnen drei Monaten in allen Kreisstädten und abschließend auch in Prag sogenannte Diskussionstreffen organisieren. Dabei sollten auch wichtige kommunale und regionale Probleme besprochen werden, sagt der Gründer der Initiative, Mikuláš Minář.„Da die Probleme des Premiers immer ernster werden, verlangen wir auch weiterhin, dass er zurücktritt. Wir werden im ganzen Land die wichtigsten Informationen über diese Probleme verbreiten. Damit steigern wir den Druck der Zivilgesellschaft auf Babiš und bieten den Menschen in den Regionen einen Raum für ihre eigenen Initiativen und ihre Kreativität. Die Treffen in den Kreisstädten stellen nur den Anfang dar. Bis Juni 2021 wollen wir quer durch ganz Tschechien reisen. Viel mehr als um den Rücktritt des Premiers geht es uns jedoch um die Zukunft nach Babiš. Unser Hauptziel für die kommenden zwei Jahre ist es, dass 2021 bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus demokratische Parteien siegen.“
Die Initiative will weiterhin die Zivilgesellschaft aktivieren. Von den demokratischen Oppositionsparteien erwartet sie eine klare Vision und zudem die Bemühung, neue Wähler anzusprechen und vernünftig zusammenzuarbeiten. Minář hat wiederholt betont, seine Bürgerinitiative wolle sich nicht in eine Partei umwandeln. Bei den Regionalwahlen im Oktober dieses Jahres wird sich seinen Worten zufolge zeigen, ob die Parteien imstande sind, sich auf eine Form der Zusammenarbeit zu einigen. Sollte das nicht gelingen, wäre dies laut dem Bürgeraktivisten ein Zeichen dafür, dass auch bei den Parlamentswahlen im darauffolgenden Jahr nicht mit einer größeren Kooperation gerechnet werden kann. In diesem Fall wolle man noch bedeutend kritischer werden, so Minář.
Benjamin Roll betonte gegenüber Radio Prag International, die Teilnahme der Bürger an den Demonstrationen im vergangenen Jahr habe Hoffnungen geweckt:„Auch wenn Andrej Babiš oder die kritisierte Justizministerin Marie Benešová nicht zurückgetreten sind, denken wir, dass die Proteste eine noch tiefere Verletzung demokratischer Prinzipien in der Staatsverwaltung verhindert haben. Wir haben uns davon überzeugt, dass es in ganz Tschechien aktive Menschen gibt, die sich uns anschließen wollen. Die Proteste und Diskussionen im Rahmen des ,Staffellaufs für die Demokratie‘ werden nicht von Prag aus veranstaltet, sondern von den Bewohnern der jeweiligen Stadt.“
Nichtwähler ansprechen
Bei der bisher letzten Demonstration in Prag im Dezember vergangenen Jahres hatten die Organisatoren zum ersten Mal auch die Vertreter der demokratischen Oppositionsparteien und der Sozialdemokraten auf das Podium eingeladen. Die mitregierenden Sozialdemokraten kamen allerdings nicht. Die Politiker sollten damals unter anderem die Frage beantworten, wie sie die Wähler von Babišs Partei Ano sowie die zahlreichen Nichtwähler im Land ansprechen wollen.„Denn es zeigt sich, dass mit der Kritik an Andrej Babiš allein nicht viel erreicht wird. Es ist notwendig, etwas Positives, eine klare Vision für die Zukunft zu bieten. Ich meine, dass die Politiker auch ihr Denken ändern müssen. Die Bürger vermissen bei ihnen den Willen zu siegen und interessieren sich auch deswegen nicht für die Politik. Das beginnt schon damit, wie die Politiker mit der Öffentlichkeit kommunizieren. Ich halte es für ein großes Problem, wie ganz allgemein in der Öffentlichkeit miteinander geredet wird“, so Benjamin Roll.
Einen der Gründe sieht der Aktivist darin, dass der rasende Boom der Social Media unterschätzt wurde. Auch die mediale Erziehung in den Schulen sei Jahre lang sehr bescheiden gewesen, meint er. Man habe vermutlich nicht damit gerechnet, dass sich die Social Media so schnell entwickeln werden.„Andererseits haben wir dank ihnen die Möglichkeit, die Menschen im ganzen Land sehr bequem anzusprechen. Zugleich fehlt es aber an der Fähigkeit, kultiviert miteinander zu kommunizieren. Wir möchten auch dies ändern. Dazu wollen wir mit unserer Rhetorik beitragen.“
Warum hat „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“ quer durch die Gesellschaft so viele Sympathisanten gefunden?
„Auf einmal waren wir als neue Gesichter da. Wir waren nicht die alt bewährten Aktivisten, die schon immer protestiert haben. Ich halte es für wichtig, dass sich die Menschen, die an unseren Protesten teilnehmen, anständig verhalten. Die Demonstrationen waren kultiviert, es gab dort keinen Hass, keine Zornausbrüche oder Beschimpfungen. Auch wenn uns so etwas vorgeworfen wird. Aber diejenigen, die an den Protesten teilgenommen haben, konnten eine gute Atmosphäre erleben. Uns ist es gelungen, mit den Menschen auf einer Wellenlänge zu liegen“, sagt Benjamin Roll.