Großdemo: Hunderttausende fordern Babišs Rücktritt

Proteste gegen Premier Babiš (Foto: ČTK / Ondřej Deml)

Die Proteste gegen Premier Babiš haben eine neue Dimension erreicht. Die Demonstration am Sonntagnachmittag in Prag war die bisher größte seit der Samtenen Revolution von 1989.

Proteste gegen Premier Babiš  (Foto: ČTK / Ondřej Deml)

Benjamin Roll  (Foto: Ben Skála,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0
Über 250.000 Menschen aus ganz Tschechien waren es mindestens. Die gesamte freie Fläche auf der Letná-Anhöhe oberhalb der Moldau war voll. Das letzte Mal, dass noch mehr Menschen hierzulande zu einer Demo zusammengekommen sind, war im Dezember 1989. Damals war das kommunistische Regime das Ziel des Protests, heute ist es die Regierung von Premier Andrej Babiš (Partei Ano).

„Ich dachte nicht, dass die Menschen noch einmal die Letná füllen müssten. Es ist aber anders. Wir sind hier, um für Demokratie zu demonstrieren. Danke, dass Ihr gekommen seid“, so Benjamin Roll.

Der 25-jährige Theologiestudent ist einer der beiden Sprecher des Netzwerks, das die Kundgebung organisiert hat. Diese Initiative nennt sich „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“. Roll eröffnete die Kundgebung am Sonntag. Er erinnerte daran, dass Premier Andrej Babiš im Verdacht steht, unrechtmäßig von EU-Subventionen profitiert zu haben. Und dass der Regierungschef versucht, die Justiz zu manipulieren, um eine drohende Anklage abzuwenden.

„Wir demonstrieren für eine unabhängige Justiz und gegen die schlechte Regierung. Wir haben mittlerweile erreicht, dass wohl jeder die Probleme unseres Premierministers kennt“, so Roll.

Mikuláš Minář  (Foto: ČTK / Vít Šimánek)
Seit April veranstaltet das Netzwerk seine Groß-Demonstrationen, und das mit wachsendem Zuspruch. Politiker treten bei den Kundgebungen nicht auf. Stattdessen waren es zahlreiche Intellektuelle und Künstler wie etwa der Liedermacher Tomáš Klus, die zu den Menschen sprachen oder für sie sangen.

Mikuláš Minář, ebenfalls Student, ist Gründer der Plattform „Eine Million Augenblicke für die Demokratie“. Er sagte vor der Protestmenge:

„Es geht nicht nur um die Justiz. In unserem Land müssten viele wichtige Dinge angegangen werden. Doch die Regierung kümmert sich nicht darum, weil der Premier zu sehr mit seinen eigenen Problemen beschäftigt ist. Es kann nicht sein, dass eine Person, gegen die die Polizei ermittelt, unser Regierungschef ist. Babis ist ein ehemaliger Agent des kommunistischen Geheimdienstes, ein Oligarch, der Medien besitzt und Hunderte Millionen Kronen an Fördergeldern aus der Tasche der Steuerzahler kassiert. Wir werden nicht so tun, als ob all das normal wäre. Wir fordern den Rücktritt von Andrej Babis!“

Foto: Jaroslava Moučková
„Rücktritt“ oder auch „Uns reicht´s“ skandierten die Menschen auf der Letná. Premier Babiš hat aber bereits mehrfach gesagt, dass er nicht daran denke, wegen der Protestkundgebungen den Regierungsvorsitz niederzulegen. Und auch im Abgeordnetenhaus genießt er weiterhin ausreichend Unterstützung, obwohl die konservative Opposition diese Woche ein Misstrauensvotum versuchen möchte. Bei den Europawahlen wurde Babišs Partei Ano erneut stärkste Kraft, und zwar mit gut 21 Prozent der abgegebenen Stimmen.

Auch deswegen gingen unter den Demonstrierenden die Ansichten auseinander, ob sich etwas in ihrem Sinne ändern werde. Zwei Hauptstädterinnen sagten gegenüber Radio Prag, dass sie vor 30 Jahren schon bei der Riesendemo auf der Letná gewesen seien. Sie verglichen die Situation damals und heute:

Foto: Till Janzer
„Im Jahr 1989 haben wir gemerkt, dass es zu einem Wandel kommen wird. Hier spüre ich das nicht, trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich hier sein muss“, so eine der beiden Frauen.

Die andere fügte hinzu:

„Die Menschen erhalten dadurch all jene Informationen, die sie sonst nicht bekommen, wenn sie nicht aus eigenem Antrieb danach suchen. Das dringt so langsam den Leuten ins Bewusstsein, und vielleicht geschieht in kleinen Schritten dann doch etwas.“

Die Veranstalter haben angekündigt, dass sie im Herbst mit den Demonstrationen weitermachen wollen. Sie haben dazu symbolisch das Wochenende um den 17. November gewählt. An diesem Tag vor 30 Jahren begann die Samtene Revolution in der damaligen Tschechoslowakei.