Große Prager Demonstration gegen Babiš

Foto: Martina Schneibergová

Fragen und Antworten

Foto: Martina Schneibergová

Warum wird demonstriert?

Die Demonstranten fordern den Rücktritt von Premier Andrej Babiš. Sie protestieren gegen seinen möglichen Interessenskonflikt als Unternehmer und Regierungschef. So stört sie besonders, dass der Konzern Agrofert umfangreiche Zuschüsse aus EU-Fonds erhält. Babiš war bis 2017 Eigner des Unternehmens und hat es dann an zwei Treuhandfonds überführt. Die Kritiker verweisen jedoch darauf, dass Andrej Babišs Kapital weiter in dem Konzern steckt, und sie glauben, dass er aus seiner Funktion als Premier heraus die Vergabe von Fördergeldern an die Firma beeinflusst. Diesen Verdacht haben auch Auditoren der Europäischen Kommission geprüft. Ihre Erkenntnisse sind bisher nicht offiziell bekannt gemacht worden, die Nachrichten über die vorläufigen Ergebnisse legen jedoch nah, dass Tschechien die Rückzahlung von mehreren Milliarden Kronen an EU-Fördergeldern droht.

Ein weiterer Grund für die Proteste ist der Verdacht, dass Andrej Babiš versucht, ein laufendes Strafverfahren zu beeinflussen. Die Polizei hat bei ihren Ermittlungen nämlich festgestellt, dass Babiš am Betrug mit EU-Fördergeldern beim Bau des Luxusressorts „Storchennest“ beteiligt war. Nur einen Tag, nachdem die Polzei im April der Staatsanwaltschaft vorschlug, alle Beschuldigten inklusive Babiš anzuklagen, wurde der Justizminister ausgetauscht. Die Demonstranten sehen darin einen versuchten Eingriff in die Ermittlungen und fordern deswegen auch den Rücktritt der neuen Justizministerin Marie Benešová.

Wie reagiert Babiš auf die Forderungen?

Andrej Babiš weist alle Vorwürfe und Anschuldigungen von sich. Der Premier betont, dass weder die Ermittlungen in Tschechien noch das europäische Audit bisher beendet sind. Babiš glaubt, dass er weder gegen Gesetze noch weitere Regeln verstoßen habe. Er nennt die Anschuldigungen eine gezielte Kampagne gegen sich und hat einen Rücktritt als Regierungschef ausgeschlossen. Die Partei Ano, deren Chef Babiš ist, hat nicht nur mit großem Vorsprung die vergangenen Parlamentswahlen gewonnen (29,6%), sondern auch vor rund einem Monat die Wahlen zum Europaparlament (21,1%). Das heißt, trotz der Massenproteste genießt der tschechische Premier weiter Unterstützung durch einen Großteil der Wähler.

Wer organisiert die Proteste?

Die Proteste werden nicht direkt von der Opposition organisiert. Zu den Demonstrationen hat vielmehr der Verein „Milion chvilek pro demokracii“ (Eine Million Augeblicke für die Demokratie) aufgerufen, der bisher noch bei keiner Wahl kandidiert hat. Der Vereinsvorsitzende ist Mikuláš Minář.

Wie lange gehen die Proteste bereits?

Ursprünglich hatte der Verein „Milion chvilek pro demokracii“ einen Aufruf zum Rücktritt von Premier Babiš verfasst. Innerhalb von einhundert Tagen ab dem 25. Februar2018 wollte man eine Million Unterschriften unter dem Aufruf sammeln. Darin heißt es, dass ein „Mensch, der als Mitarbeiter des kommunistischen Geheimdienstes StB geführt wurde und gegen den deswegen ein Strafverfahren läuft“ nicht die Regierung führen dürfe. Die Million Unterschriften kamen zwar nicht zusammen, aber der Verein organisiert seit vergangenem Jahr mit zunehmendem Erfolg Demonstrationen für die Durchsetzung seiner Forderungen. Bei der letzten Kundgebung Anfang Juni kamen nach Schätzungen rund 120.000 Menschen zusammen. Bisher fanden die Demonstrationen auf dem Prager Wenzelsplatz statt, für Sonntag (23. Juni) haben die Organisatoren aus symbolischen Gründen die Letná-Anhöhe gewählt. Dort fand 1989 die bisher größte Kundgebung in der Geschichte Tschechiens und der Tschechoslowakei statt, damals richtete sie sich gegen das kommunistische Regime.