Nicht nur zur Weihnachtszeit - Die Rolle von Stiftungen in der Tschechischen Republik 12 Jahre nach der Samtenen Revolution
Machen wir nun, verehrte Hörer, aus den Zeiten Bozena Nemcovas einen Sprung zurück in die Gegenwart. Ebenso wie es für uns heute selbstverständlich ist, zu Weihnachten nahe stehende Personen zu beschenken - und wir von Jahr zu Jahre eine zunehmende Kommerzialisierung dieser Tradition erleben - ebenso sind aus der Vorweihnachtszeit heute die zahlreichen Spendenaufrufe wegzudenken, denen wir täglich in den Fußgängerzonen oder beim Blick in den eigenen Briefkasten begegnen. Mit ihnen erinnern karitative Organisationen und Stiftungen daran, dass es in vielen Teilen der Welt, aber auch in unserer nächsten Umgebung, Menschen gibt, denen es - weit entfernt von dem Gedanken an Geschenke - an ganz elementaren Dingen fehlt. Insbesondere zu Weihnachten - dem Fest der Liebe - appellieren diese Organisationen verstärkt an das Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen, über den Tellerrand der eigenen Familie und Freunde hinweg, auch an diejenigen zu denken, denen es schlechter geht als uns und die auf die Hilfe anderer angewiesen sind. Ein Beispiel für eine solche Stiftung, die in Tschechien im Zuge der gesellschaftlichen Differenzierung nach 1989 entstanden ist, ist die Olga Havel Stiftung, gegründet von der verstorbenen ersten Frau von Präsident Vaclav Havel. Letzterer war es, der von Anfang an immer wieder nach der Stärkung der Bürgergesellschaft - und somit auch der Stiftungen als einer ihrer wichtigen Bestandteile - rief und deren Bedeutung für die gesellschafliche Transformation betonte. Wie sich die Stiftungslandschaft seither entwickelt hat, und welche Stellung die Olga Havel Stiftung darin einnimmt, ist Gegenstand des zweiten Teils unserer heutigen Weihnachtssendung.
"Olga Havel hat die Stiftung mit der Idee gegründet, behinderten, alten oder kranken Menschen, die in verschiedenen Anstalten leben müssen, die Freiheit zu geben, in ihren Familien und in der Gesellschaft zu leben. Z.B. dürfen behinderte Kinder seit Beginn der neuen Zeit - also seit Anfang der 90er Jahre - in normale Schulen gehen. Das war eine große Errungenschaft, wurde von unserer Stiftung ermöglicht, aber es war gleichzeitig auch eine große Bewegung unter den Eltern der behinderten Kinder etc. Und unsere Stiftung hat von Anfang an all diese Tendenzen und Projekte unterstützt. Später hat sich gezeigt, dass so viele Bürgerinitiativen zur Förderung dieser Ziele entstanden sind, dass wir unsere Ideen durch diese Bürgerinitiativen realisieren konnten."
Weiter unterstützt die Olga Havel Stiftung, deren Vorgängerin - das "Komitee des guten Willens" bereits Anfang 1990, also unmittelbar nach der Samtenen Revolution gegründet wurde, etwa kulturelle Initiativen für die Roma-Minderheit und setzt sich für die Zusammenarbeit verschiedener ethnischer Gruppen ein. Jedes Jahr vergibt sie einen Preis an einen behinderten Menschen, der sich - auf der Suche nach einer nützlichen Rolle in der Gesellschaft - trotz seiner eigenen Krankheit auch für die Bedürfnisse anderer stark gemacht hat. Unterstützt wird die Olga Havel Stiftung dabei sowohl wirtschaftlich als auch ideell von mehreren Partnerorganisationen:
"Nach der Gründung unserer Stiftung entstanden sehr viele Schwesterorganisationen im Ausland. Und einer der aktivsten sind heute die 'Freunde und Förderer der Olga Havel Stiftung' in Deutschland, mit Sitz in Berlin. Dieser Verein wurde von Sabine Grusa, der Frau des ehemaligen tschechischen Botschafters in Deutschland und Dichters, Jiri Grusa, gegründet. Die Botschafter wechseln und die Beziehungen dazu sind unterschiedlich. Aber heute haben wir auch Unterstützung vom gegenwärtigen Botschafter - und besonders von seiner Frau."
Doch kehren wir noch einmal zurück zu der eingangs aufgeworfenen Frage, wie es eigentlich zwölf Jahre nach der "Samtenen Revolution" von 1989 in Tschechien mit der Rolle von Stiftungen bestellt ist?
"Es gibt etwa 300 Stiftungen heute in unserem Land. Das ist schon eine gute Konkurrenz, weil die Quellen beschränkt sind. Auf der anderen Seite bilden die Stiftungen bereits Stiftungskapital und können davon auch leben. Also sie haben nach zwölf Jahren doch eine Ebene erreicht, wo sie auch eigenes Geld haben und nicht nur von Spenden leben."
Während des Sozialismus durften Stiftungen kein eigenes Kapital haben, und so waren Stiftungen im westlichen Sinne nach der "Samtenen Revolution" ein völlig neues Phänomen. Der größte Teil der Stiftungsgelder der Olga Havel Stiftung fließt heute in Integrationsprogramme für Behinderte, in die Unterstützung von Pflegefamilien für Waisenkinder und in Programme für Asthma kranke Kinder. Weiterer wichtiger Schwerpunkt der Stiftung ist die Förderung von Bürgerinitiativen und Institutionen, die sich um möglichst würdige Bedingungen für alte Menschen bemühen. Gleichwohl appelliert die Stiftung auch an die Spendenbereitschaft der Bevölkerung. Mit ihrer diesjährigen Weihnachtsspenden-Aktion erinnert sie daran, dass es in Tschechien immer noch Menschen gibt, die seit Monaten kein eigenes Dach über dem Kopf haben.
"Unsere Stiftung hat ein Konto für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe im August dieses Jahres gegründet. Dieses Konto ist bereits leer, und trotzdem bekommen wir so viele Anträge, soviel Leute kommen und fragen, ob sie noch etwas bekommen können. Die Leute sind verzweifelt, wenn sie im August ihre Häuser verloren haben und in der Weihnachtszeit noch kein Dach über dem Kopf haben."
Zur Aufstockung ihres Hochwasser-Kontos hat die Olga Havel Stiftung eine Serie von Streichholzschachteln mit unterschiedlichen Krippen-Motiven - Schafe, Esel, Jesuskinder, Sterne - gestaltet:
"Es ist ein tschechisches Phänomen, die Weihnachtskrippen, die tschechischen Krippen sind sehr populär..." Die Streichholzschachteln wurden in der Vorweihnachtszeit an Zeitungskiosken und in Tabakläden verkauft, die Motive waren eher in Comics-Form gehalten, damit hoffte man auch jüngere Käuferschichten anzusprechen, so Milena Cerna. Wie sie eigentlich die Bereitschaft der Tschechen einschätzt, Geld für wohltätige Zwecke auszugeben, wollte ich von ihr wissen:
"Eigentlich ist die Spendenbereitschaft der Leute höher als die Bereitschaft der Firmen."
Die Firmen nämlich, so erklärt sich Milena Cerna diese Beobachtung,
"Die sind nicht überzeugt, dass sie diese karitative Tätigkeit für ihr Image in der Gesellschaft brauchen. Sie fühlen keine Verantwortlichkeit für die Gesellschaft, in der sie leben. Das finden wir eher bei ausländischen Firmen, für die diese Art des Gebens schon Tradition ist."
Um auf Defizite in der staatlichen Sozialpolitik aufmerksam zu machen und das Verantwortungsbewusstsein der Gesellschaft zu stärken - mit diesem Ziel hat Olga Havlova 1990 das "Komitee des guten Willens" ins Leben gerufen. Zwei Jahre später wurde daraus die Olga Havel Stiftung. 1998 schließlich, bereits nach dem Tod ihrer Gründerin, die 1996 starb, wurde die Stiftung unter ihrem heutigen Doppelnamen "Komitee des guten Willens - Olga Havel Stiftung" registriert. Worin sieht die heutige Direktorin Milena Cerna rückblickend das größte Verdienst der Stiftung?
"Vielleicht, dass wir durch Geld, das wir zur Verfügung haben, die Bürgergesellschaft ständig und langfristig unterstützen dürfen, das ist vielleicht die größte Errungenschaft unserer Stiftung."
Entsprechend, so Milena Cerna abschließend, sei ihr größter Wunsch für die nächsten Jahre:
"Dass die NGOs in der Tschechischen Republik immer selbstbewusster werden und dass die Reste des Sozialismus in unserem Land endlich verschwinden."
Und damit, verehrte Hörerinnen und Hörer, sind wir am Ende unseres heutigen Programms. Bleibt uns nur noch, Ihnen für's Zuhören zu danken und Ihnen - wo immer Sie uns gerade hören - wunderschöne, entspannte Weihnachtstage zu wünschen. Wir stehen Ihnen selbstverständlich auch an den Feiertagen und zwischen den Jahren mit Extra-Sendungen zu Diensten und würden uns freuen, wenn Sie die Zeit finden, sich wieder einmal bei Radio Prag einzuschalten. Bis dahin verabschieden sich von Ihnen vom Mikrophon Marketa Maurova und Silja Schultheis.