80 Jahre Tschechischer Rundfunk - Teil II

Am 18. Mai 1923 begann die Geschichte des Tschechischen bzw. Tschechoslowakischen Rundfunks. Aus einem Zelt im Prager Vorort Kbely meldete sich das erste Mal das Radiojournal, wie der Tschechoslowakische Rundfunk bis 1938 hiess. Während der ersten 15 Jahre seiner Existenz war aus dem kleinen Sender ein großer Rundfunkapparat geworden. 1933 war das Radiojournal in das Gebäude in der damaligen Fochstr. Nr. 12 gezogen, in dem der Tschechische Rundfunk noch heute zu Hause ist. Im Laufe der ersten anderthalb Jahrzehnte hatte die Zuhörerschaft sprunghaft zugenommen - von den ersten 27 Konzessionären im Jahre 1923 bis zu über einer Million im Jahre 1937. Der Rundfunk hatte die Rolle des wichtigsten und schnellsten Informationsvermittlers übernommen. In den folgenden Jahrzehnten sollte der Tschechoslowakische Rundfunk aber nicht nur über wichtige Ereignisse berichten - einige Mal standen er und das Rundfunkgebäude im Mittelpunkt des Geschehens.

Am 15. März 1939 kam dem Tschechoslowakischen Rundfunk eine traurige Rolle zu. Der tschechoslowakische Präsident Emil Hacha verkündigte in einer Rundfunkansprache an das Volk die Ergebnisse seines Treffens mit Hitler in Berlin:

"Nach einem längerem Gespräch mit dem Reichkanzler und nach Erwägen der Situation habe ich mich entschlossen, das Schicksal des tschechischen Volkes und Staates mit vollem Vertrauen in die Hände des Führers des Deutschen Volkes zu legen."

Mit der Tschechoslowakei hatte auch der Tschechoslowakische Rundfunk aufgehört zu existieren. Er wurde in Tschechischer Rundfunk GmbH umbenannt. Am 16. März 1939 verkündete der Reichsaussenminister Joachim von Ribbentrop im Rundfunk die Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren.

Im November 1941 wurde der Tschechische Rundfunk Bestandteil des Reichsrundfunk- Senders Böhmen und Mähren und unterstand direkt dem Reichsprotektor. Nach dem Attentat auf den stellvertretenden Reichsprotektor Reinhard Heydrich im Mai 1942 erfuhr die Bevölkerung über den Rundfunk von den Rachemassnahmen der Okkupanten.

Während des Prager Aufstands gegen die deutschen Okkupanten im Mai 1945 spielte der Tschechische Rundfunk eine Schlüsselrolle. Er gab am 5. Mai 1945 das Signal zum Aufstand. Die bereits seit 1939 existierenden Widerstandsgruppen im Rundfunk hatten vereinbart, an diesem Tag nur auf Tschechisch zu senden - zugleich wurden alle deutschen Orientierungsschilder im Labyrinth des Rundfunkgebäudes entfernt. Um 12 Uhr 33 Minuten erfolgte der erste Hilferuf an Bevölkerung, Polizei und Militär mit der Aufforderung, den Kampf um das Rundfunkgebäude zu unterstützen:

"Wir rufen alle Tschechen! Kommt zum Rundfunk. Helft uns. Es gibt Tote, die Deutschen schiessen. Kommt sofort zum Rundfunk. Wir rufen alle Tschechen."

Dieser Hilferuf löste den Prager Aufstand gegen die deutschen Okkupanten aus. Zugleich sendete der Prager Rundfunk Hilferufe an die Alliierten auf Englisch und Russisch.

Das Rundgebäude wurde am 6. Mai von einer Flugbombe schwer getroffen - an ein weiteres Senden vom Gebäude in der damaligen Schwerinstr. war nicht zu denken. Doch die Techniker hatten vorgesorgt. Während ein erbitterter Kampf um das Rundfunkgebäude im Prager Zentrum geführt wurde, sendeten die Tschechen aus einem provisorischen Studio neben dem Sendeturm in Prag-Strasnice und später aus einer Kirche. Während des gesamten Prager Aufstandes strahlte der Rundfunk mit nur kleinen Unterbrechungen Aufrufe, militärische Befehle, Informationen für die Bevölkerung und Soldaten sowie Musik aus - damit war Prag die einzige europäische Stadt, in der ein Rundfunksender während der Befreiungskämpfe rund um die Uhr auf Sendung war. Am 9. Mai 1945 konnte der Prager Rundfunk das endgültige Ende des Krieges verkündigen und die Exilregierung in Prag begrüssen.

So glorreich die Rolle des Rundfunks während des Prager Aufstands im Mai 1945 gewesen war - so schmählich und verräterisch war sie drei Jahre später, als die Kommunisten die Alleinherrschaft anstrebten. Bereits im Juni 1945 hatten die Kommunisten einen ihrer getreuen Anhänger auf dem Posten des Rundfunkchefs durchgesetzt. Dieser arbeitete nicht nur in ihrem Sinne, sondern stellte auch bevorzugt Parteimitglieder ein. Während jener unruhigen Februartage des Jahres 1948, als sich das Schicksal der demokratischen Tschechoslowakei entschied, sendete der Prager Rundfunk kommunistische Propaganda und sozialistische Kampflieder - ohne Zweifel heizte er damals die Stimmung an und trug nicht unwesentlich zur glatten Machtübernahme der Kommunisten bei. In den folgenden vier Jahrzehnten sollte der Tschechoslowakische Rundfunk mit Ausnahme der Jahre 1967 und 68 zu einem Propagandamittel der Kommunisten verkümmern. In den 50er Jahren kam ihm die Rolle zu, über die politischen Prozesse live zu berichten. In Betrieben und Fabriken musste die Belegschaft den Bekenntnissen angeblicher Republikfeinde lauschen, wie im Falle von Milada Horakova, einer nichtkommunistischen Politikerin, die im Juni 1950 hingerichtet wurde.

In offiziellen Geschichten des Tschechischen Rundfunks werden heute die 50er und frühen 60er Jahre gerne übergangen, denn der Rundfunk produzierte nichts Rühmliches. Zu erwähnen ist aus jenen finsteren Tagen, dass 1958 der erste Sender für Ultrakurze Wellen in Betrieb genommen wurde, 1963 die erste Versuchsendung in Stereo ausgestrahlt wurde und 1964 ein neues Programm entstand, das auf UKW sendete. Mit dem beginnenden Prager Frühling lockerte sich die Atmosphäre im Rundfunk. Erstmals wurden Live-Übertragungen von kritischen Versammlungen ausgestrahlt, kamen unzufriedene Bürger zu Wort, fanden Rundfunksdiskussionen statt. Dadurch spielted er Tschechoslowakische Rundfunk eine große Rolle bei den gesellschaftlichen Veränderungen während des Prager Frühlings. Doch in der Nacht zum 21. August 1968 gegen 2 Uhr morgens kam es gerade dem Tschechoslowakischen Rundfunk zu, die Bevölkerung über das Ende der Reformen zu informieren:

"Gestern, am 20. August 1968, gegen 23 Uhr haben Truppen der Sowjetunion, der Polnischen Volksrepublik, der Deutschen Demokratischen Republik, der Ungarischen Volksrepublik und der Bulgarischen Volksrepublik die Staatsgrenzen der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik überschritten. Dies geschah ohne das Wissen des Präsidentender Republik, des Vorsitzenden der Nationalversammlung, des Regierungsvorsitzenden und des Generalsekretärs des ZKs der Partei."

Wie bereits im Mai 1945 wurde auch im August 1968 ein regelrechter Kampf um das Gebäude des Tschechoslowakischen Rundfunks geführt. Der Rundfunk spielte damals eine Schlüsselrolle: die führenden Politiker des Prager Frühlings waren nach Moskau entführt worden - in jenen Tagen war es der Rundfunk, der informierte, organisierte und die Moral der Menschen aufrechterhielt. Damit wurde er zu einer Autorität, die die Moskautreuen Kommunisten so schnell wie möglich verstummen lassen wollten. Dies gelang ihnen nach einigen Tagen auch.

15 Menschen starben damals im August 1968 rund um das Rundfunkgebäude. Bis vor kurzen waren an den Hausfassaden der gegenüberliegenden Gebäude noch Einschusslöcher zu sehen. Nun wurde leider auch das letzte Haus renoviert und alle Spuren jenes Kampfes sind verschwunden. An jene Tote erinnert ebenso wie an die Gefallenen aus den Maitagen des Jahres 1945 eine Gedenktafel am Eingang in das Rundfunkgebäude.

Es begann die Zeit der so genannten Normalisierung und dies auch im Rundfunk - hunderte Angestellte verloren damals ihre Arbeit, betroffen war von jenen Säuberungen übrigens auch Radio Prag, dem es während der Augusttage des Jahrs 1968 gelungen war, illegal aus einer Villa ins Ausland über das Geschehen in Prag zu berichten.

Eine nicht gerade ruhmreiche Rolle spielte der Tschechoslowakische Rundfunk während der samtenen Revolution von 1989. Noch im Fahrwasser der Kommunistischen Partei referierten die Nachrichten über jene Studentendemonstration am 17. November im gewohnten Wortlaut. Erst als sich der Erfolg der Demonstranten abzeichnete schwenkte auch der Tschechoslowakische Rundfunk ins andere Lager um.

1991 trat das Gesetz über private Rundfunksender in Kraft, der Tschechoslowakische Rundfunk verlor seine Monopolstellung, als dutzende von Privat- und Lokalradios zu senden begannen. Am 31. Dezember 1992 endete die Existenz des Tschechoslowakischen Rundfunks. Die Teilung der Tschechoslowakei brachte eine Teilung des Rundfunks mit sich - am 1. Januar 1993 entstanden ein Tschechischer Rundfunk und ein Slowakischer.