Europas Einzelhandelskonzerne buhlen um Tschechiens Kunden

Wer in Prag einkaufen will, hat die Qual der Wahl. Nagelneue Einkaufspassagen mit Dutzenden von Boutiquen und großen Hypermärkten locken die Kunden in der Innenstadt. Auch an allen Ausfallstraßen haben sich in den vergangenen Jahren Einkaufsparks angesiedelt. In anderen Städten des Landes sieht es ähnlich aus. Der tschechische Kunde wird vom Einzelhandel umworben. Seit diesem Sommer mischt dabei auch die deutsche Discount-Kette Lidl mit. Im heutigen Wirtschaftsmagazin wirft Sybille Korte einen Blick auf die aktuelle Situation des Einzelhandels in Tschechien.

Lidl je levny - Lidl ist billig. Mit diesem schlichten, aber einprägsamen Slogan wirbt seit dem Sommer die deutsche Discount-Kette Lidl in Tschechien. Seit Juni hat Lidl hier mehr als 30 Geschäfte eröffnet. Da schrillen bei den Konkurrenten im tschechischen Einzelhandel die Alarmglocken. Denn Lidl gilt als äußerst aggressiv bei der Eroberung neuer Märkte. Und der Einzelhandelsmarkt in Tschechien ist schon jetzt so hart umkämpft wie kaum ein anderer in Europa.

Tomas Drtina beobachtet die Entwicklung des Einzelhandels in Tschechien für das Prager Marktforschungsinstitut Incoma Reserach:

"Im Moment sind rund 15 große internationale Ketten in der tschechischen Republik sehr aktiv. Und bei einem Blick auf die Rangliste der ersten zehn können wir sehen, dass sie alle zu internationalen Gruppen gehören. 1994/95 gab es noch ein tschechisches Unternehmen unter den Leadern. Aber die tschechischen Unternehmen hatten Probleme. Ihnen fehlte besonders das Geld und teils auch das Know How zur Führung einer großen Gesellschaft. So verloren sie an Boden und zur selben Zeit griffen Ausländer sehr stark an. Sie sahen einen neuen Markt, der sich entwickelte. So sind deutsche, niederländische und britische Gesellschaften massiv ins Land gekommen und haben viel Geld investiert."

Zwei Drittel des tschechischen Einzelhandels, so schätzt Drtina, werden bereits von größeren Ketten kontrolliert. Die kleinen Tante-Emma-Läden verlieren Kunden. Viele Tschechen kaufen statt dessen jetzt lieber in Hypermärkten, Supermärkten oder Discountern ein. Die Hypermärkte bieten auf sehr großer Fläche alles unter einem Dach an, was man so zum Leben braucht: von Nahrungsmitteln über Kleidung bis hin zu Möbeln. Zu den Betreibern solcher Märkte in Tschechien gehören die größten europäischen Einzelhandelskonzerne: Carrefour aus Frankreich, Metro und Rewe aus Deutschland, Tesco aus Großbritannien und die Ahold-Gruppe aus den Niederlanden. Ein Kampf der Giganten sozusagen um die Gunst des tschechischen Kunden.

Den höchsten Umsatz erzielt laut jüngstem Jahresüberblick von Incoma Research das Unternehmen Macro, das zur deutschen Metrogruppe gehört. Macro ist allerdings kein Einzelhändler im strengen Sinn, da nur Firmen oder Personen mit Gewerbeschein dort einkaufen können. Auf Macro folgt die niederländische Gruppe Royal Ahold. Sie betreibt in Tschechien die "Hypernova"- und "Albert"-Märkte. Die Deutschen sind im tschechischen Einzelhandel mit einer besonders breiten Palette vertreten, betont Drtina.

"Die Deutschen sind sehr stark, denn sie haben viele Gesellschaften in verschiedenen Marktsegmenten. Besonders stark sind sie in zwei Einzelhandelsbereichen: Erstens bei den Discountern. Es gibt zwei extrem starke Dicount-Ketten: das sind die Penny Märkte, die zur Rewe-Gruppe gehören, und die Plus Discounter von der Tengelmann-Gruppe. Und ich muss Kaufland erwähnen. Die Kaufland-Märkte sind im Moment in der Tschechischen Republik die beliebtesten Geschäfte. 17 Prozent der tschechischen Haushalte geben an, hauptsächlich dort für den täglichen Bedarf einzukaufen. Kaufland gehört zur Lidl-Schwarz-Gruppe. Wenn man die Unternehmen einzeln betrachtet, ist Kaufland im Moment wirklich der große Gewinner."

Die Lidl-Schwarz-Gruppe aus Neckarsulm, die jetzt die Lidl-Discounter eröffnet, hat in Tschechien in den vergangenen sechs Jahren bereits 50 Kaufland-Hypermärkte aufgebaut. Das sind Geschäfte mit meist deutlich mehr als 2500 Quadratmetern Verkaufsfläche. Kauflands Konzept für Tschechien lautet: ein Großflächendiscounter mit billigsten Preisen und guten Dienstleistungen. Wenn jetzt Lidl mit kleineren Discountern folgt, wird der Konzern sich kaum selber Konkurrenz machen wollen. Lidl hat ein völlig anderes Konzept als Kaufland, glaubt Drtina:

"Kaufland ist eine Kombination aus Hypermarkt und Discounter. Diese Märkte bieten dem Kunden sehr vorteilhafte Preise, aber die Produktpalette ist viel breiter als bei Lidl. Lidl-Geschäfte sind viel kleiner. Lidl ist in Deutschland sehr erfolgreich und es scheint, dass es hier auch so sein könnte."

Hypermärkte und Discounter werden bei den tschechischen Kunden immer beliebter. Das geht aus einer Studie hervor, die Incoma Research und die Prager Gesellschaft für Konsumforschung GfK diesen Sommer veröffentlichten. 40 Prozent der tschechischen Haushalte gaben in der Befragung den Hypermarkt als bevorzugte Einkaufsmöglichkeit an, bei 19 Prozent der Haushalte steht der Discounter an erster Stelle. Hypermärkte und Discounter haben gegenüber dem Vorjahr in der Kundengunst deutlich zugelegt. Traditionelle Geschäfte und Lebensmittelsupermärkte hingegen verlieren Kunden. Das traditionelle Geschäft nennen noch 22 Prozent der Haushalte an erster Stelle, den Lebensmittel-Supermarkt 19 Prozent.

Dazu Tomas Drtina:

"Unsere Studien zeigen ziemlich gut, dass die Discounter es schaffen, jedes Jahr rund ein Prozent an Marktanteil zu gewinnen. Sie wachsen also langsam, aber jedes Jahr, vor allem durch Penny und Plus. Jetzt, mit der Expansion von Lidl, ist zu erwarten, dass der Marktanteil von Discount-Märkten weiter wachsen wird. Angst haben nun vor allem Einzelhandelsunternehmen mit Niederlassungen in kleinen Städten. Denn Lidl geht in Orte, die für Hypermärkte nicht attraktiv sind. Lidl kann es sich leisten, in Städte mit 5000, 10.000, 15 000 Einwohnern zu gehen. Die sind zu klein für große Märkte, bringen Lidl aber immer noch genug Profit. Wir erwarten deshalb, dass der Marktanteil der Discounter auf rund 20 Prozent weiter wachsen wird."

Fachkreise gehen davon aus, dass sich der Wettbewerb im tschechischen Einzelhandel weiter verschärfen wird. Überall im Land sind in den vergangenen Jahren hochmoderne Einkaufsparadiese aus dem Boden geschossen. Weitere sind in Planung. Im Moment herrscht eine Art Hypermarkt-Manie. Einige sind sogar rund um die Uhr geöffnet. Doch schon heute gibt es in Tschechien so viele Quadratmeter Hypermarkt-Verkaufsfläche pro Kopf wie nirgends sonst in Europa. Dabei hat die Kaufkraft der Tschechen höchstens die Hälfte der deutschen Kaufkraft erreicht. Kein Wunder, dass im Wettstreit um die Gunst der Kunden und ihr noch schmales Budget mit harten Bandagen gekämpft wird. In der Geschäftsleitung einer großen Discount-Kette heißt es nach dem Start von Lidl zu den Zukunftsaussichten deshalb wörtlich: "Der Wettbewerb wird mörderisch aussehen. Und irgendeiner wird dabei kaputt gehen."

Zum Schaden der Kunden wird's nicht sein. Denn schon jetzt profitieren die Konsumenten vom Wettbewerb der Anbieter. Die locken mit immer niedrigeren Preisen und Sonderangeboten. Der lachende Dritte ist der Konsument.