Bedeutung der Selbstverbrennung des Studenten Jan Palach
Liebe Hörerinnen und Hörer, in einer weiteren Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz geht nun Robert Schuster der heutigen Bedeutung der Selbstverbrennung des jungen Studenten Jan Palach nach, der seinerzeit gegen das gewaltsame Ende des Prager Frühlings und die Besatzung des Landes durch die Sowjets protestierte.
Vergangenen Freitag vergingen genau 35 Jahre seit der Selbstverbrennung des 21jährigen Philosophie-Studenten Jan Palach. Mit seiner Tat vom 16. Januar 1969 wollte Palach auf diese drastische Art und Weise ein Zeichen setzen gegen die wachsende Lethargie, die sich in der damaligen Tschechoslowakei ein knappes halbes Jahr nach der bewaffneten Niederschlagung des Prager Frühlings am 21. August 1968 breit machte. Einige Tage später unterlag dann den der junge Student seinen schweren Verletzungen. Die Beisetzung von Jan Palach geriet zu einem landesweiten stillen Protest gegen die neuen, von Moskau gestützten orthodoxen kommunistischen Machthaber.
Zu den Hauptzielen Palachs, die er in seinem Abschiedsbrief deklarierte gehörte die Forderung nach Beseitigung der Zensur in den Medien, sowie die Einstellung der Herausgabe eines unter sowjetischer Kontrolle verbreiteten offiziellen Nachrichtenblatts. Die damalige Propaganda versuchte naturgemäss die Motive für Palachs Tat zu verschweigen, den Studenten als einen psychisch gestörten Menschen darzustellen, oder wollte weismachen, er hätte sich zu der Tat nicht aus freien Stücken entschieden. So war z.B. in den Tagen kurz nach dem Tod Palachs in den amtlichen Tageszeitungen zu lesen, Palach sei - Zitat "das Opfer von antisozialistischen Kräften geworden, die ihm anstatt einer ungefährlichen speziellen Flüssigkeit für Lichteffekte Benzin untergeschoben haben".
Auf Grund der großen Ressonanz die Palachs Tat in der Öffentlichkeit hervorrief, versuchte der kommunistische Geheimdienst in der Folge vor allem das Hochschulmillieu mit Agenten zu infiltrieren, um mögliche potentielle Nachahmer Palachs ausfindig zu machen und weitere öffentliche Selbstverbrennungen von vornherein zu vereiteln. Auch dieses dicht gesponnene Netz wies jedoch einige Lücken auf. Etwas mehr als einen Monat später folgte dem Beispiel Palachs mit Jan Zajic ein weiterer junger Student, der sich in Prag verbrannte. Die Serie dieser Selbstverbrennungen beendete dann im April der Arbeiter Evzen Plocek, der sich in Iglau/Jihlava mit Benzin übergoss, anzüdendete und später ebenfalls seinen schweren Verletzungen unterlag.
Während also vor der Wende die Tat Palachs von den Kommunisten verschwiegen oder in einen anderen Zusammenhang gedrängt wurde, konnte erst nach 1989 eine seriöse Auseinandersetzung mit diesem Thema stattfinden. Neben Stimmen, die in Palachs Selbstverbrennung die unnötige Tat eines jungen verzweifelten Menschen sahen, gibt es auch jene, für die Palach einer der wenigen Helden dieser eher unrühmlichen Zeit ist.
Wie sind diese widersprüchlichen Interpretation zu verstehen? Vielleicht mag auch dazu beigetragen haben, dass die tschechoslowakische und tschechische Geschichte im 20. Jahrhundert nicht gerade reich an s.g "heldenhafte" Ereignisse war, welche das kollektive Bewusstsein positiv beeinflussen, bzw. als Vorbilder für die kommenden Generationen dienen konnten.
Über die heutige Bedeutung der Tat Jan Palachs unterhielten wir und mit dem früheren Bürgerrechtler und heutigen Philosophieprofessor Jan Sokol. Würde er die Tat von Jan Palach zu jenen wenigen öffentlichen Aufbegehren gegen die kommunistische Herrschaft nach 1968 bezeichnen?
"Das stimmt insofern, wenn Sie als Ereignis, wie Sie gesagt haben, nur das zählen, was an die Öffentlichkeit gelangt, d.h. heute in die Medien. Es gab jedenfalls im ganzen 20. Jahrhundert sehr viele heldenhafte Taten, die einfach versteckt geblieben sind und von denen niemand etwas weiß. Und deshalb, da würde ich vielleicht Vorbilder suchen ja die Tat von Palach war dadurch ganz spezifisch, weil das einer Dämmerung der Gesellschaft gleichkam, die sich gerade allmählich geschlossen hatte und was danach kam, kam nicht an die Öffentlichkeit und so ist die Tat Palachs zu einem Symbol geworden, ich glaube jedoch nicht, dass die Tat gerade heute beispielhaft wirken könnte."
Vor 35 Jahren bewegte das Schicksal von Jan Palach insbesondere die Generation der 20- bis 40jährigen, die in der Tat des Studenten auch den Ausdruck ihrer eigenen enttäuschten Hoffnungen nach einer offeneren Gesellschaft sahen, die nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Panzer in die Tschechoslowakei auf einmal zerstört wurden. Wie wird aber von der heutigen jungen Generation der Freitod von Palachs verstanden? Wirkt diese Tat auch in die heutigen Tage nach, oder blieb deren Wirkung ausschließlich auf die damaligen Altersgenossen Palachs beschränkt? Hören Sie dazu die Meinung von Jan Sokol:
"Nein, ich glaube es ist ein einzigartiger Fall. Das war etwas sehr situationsgebundenes, damals hatte das eine große Wirkung, die aber heute nicht mehr da ist. Die Lage ist ganz anders, das was von einem Menwchen heute erwartet wird, ist etwas ganz anderes. Palach bleibt also ein Denkmal."
Trotz dieser Einschätzung Professor Sokols, ist aber im Zusammenhang mit dem diesjährigen Palach-Jubliäum dennoch ein wichtiger Umstand nicht uninteressant. So wurde der Name Jan Palachs im vergangenen Jahr bei verschieden, wenn auch nicht repräsentativen, Umfragen von Lesern der größten tschechischen Tageszeitungen unter die zehn wichtigsten tschechischen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts gereiht. Dafür hat Professor Sokol folgende Erklärung parat:
"Ich glaube, da ist ein gewisses Schamgefühl der Öffentlichkeit gegenüber Leuten vorhanden, die so etwas getan haben und die man wenigstens nicht vergessen möchte. Das finde ich wichtig und richtig, aber gerade als Vorbild kann man das kaum betrachten. Es gab im vorigen Jahr ein paar Selbstverbrennungen, wobei sich ebenfalls junge Menschen aus Protest gegen die bestehende soziale Lage selbst verbrannten. Man sieht aber bei diesen Taten gleich, dass das ganz abseits stehen, nichts bewirken und nur ins Leere gehen."
Auch wenn es der kommunistischen Regierung zu Beginn der 70. Jahre gelang die nach dem Einmarsch der sowjetischen Panzer aufgebrachte Lage in der Tschechoslowakei endgültig unter Kontrollen zu bekommen, befanden sich deren Sicherheitsorgane an den Tagen rund um den 16. Januar stets in erhöhter Alarmbereitschaft. Stellenweise wurde die Grabstätte Palachs auf einem Prager Friedhof von Polizisten überwacht, die verhindern sollten, dass dort Menschen Blumen niederlegen und Kerzen anzünden. Im Jahr 1973 gab dann zwar die Mutter Palachs dem Druck der Behörden nach und stimmte einer Überführung der Grabstätte auf einen Friedhof außerhalb Prags zu, dennoch pilgerten auch in den folgenden Jahren dutzende Menschen an den ursprünglichen Ort von Palachs letzter Ruhe und legten dort Blumen nieder.
Die Oppossition, die sich ebenfalls während der 70er Jahre formierte und am 1. Januar 1977 als Charta ´77 erstmals an die Öffentlichkeit ging, versuchte in den darauffolgenden Jahren einen Weg des Dialogs mit der Regierung einzuschlagen. Die Reaktion der offiziellen Führung war jedoch eine immer stärkere Repression versehen mit dem klaren Ziel die Regimekritiker von der Außenwelt - sowohl im Inland, als auch im Ausland regelrecht abzuschneiden. Gab es deshalb insbesondere Anfang der 80er Jahre, als die Lage in der Tschechoslowakei verfahren schien, in Anklang an Palach nicht Überlegungen demonstrative, wenn auch nicht vergleichbar drastische, Schritte zu unternehmen, um auf die Opposition und die Lage in der damaligen Tschechoslowakei aufmerksam zu machen? Der frühere Regimekritiker Jan Sokol erinnert sich für Radio Prag an diese Zeit zurück:
"Nein, das glaube ich nicht, auch deswegen, weil die Tat von Jan Palach auch mit der inneren Verfassung eines ganz jungen Menschen zusammen, das können ältere Leute kaum nachmachen. Das glaube ich ist keinem eingefallen. Die öffentliche Wirkung kam dann eher durch die Medien im Ausland, die doch, wie sie letztendlich nach 1989 zeigte, doch ganz wirksam war."
Dennoch läutete der Jahrestag von Palachs Tat im Januar 1989, also genau zwanzig Jahre danach, auf Grund der vielen Protestkundgebungen, die von der Polizei brutal unterdrückt wurden, fast schon symbolisch den Anfang vom Ende der kommunistischen Herrschaft ein. Ist darin im Nachhineit ein Zufall der Geschichte zu sehen? Abschließend kommt noch einmal der Philosophieprofessor Jan Sokol zu Wort:
"Nein, das war kein Zufall, war aber vom Standpunkt her gesehen ein klares Zeichen der Lage des Regimes, das es nicht mehr schaffte wie früher Proteste einfach zu unterdrücken. Das haben die damals nicht mehr geschafft und es war ein Zeichen für den Zustand des Regimes. Und selbstverständlich hat das viele Leute mobilisiert gerade deswegen, weil sie sahen, dass das Aussicht auf Erfolg hatte."