Ehemalige Schwerindustrieregion Usti kämpft mit hoher Arbeitslosigkeit
In der Sendung von Radio Prag geht es nun weiter mit der neuen Ausgabe des Regionaljournals. Diesmal führt Sie Dagmar Keberlova in den Norden der Tschechischen Republik, in dem seit Jahren eine hohe Arbeitslosigkeit herrscht.
Der Norden Böhmens erreicht in diesen Monaten, kurz vor dem EU-Beitritt Tschechiens, seine höchste Arbeitslosenrate in der Geschichte überhaupt. Im Landkreis Usti leben rund 18 Prozent Arbeitslose. Die Situation in dieser Region zeichnet sich durch eine Reihe von Besonderheiten aus, erzählte mir der Landeshauptmann Jiri Sulc. Die Strukturprobleme reichen bis in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurück. Nach dem 2. Weltkrieg wurde im früher mehrheitlich sudetendeutsch besiedelten Nordböhmen eine neue Bevölkerung angesiedelt. Zudem entstand eine neue Industrie: Die Schwerindustrie wurde Hauptarbeitgeber für die regionalen Arbeitskräfte. Braunkohleförderung, chemische Industrie und Maschinenbauwesen schufen Arbeitsplätze. In den Unternehmen waren in der Mehrzahl niedrig oder unqualifizierte Arbeiter beschäftigt. Nach der demokratischen Wende von 1989 wurden viele dieser Betriebe geschlossen. Bis heute ist es nicht gelungen, ausreichend neue Arbeitsplätze in der Region zu schaffen. Der hohe Anteil an unqualifizierten Arbeitskräften sei bis in die Gegenwart zu beobachten, sagte mir Jaroslav Lejcek, Leiter der Abteilung für Statistik und Analysen beim Bezirksarbeitsamt Usti. Lejcek und Sulc stimmen überein: Diese Menschen können nur schwer Arbeit finden, die Situation in Usti wird auch weiterhin stagnieren. Landeshauptmann Sulc:
"Der Trend des Arbeitslosenanstiegs ist seit Mitte der 90er Jahre stabil. Überraschend ist, dass die sozialistische Regierung zwar erklärt, dass sie neue Arbeitsplätze fördert, mit ihren Maßnahmen aber genau das Gegenteil erreicht, so dass die Arbeitslosenrate an der Grenze der sozialen Tragbarkeit ist."
Zwar entstehen auch neue Arbeitsplätze, aber weiterhin schwinden alteingesessene Arbeitgeber. Und so gelingt es nicht, die Situation auf Dauer zu verbessern.
Ende des vergangenen Jahres war der Prozentsatz an Arbeitsuchenden ohne Ausbildung höher als 45%. Auf einen Arbeitsplatz entfielen am Jahresende 21 Arbeitsuchende. Für die Zukunft ist Jaroslav Lejcek dennoch optimistisch, langfristig erwartet er eine positive Entwicklung:
"Die Stadt Usti nad Labem/Aussig an der Elbe, wo ein Großteil der mehr als 120 000 Einwohner des Bezirkes lebt, liegt an einer wichtigen Straßenkreuzung: Neben der Eisenbahn und dem Flussweg ist nun auch eine Autobahn fertig gestellt, die den Norden und den Süden Europas verbindet. Die Stadt ist Bestandteil der Euroregion Elbe, es gibt hier ein Europäisches Integrationszentrum sowie wichtige Chemie- und Nahrungsmittelbetriebe. Des Weiteren gibt es hier 19 Mittelschulen, und andere Bildungsanstalten sowie eine Universität."
Dieses Jahr sollen in der Industriezone Severni Predlice 800 neue Arbeitsplätze entstehen. Investoren aus Deutschland, Finnland, Belgien und der Schweiz siedeln hier ihre Unternehmen an. Zudem werde auf Landkreisebene derzeit ein von der EU finanziertes Projekt erarbeitet, das sich mit der Wiederbelebung ungenutzter Gebiete beschäftigt, und von dem sich der Arbeitsamtmitarbeiter erhofft, dass auch im Bezirk Usti weitere Arbeitsplätze entstehen werden. Das Arbeitsamt werde sich daran beteiligen und passende Arbeitskräfte suchen. Weiter werde man die potenziellen Angestellten umschulen und sich finanziell beteiligen:
"Wir bereiten ständig Umschulungskurse vor, aber es gibt so viele Interessierte, dass unsere Kapazitäten nicht ausreichen. Das Arbeitsamt schult pro Jahr etwa 1200 Menschen um. Die jeweiligen Kurse hängen mit dem Angebot an Arbeitsplätzen zusammen. Wenn es Arbeitsplätze gibt, schulen wir dafür um."
Die Geldmittel für die Umschulungen seien beschränkt, sagte mir Arbeitsamtmitarbeiter Lejcek weiter. Aus dem Jahresbudget wurde ungefähr ein Neuntel den Umschulungen gezahlt. Der Arbeitslose bekommt die Ausbildung vom Arbeitsamt kostenlos. Von den 4500 Menschen, die daran im vergangenen Jahr teilgenommen haben, konnten über 1000 eine Anstellung finden.
Während sich das Arbeitsamt eher optimistisch gibt, bleibt der Landeshauptmann mit Blick auf die nahe Zukunft skeptisch. Die Arbeitslosigkeit beläuft sich jetzt in einigen Bezirken auf 20, teilweise auch auf 40%, dies vor allem auf dem Lande. Auch dieses Jahr soll einen weiteren Anstieg der Arbeitslosenrate mit sich bringen. Für eine bedeutende Verbesserung müssten vor allem die Spielregeln geändert werden, so Jiri Sulc. Die Koalitionsregierung halte allerdings an ihnen fest:
"Eine der Hauptgründe ist die Besteuerung der Unternehmen, die deutlich höher ist als in den Nachbarländern Polen oder Ungarn oder in Ländern der Europäischen Union. Dazu kommt die teure Arbeitskraft hinsichtlich der Steuern und Abgaben. Damit hängt auch ein weiteres Problem zusammen, und zwar der Missbrauch des Krankenstands. Der hohe Prozentsatz von Krankenständen hat auch Investoren dahingehend beeinflusst, sie sich nicht für Tschechien zu entscheiden. Wir brauchen Veränderungen, die auf staatlicher Ebene vorangetrieben werden müssen."
Das soziale Netz müsse strenger gestaltet werden, meint Landeshauptmann Sulc, und es sollte nur Menschen geholfen werden, die Hilfe wirklich benötigen, und nicht denjenigen, die die Sozialleistungen missbrauchen. Die Regierung sollte ernsthaft darüber nachdenken, warum große Investoren der Tschechischen Republik fernblieben, oder sogar weggingen, meint Landeshauptmann Sulc. Das Problem liege bestimmt nicht in der Struktur der arbeitslosen Arbeitskräfte, denn die potenziellen Investoren interessieren sich insbesondere für handwerklich qualifizierte Arbeiter. Landeshauptmann Sulc:
"Ich habe es einigen Investoren erklärt. Sie waren überzeugt, dass wir unqualifizierte Bergleute bei uns haben, die im Dunkeln und verschwitzt irgendwo 600 Meter unter der Erde Kohle fördern. In unserer Region gibt es nur Tagebau, und unsere Bergarbeiter sind eher Schlosser oder verschiedene andere Handwerker und können die modernsten Maschinen bedienen. In einer neuen Fabrik würden sie nur bei anderen Maschinen in einer Halle stehen. In der Spezialisierung liegt also wirklich kein Problem."
Die Situation könnte ein neuer großer Investor bedeutend verändern. Bisher ist es aber nicht gelungen, einen solchen in die Region zu locken. Vergangenes Jahr wollte hier das Automobilwerk Hyundai investieren, tat es am Ende jedoch nicht. Von Regierungsseite heißt es, der Landkreis sei nicht in der Lage gewesen, ein entsprechendes Grundstück zur Verfügung zu stellen. Vom EU-Beitritt Tschechiens erwartet Landeshauptmann Sulc auch keine große Verbesserung. Wie sich die Situation in dieser Region weiter entwickeln wird, ist schwierig vorauszusagen, damit zumindest stimmen alle überein.