Die Samtene Revolution 1989: Ein Rückblick durch zwei Kameraobjektive
Ein Programmschwerpunkt von Radio Prag ist dieser Tage die so genannte Samtene Revolution, die vor fünfzehn Jahren, im November 1989, das kommunistische Regime in der damaligen Tschechoslowakei hinweggefegt hat. Auch die nun folgende neue Ausgabe unseres Magazins "Schauplatz" ist diesem Thema gewidmet. Gerald Schubert hat sich mit zwei Menschen unterhalten, die damals, in verschiedenen Funktionen, zu Chronisten der Ereignisse wurden.
"Das ging sehr schnell, eigentlich über Nacht. Einer der Organisatoren hatte einen Hinweis darauf bekommen, dass ich Fotos aus dieser Zeit habe. Er hat mich aber erst einen Tag vor der Demonstration erreicht. Also konnte ich nur schnell in mein Archiv gehen und dort einige Fotografien aussuchen. Etwa vierzig habe ich dann zu der Demonstration mitgebracht. Wir haben dort vor dem Regierungsamt eine kleine Gasse gebildet, durch die die Politiker durchgehen mussten. Mit den Fotos in den Händen wollten wir ihre Erinnerung ein bisschen auffrischen. Etwa daran, wie es damals auf dem Wenzelsplatz ausgesehen hat. Daran was die Polizisten, und vor allem ihre Vorgesetzten, dort getan haben."
Kommen wir aber zurück zur so genannten Samtenen Revolution des Jahres 1989. Am 17. November, da wurde endgültig das Ende der kommunistischen Diktatur eingeleitet. Eine eigentlich antifaschistische Kundgebung zum Gedenken an die Ermordung des Studenten Jan Opletal durch die Nazis verwandelte sich zur eindrucksvollen Demonstration gegen das Regime. Kleinere Protestzüge gab es jedoch auch schon vorher, und meistens war Lubomír Kotek mit seiner Kamera dabei:
"Schon zirka zwei Jahre vor der Revolution habe ich begonnen, Demonstrationen zu fotografieren. Ich kann sagen, dass ich bis auf ein paar kleine Ausnahmen alles aufgezeichnet habe, und ich glaube, mein Archiv ist ziemlich einzigartig. Aber wie das Leben so spielt: Der 17. November war mein erster Arbeitstag für die Agence France Presse, die mich als Fotografen angeheuert hatte. Als ich den Leuten in der Agentur gemeldet habe, dass die Demonstration immer größere Ausmaße annimmt und offenbar etwas Besonderes bevorsteht, da haben sie mich trotzdem abgezogen. Sie haben gesagt, dass die Zeitungen die Fotos brauchen, und dass es schon spät ist. Ich sollte die Bilder also schnell entwickeln gehen. Daher habe ich die Ereignisse auf der Nationalstraße dann nur in der Dunkelkammer erlebt, wo ich beim Entwickeln 'Radio Freies Europa' gehört habe. Einerseits sind also meine Fotos vom Beginn der Demonstration durch die Weltpresse gegangen. Aber andererseits: Vom Höhepunkt all dieser Demonstrationen, von der Nationalstraße am 17. November, habe ich leider kein einziges Bild."Lubomír Kotek hat auch vor der Wende offiziell als Fotograf gearbeitet. Für das tschechoslowakische Denkmalamt hat er hauptsächlich Burgen und Schlösser dokumentiert. In der geheimen Dunkelkammer im Keller seines Hauses entwickelte er jedoch ganz andere Bilder - die von den Demonstrationen gegen den kommunistischen Machtapparat. Oft gelang es ihm, die Aufnahmen über Mittelsleute illegal außer Landes zu schaffen, um so der Weltöffentlichkeit zu zeigen, was in Prag vor sich ging. Er selbst ist übrigens nie von der Polizei verprügelt worden, erzählt der heute Sechsundvierzigjährige. Denn er war immer ganz besonders auf der Hut:
"Ich habe mich eigentlich immer rechtzeitig in Sicherheit gebracht, bevor es zu irgendeiner Konfliktsituation kam. Denn ich hatte ja meinen Fotoapparat dabei, der damals ein kleines Vermögen wert war. Und vor allem hatte ich ja immer belichtete Filme bei mir. Es war mir klar: Wenn ich mich erwischen lasse, dann nimmt mir die Geheimpolizei die Filme weg. Wenn die Polizisten dann die Filme entwickeln würden, dann würden sie darauf erkennen können, wer alles bei der Demonstration war, und ich würde ihnen sozusagen dabei helfen. Hauptsächlich deshalb also habe ich mich immer vor den Polizeieinsätzen davongemacht, oder es gelang mir, irgendwie an der Seite zu bleiben."
Und wie beurteilt Lubomír Kotek die heutigen Wahlerfolge der Kommunisten? Bei den Regionalwahlen vor einer Woche haben diese im Landesdurchschnitt ja immerhin knapp 20 Prozent erreicht. Kotek sieht das gelassen:
"Meiner Meinung nach ist der Grund dafür vor allem der, dass die Wähler der Kommunistischen Partei gut organisiert sind. Sie gehen immer zu den Wahlen. Wenn sie - sagen wir - insgesamt fünf Prozent ausmachen, aber alle Leute wählen gehen würden, dann würden die Kommunisten die Fünfprozenthürde vielleicht nicht einmal überspringen. Wenn aber nur zwanzig Prozent der Leute wählen gehen, und davon fallen fünf Prozentpunkte auf die Kommunisten, dann macht das ein Viertel. Ich glaube also, wir müssen noch zehn, fünfzehn Jahre warten. Die Wählerbasis der Kommunisten ist im Schnitt klar über sechzig. Also in zehn, fünfzehn Jahren sieht die Sache wahrscheinlich anders aus."
Ein Anderer, der 1989 zu den Chronisten der Ereignisse zählte, ist Pavel Rostlapil. Rostlapil war damals Produzent im Prager ARD-Büro und hat dort mit den Korrespondenten aus Deutschland zusammengearbeitet:
"Bevor der berühmte 17. November kam, der eigentlich nur die Spitze dieser ganzen Entwicklung war, haben sich noch andere Ereignisse abgespielt. Sehr wichtig war zum Beispiel auch die Flucht der damaligen DDR-Bürger über die Bundesdeutsche Botschaft in Prag. Wir waren dabei und haben gefilmt."
Rostlapil erinnert sich, dass damals, Ende September, einige tschechoslowakische Polizisten die DDR-Flüchtlinge daran hindern wollten, über den Zaun in den Botschaftsgarten zu gelangen. Andere aber hätten weggeschaut. Und ein Bild hat sich Pavel Rostlapil ganz besonders eingeprägt:
"Auf der anderen Seite - ich habe das wirklich gesehen: Da waren Eltern, die waren schon über den Zaun geklettert, und ein Polizist hat ihnen ihr Kind nachgereicht. Da wurde mir klar: Da muss jetzt etwas passieren! Das geht nicht mehr so weiter, da kommt was! Aber niemand hat gewusst wann es anfängt, oder wie!"
Dann kam der 17. November. Auf der Prager Nationalstraße hatte die Polizei die demonstrierenden Studenten eingekesselt.
"Das waren junge Polizisten, eine Spezialtruppe. Und irgendwann, auf einen Befehl hin, haben die dann begonnen, die Studenten zusammenzuschlagen. Aber das war dann der entscheidende Punkt! Unter den Studenten waren ja viele Kinder von normalen Arbeitern, und diese sagten: Die haben unsere Kinder geschlagen! So ist der Funke übergesprungen, so hat das angefangen. Und plötzlich haben wir gesehen, wie die Macht machtlos war."
Wie machtlos sie plötzlich war, die Macht, das ist für Rostlapil noch heute überraschend.
"Wir hatten damals einen deutschen Kameramann und auch einen deutschen Tontechniker. Ich und eine Sekretärin waren die einzigen Tschechen. Was die Kollegen sonst alles gewusst haben, ob sie mehr Informationen hatten, das ist schwer zu sagen. Offizielle Informationen hatten wir ja auch. Von tschechischer Seite sowieso, die waren nicht viel wert, aber auch aus dem Ausland. Hier hat ja jeder Zweite 'Radio Free Europe' gehört, oder 'Die Stimme Amerikas'. Das waren unsere Nachrichtenquellen, da haben wir viel erfahren. Kontakte mit Dissidenten hatten wir natürlich auch. Aber wie schnell das schließlich gehen wird, das konnte niemand ahnen."