Große Projekte müssen nicht lärmen: Jan Sokol über Tschechien und die EU

Jan Sokol (Foto: CTK)
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In Tschechien drehen sich derzeit zwar nicht alle, aber doch sehr viele Diskussionen rund um die Europäische Union. Die EU-Mitgliedschaft ist noch jung, entsprechend aufmerksam werden hierzulande die Entwicklungen verfolgt, die mit ihr einhergehen. Nach Umfragen und den Wahlergebnissen des Vorjahres aber haben bekanntlich die Oppositionsparteien Oberwasser, die der EU misstrauisch bis ablehnend gegenüberstehen. Also die Demokratische Bürgerpartei (ODS) und die Kommunisten. Sind die Tschechen vielleicht aufgrund ihrer historischen Erfahrungen besonders skeptisch gegenüber großen Projekten? Das haben wir den Philosophen, ehemaligen Schulminister und heutigen Dekan der Humanwissenschaftlichen Fakultät, Jan Sokol, gefragt:

Jan Sokol  (Foto: CTK)
"Ich glaube, nicht nur die Tschechen sind da etwas skeptischer geworden. Die großen Projekte, ich meine jetzt die ideologischen Projekte, die haben sich im Laufe des 20. Jahrhunderts doch verdächtig gemacht. Ich bin der Überzeugung, dass die europäische Idee etwas wirklich Großes ist. Aber nicht in dem Sinne, dass man jetzt Fahnen hochzieht oder Parolen schreit. Großes bedeutet nicht unbedingt Lärmhaftes."

Der Streit, der hierzulande über eine Vertiefung der europäischen Integration geführt wird, der ist aber auch nicht gerade leise und parolenfrei. Während etwa am Dienstag Slowenien als drittes postkommunistisches Land die EU-Verfassung ratifiziert hat, wird in Tschechien immer noch heftig darüber gestritten, wann und wie zu dieser Frage ein Referendum stattfinden soll. Das Thema droht im Zusammenhang mit der Parlamentswahl 2006 zum Wahlkampfschlager zu werden. Jan Sokol jedoch ist vorsichtig optimistisch:

"Für die Opposition ist es die Priorität Nummer Eins, eine steinharte Opposition zu spielen. Nichts weiter. Aber unter den Wählern der Demokratischen Bürgerpartei befindet sich der höchste Prozentsatz der proeuropäisch eingestellten Wähler. Die Partei kann nicht mit einer antieuropäischen Parole in eine Parlamentswahl gehen. Das ist ausgeschlossen."

Die europäische Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren sei ein riesiger Erfolg gewesen, sagt Sokol. Die großen Dinge in der heutigen Gesellschaft würden aber in der Mehrzahl andere als politische Fragen betreffen:

"Ich glaube, es ist ganz in Ordnung, wenn die Politik eine nicht so große Rolle spielt, wie in den letzten Jahrhunderten. Und wenn sich Leute ganz natürlich anderen Gebieten zuwenden - Wissenschaft, Kunst, Kultur, Bildung, Natur. Das alles sind Themen, die heute wichtiger sind als Politik. Und ich bin nicht dagegen."