Der Ruhelose
Werke wie "Das Café an der Straße zum Friedhof", "Die Himmelfahrt des Lojzek Lapác aus Schlesisch Ostrau" und "Café Slavia" machten den Schriftsteller Ota Filip berühmt. Seit mehr als dreißig Jahren lebt und arbeitet der gebürtige Tscheche in Deutschland. Am vergangenen Mittwoch wurde er 75 Jahre alt. Sabine Winter wirft einen Blick auf sein bisheriges Leben.
Mit 75 Jahren sind die meisten Menschen schon längst im Ruhestand. Nicht Ota Filip. Er denkt gar nicht daran, mit dem Schreiben aufzuhören:
"Ich könnte mir den Ruhestand gar nicht vorstellen. Was tut man im Ruhestand? Ich bin ein Mensch, der immer aktiv sein will, der arbeiten will und arbeiten kann. Mein Gott, was soll ich im Ruhestand? Soll ich da vor dem Haus hocken und im Garten Bäume schneiden oder spazieren gehen? Das ist mir zu langweilig."
Ota Filip sagt von sich selbst, er hege eine innere Abneigung gegen die Ruhe. Kein Wunder - war doch sein gesamtes bisheriges Leben von ständigen Umwälzungen geprägt. In der Tschechoslowakei machte sich Ota Filip vor allem durch sein literarisches Engagement während des "Prager Frühlings" einen Namen. 1969 protestierte er mit einem Flugblatt gegen den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei. Eine etwas zu arglose Aktion, wie Ota Filip heute selbst einräumt:
"Ich war naiv. Ich habe mich sozusagen selber in das Maul der Staatssicherheit gestürzt. Ich habe auf der Schreibmaschine im Verlag ein Flugblatt geschrieben. Damals wusste ich noch nicht, dass die Schreibmaschinen bei der Staatssicherheit registriert sind. Innerhalb von sechs Tagen haben sie mich entlarvt."
Es folgten Verhaftung, Prozess und Gefängnisstrafe wegen "Untergrabung der Republik". Eine Zeit, an die sich Ota Filip nur mit Widerwillen erinnert:
"Das Gefängnis ist ein Ort, wo man überleben muss. Am schlimmsten waren nicht die ganz großen Verbrecher, sondern diese kleinen miesen Kerle: Betrüger, Vergewaltiger, Diebe. Das waren die schlimmsten Leute. Mit ihnen hatte ich größte Probleme."
Nach 15 Monaten Haft in Pilsen-Bory wurde Ota Filip vorzeitig entlassen, weil es zu internationalen Protesten gekommen war. Für viele Zeitgenossen war er wegen seines Mutes zum Widerstand ein Held. Der Gefängnisaufenthalt brach Filips Willen nicht. Der Schriftsteller blieb weiterhin aufmüpfig und veröffentlichte zwei Romane im Westen, woraufhin der politische Druck enorm anstieg. Um einer erneuten Inhaftierung zu entgehen, emigrierte er 1974 mit seiner Frau und seinen beiden Kindern nach Deutschland. Warum er gerade die Bundesrepublik als Exil gewählt hat, erklärt Ota Filip folgendermaßen:
"Weil ich Deutsch gesprochen habe, weil ich in Deutschland die meisten Freunde hatte und weil ich einen deutschen Verleger hatte. Irgendwie waren mir die deutsche Sprache und die deutsche Literatur auch immer näher als alle anderen."
In den ersten beiden Jahren im Exil wurden die politisch-satirischen Romane "Zweikämpfe" und "Maiandacht" veröffentlicht, die Filip noch in der Tschechoslowakischen Republik verfasst hatte. Sein erster auf Deutsch geschriebener Roman "Der Großvater und die Kanone" erschien 1981. Von diesem Zeitpunkt an bis zur Wende schrieb Ota Filip ausschließlich auf Deutsch. Er selbst begründet dies damit, dass er in seinem Heimatland, in dem seine Bücher ungedruckt blieben, kaum Leser hatte. Heute verfasst Filip von jedem seiner Bücher sowohl eine deutsche als auch eine tschechische Version:
"Jetzt habe ich meine Verleger in Prag und meine Verleger in Deutschland und beide wollen die Bücher haben. Ich bin also gezwungen, zweisprachig zu schreiben. Ein Buch schreibe ich zuerst auf Tschechisch, dann auf Deutsch oder auch umgekehrt. Es ist eine Mordsarbeit, wenn Sie bedenken, dass ein Buch 2000 Seiten hat und jetzt muss ich das in einer anderen Sprache neu erzählen. Ich übersetze mich nicht, ich erzähle mich neu."
Filips Werke wurden mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet. So erhielt er beispielsweise 1991 den renommierten Andreas-Gryphius Preis. Nach 1989 durften seine Bücher auch in seinem Heimatland wieder gedruckt werden. Nicht nur aus diesem Grund nahm Ota Filip die Wende mit Erleichterung auf:
"Meine Frau und ich waren froh und munter, ohne Pass nach Berlin fahren zu können. Für uns war das eine Offenbarung und eine Öffnung von einem Teil von Europa. Was Tschechien betrifft, so hatte ich endlich die Möglichkeit, auch in tschechischen Verlagen zu publizieren und vor allem meine tschechischen Kollegen wieder zu treffen, die ich zwanzig Jahre lang nicht gesehen hatte."
Zu einem dramatischen Einschnitt im Leben des Schriftstellers kam es dann 1998: Eine Enthüllungsgeschichte über die angebliche Spitzeltätigkeit für den tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienst "StB" traf Filip schwer. Sein Sohn Pavel nahm sich nach der Bloßstellung seines Vaters das Leben. Filip reagierte auf die Vorwürfe mit einer Selbstverteidigung in Form eines Buches. Gespräche über diesen schwarzen Fleck in seinem Lebenslauf meidet der Schriftsteller:
"Zu diesem Vorwurf habe ich in meinem Buch Stellung genommen. Das steht alles im `Siebenten Lebenslauf`. Es war mein Unglück, teilweise mein Versagen. Darüber möchte ich nicht reden, denn ich habe einen ganzen Roman darüber geschrieben. Damit ist die Sache für mich zwar nicht abgeschlossen, aber beendet."
Im "Siebenten Lebenslauf" rechnet Ota Filip nicht nur mit sich selbst, sondern auch mit der tschechoslowakischen Geheimpolizei ab. Das Urteil über sein damaliges Verhalten überlässt er dem Leser. Momentan arbeitet er am letzten Kapitel des Folgeromans "Der achte Lebenslauf". Auch in diesem Werk schildert er einen Teil seiner persönlichen Geschichte. Die Arbeit an dem autobiographischen Roman geht ihm nicht leicht von der Hand, wie er selbst eingesteht:
"Es ist ziemlich schwer - auch in der literarischen Hinsicht. Wenn man einen Roman schreibt kann man fabulieren. Das fällt mir natürlich leichter als mich an die Tatsachen zu halten. Es geht hier um konkrete Menschen mit konkreten Namen. Viele von ihnen leben noch und da muss man das Fabulieren unterdrücken. Und da hat man dann die Probleme mit der Wahrheit."
Es geht Ota Filip nicht nur darum, in dem Buch "Der achte Lebenslauf" die Jahre zwischen 1952 und seiner Auswanderung nach Deutschland zu dokumentieren, sondern um weitaus mehr:
"Manche Leute haben mit ihrem Gewissen Probleme und gehen zur Beichte. Meine Probleme löse ich durch das Schreiben. Das Schreiben ist bei mir immer eine Beichte. Es ist sozusagen meine Aussage über die Welt, in der ich lebe."
"Der achte Lebenslauf" erscheint voraussichtlich im Herbst dieses Jahres. Rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse im Oktober 2005 soll außerdem ein Werk über die Liebesbeziehung zwischen Wassily Kandinski und Gabriele Münter veröffentlicht werden. Das Künstlerpaar hatte sechs Jahre lang im bayerischen Murnau gewohnt, wo der im mährischen Ostrau geborenen Filip selbst seit mehreren Jahren lebt. In seinen Publikationen thematisierte Filip auch immer wieder die Vertreibung der Deutschen nach dem zweiten Weltkrieg aus den böhmischen Ländern. Filip, der aus eigener Erfahrung weiß, wie schmerzlich es ist, seine Heimat verlassen zu müssen, setzt sich dabei vehement für die Versöhnung zwischen Sudentendeutschen und Tschechen ein:
"Wir sind doch Nachbarn. Nachbarn können sich doch nicht totschlagen. Man kann doch nicht ständig in der Vergangenheit stecken bleiben und immer fragen: Mein Gott, was war da los im 19. Jahrhundert?"
Der Brückenschlag zwischen Deutschland und Tschechien ist ihm ein persönliches Anliegen. Nach mehr als dreißig Jahren in der Bundesrepublik fühlt sich Ota Filip dort genauso heimisch wie in Tschechien:
"Ich bin ein Wanderer zwischen Böhmen und Bayern, zwischen der tschechischen und der deutschen Kultur. Und nachzudenken, wer ich bin und wie ich mich definiere, überlasse ich anderen."