Eiserner Vorhang in uns
In diesen Tagen wird an zahlreichen Orten entlang der Grenzen Tschechiens an den Fall des Eisernen Vorhangs vor 30 Jahren erinnert. In der südmährischen Stadt Mikulov / Nikolsburg fand vor kurzem eine Konferenz zum Thema „Der Eiserne Vorhang in uns“ statt
„Eine unserer Aufgaben ist es, die Verbrechen des Kommunismus als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu dokumentieren. Dazu gehören auch die Morde, die am Eisernen Vorhang verübt wurden. Diese Verbrechen verjähren nicht. Insgesamt handelt es sich um mehrere Tausend Grenztote: in Albanien waren es beispielsweise 6000 Opfer, in Bulgarien 1500, an der innerdeutschen Grenze kamen 600 bis 800 Menschen ums Leben. In der Tschechoslowakei gab es 320 Grenztote. Die Zahlen sind unvollständig, denn es ist sehr schwer, entsprechende Unterlagen zusammenzutragen. Ich weiß nicht, ob es uns gelingen wird, die noch lebenden Täter dieser Verbrechen zu verurteilen. Aber es ist wichtig, die Wahrheit darüber zu sagen. Denn das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei hat sie verschwiegen.“
Vom Denkmal für die Grenztoten aus begaben sich die Konferenzteilnehmer zur Diskussion auf dem Schloss in Mikulov. Mit dabei waren auch mehrere Schülerinnen und Schüler von der Kunstgewerbeschule in Jihlava / Iglau und vom Gymnasium in Moravské Budějovice / Mährisch Budwitz. Sie haben für die Tagung eine Ausstellung zum Thema Eiserner Vorhang gestaltet. Diese wurde in einem der Schlosssäle gezeigt. Eine der Schülerinnen aus Jihlava sagte, sie wisse einiges über den Eisernen Vorhang von ihren Eltern und Großeltern sowie aus dem Geschichtsunterricht.„Aber wie das in Wirklichkeit ausgesehen hat, können wir uns kaum vorstellen. Wir haben mit verschiedenen künstlerischen Mitteln dargestellt, wie man den Eisernen Vorhang heutzutage wahrnehmen kann. Unsere Lehrerin, die Bildhauerin Zuzana Bartošová, schuf zudem eine Holzskulptur. Diese trägt den Titel ,Trennung‘ und wurde auf dem Freiheitspfad aufgestellt. Wir finden das Werk sehr inspirierend. Meiner Meinung nach ist es wichtig, diejenigen nicht zu vergessen, die in die Freiheit flüchten wollten.“
Auch die Gymnasiasten aus Moravské Budějovice haben ihre Arbeiten zu dem Thema präsentiert. Hier ein Gespräch mit der Lehrerin Alena Zina Janáčková:Frau Janáčková, was war der Grund für die Teilnahme Ihrer Schüler an der Gedenkveranstaltung und der Ausstellung?
„Am Anfang war das Projekt mit dem Titel ,Überwinde den Eisernen Vorhang‘. Wir arbeiten schon länger mit der Initiative ,Paměť‘ zusammen. Im September hat uns Herr Kasáček von der Initiative angesprochen, ob wir daran teilnehmen möchten. Die Schüler haben gezeichnet, gemalt und auch Aufsätze sowie Gedichte zu diesem Thema geschrieben. Eine Schülerin hat uns erzählt, dass sie einen Großonkel hat, der in den USA lebt und dem es gelungen ist, den Eisernen Vorhang zu überwinden.“
Wo haben Sie bereits die Arbeiten der Schüler gezeigt?
„Es gab eine Ausstellung direkt in der Schule. Zudem haben wir die Arbeiten im Rahmen der Feierlichkeiten zum 30. Jahrestag der Samtenen Revolution gezeigt. In der Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung und anderen Schulen organisierten wir eine Ausstellung, die sich die Bewohner auch aus der Umgebung von Moravské Budějovice angeschaut haben.“
Janáčkovás Kollegin Květa Bretšnajdrová bemerkte:„Ich finde es fantastisch, dass wir die Arbeiten der Schüler nicht nur hier ausstellen, sondern auch in unserer eigenen Stadt. Wir haben anlässlich des 30. Jahrestags der Samtenen Revolution eine größere Schau mit dem Titel ,Der Weg zur Freiheit‘ organisiert. Begleitend dazu gab es ein Happening und Konzerte. Die Reaktionen waren sehr positiv und das Interesse groß. Das war sehr nett.“
Die Arbeiten der Schüler wurden zudem als Sammelheft herausgegeben. Die Wanderausstellung wurde inzwischen auch in Österreich gezeigt.
Einige der Konferenzteilnehmer erinnerten sich in Mikulov an die Zeit von vor 30 Jahren, als der Eiserne Vorhang schließlich fiel. Zu ihnen gehörte auch der ehemalige Bürgermeister der österreichischen Grenzstadt Laa an der Thaya, Manfred Fass. Nach der Tagung entstand das folgende Gespräch mit dem ehemaligen Kommunalpolitiker:
Herr Fass, wie erinnern Sie sich an die Tage vor 30 Jahren?„Es ist mir damals wie ein Märchen vorgekommen. In einer wirklichen kurzen Zeit hat sich hier die Welt grundsätzlich geändert. Ich habe das damals mit größter Freude entgegengenommen. Ich konnte mithelfen bei der Veranstaltung, bei der Jiří Dienstbier und Alois Mock auf dem Stadtplatz von Laa einige Tausend Leute begrüßten. Dann gab es eine Pressekonferenz im Rathaus, als der Visumzwang abgeschafft und anschließend der Stacheldraht durchschnitten wurde. Das sind Bilder, die mir ewig im Kopf bleiben. Es hätte mir nichts Schöneres passieren können, als diese Zeit und auch die danach mitzuerleben. Es war für mich immer ein schönes Erlebnis, Verbindungen zu den überaus freundlichen Leuten in unserem Nachbarland aufzubauen. Ich danke all denjenigen, die hier mitgewirkt haben und vor allem jenen, die zu den Bewohnern der Stadt Laa die besten Kontakte hatten.“
Wie haben Sie als junger Mensch oder als Kind den Eisernen Vorhang wahrgenommen?
„Als Kind habe ich immer geglaubt, dass hier die Welt zu Ende ist. Und einmal im Winter, als das Laub von den Bäumen gefallen ist, da war ich etwa fünf Jahre alt, habe ich zu meinen Eltern gesagt: ,Dort ist ja kein Eiserner Vorhang, dort sieht man ja durch, da sind auch Leute, die dort leben.‘ Da wurde mir bewusst, dass das ein Wall ist, der normal nicht überwindbar ist und dass dort die Welt weiter geht. Erst später konnte ich die Systeme kennenlernen, die das verhindert haben, dass wir gutnachbarschaftliche Verbindungen aufbauen. Als Jugendlicher habe ich als Radioamateur über den Eisernen Vorhang hinweg Verbindungen mit tschechischen und slowakischen Amateurfunkern aufgebaut.“Sie haben auch an dem Gedenktakt am Denkmal für die Toten an der Grenze teilgenommen…
„Es ist zwar immer ein bedrückendes Gefühl, aber auch sehr gut, dass man der Opfer gedenkt. Vor allem für die junge Generation ist es meiner Meinung nach wichtig. Man sollte sich dessen bewusst werden, wie gut es uns heute geht. Nur so kann man beurteilen, was für Zustände damals herrschten.“