Schwarzer Humor und schreiende Kinder

Antonin Svoboda (Foto: Manfred Werner, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Antonin Svoboda ist einer der wohl vielseitigsten Regisseure des österreichischen Kinos. Auf sein Konto gehen sowohl schwarze Komödien, als auch nachdenkliche Doku-Streifen. Beim deutschsprachigen „Filmfest“ in Prag hat er seine neueste Doku „Nicht von schlechten Eltern“ vorgestellt. Ein Gespräch mit dem Filmemacher über seine tschechische Familiengeschichte und das moderne Kinderkriegen gesprochen.

Antonin Svoboda  (Foto: Manfred Werner,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0)
Herr Svoboda, Sie haben einen so schönen tschechischen Namen. Haben Sie irgendeinen Hintergrund in Tschechien? Sie selbst sind ja gebürtiger Wiener…

„Ja, mein Papa ist 1967 aus Prag nach Österreich geflohen.“

Haben Sie noch Beziehungen zu dem Land, oder kommen Sie oft her?

„Natürlich, vor allem nach der Öffnung der Grenzen. Mit meinem Vater war ich aber auch schon vorher dort. Für mich hat das eher etwas Sentimental-Romantisches. Tschechien ist für mich eine Sehnsucht, die ich aber nie haben konnte. Tschechien, Prag oder Čerčany – wo meine Familie her ist –, das sind für mich imaginäre Orte, die ich interessanterweise aber immer füllen kann. Wien ist halt immer sehr kopflastig, in Tschechien macht man alles mehr aus dem Bauch heraus und mit mehr Gefühl.“

Sprechen Sie auch Tschechisch?

„Nerozumím český… (Ich verstehe kein Tschechisch… Anm.d.Red.)“

Hat der tschechische Film Sie irgendwie in Ihrer Arbeit beeinflusst?

„Natürlich die alten Filme von Miloš Forman, vor allem die, die er noch in Tschechien gemacht hat, oder seine ersten Streifen aus Amerika. Die haben einen unglaublichen Witz, die Filme sind surreal und brachial, gleichzeitig aber feinfühlig, besonders in der Begegnung zwischen Mann und Frau. Als Studenten haben wir das sozusagen inhaliert. Ich würde sagen, dass mich gerade die Überhöhung ins Surreale im tschechischen Film sehr beeinflusst hat.“

Sie haben ja zunächst hauptsächlich Komödien gemacht, unter anderem mit Dirk Stermann und Christoph Grissemann. Ihr Steifen über Wilhelm Reich war dann Ihre erste Doku, jetzt haben Sie „Nicht von schlechten Eltern“ auf die Leinwand gebracht. Wie sind Sie denn von den Komödien zum Dokumentarfilm gekommen?

„Eine schwarze Komödie zu machen ist eine ganz eigene Herausforderung, angeblich ist es ja die schwerste Disziplin. Da war es angenehm, mit etwas so Authentischem wie Kindern zu arbeiten. Da konnte man dem Leben in seiner ganzen Spontanität zusehen“

„Wie, das weiß ich selbst nicht. Die Dinge passieren halt irgendwie. Mit Grissemann und Stermann habe ich eine schwarze Komödie gedreht, die locker auch in Tschechien spielen könnte (‚Immer nie am Meer‘ Anm. d. Red.). Da geht es um drei Männer, die im Wald mit ihrem Auto so verunglücken, dass sie nicht mehr herauskommen. Das passiert halt nur Volldeppen oder richtigen Pechvögeln. Das ist natürlich eine ganz andere Arbeit, als sich anderthalb Jahre in einen Therapieraum zu legen und dabei leise zu sein. Sonst wären die Kinder in dem Film ja abgelenkt gewesen. Eine schwarze Komödie zu machen ist eine ganz eigene Herausforderung, angeblich ist es ja die schwerste Disziplin. In ‚ Wer hat Angst vor Wilhelm Reich‘ wiederum war die Arbeit mit Klaus Maria Brandauer eine extreme schauspielerische Auseinandersetzung. Da war es eigentlich angenehm, in ‚Nicht von schlechten Eltern‘ auf so etwas Authentisches wie Kinder zu stoßen. Da konnte man dem Leben in seiner vollen Spontanität zuschauen.“

Film ‚Nicht von schlechten Eltern‘  (Foto: Archiv SMART Communication)
In Ihrem neuen Film geht es ja um die Leiden von frischgebackenen Eltern. Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?

„Ich habe schon bei der Arbeit zu meinem Film über Wilhelm Reich mit dem Therapeuten Thomas Harms zusammengearbeitet, der ja in ‚ Nicht von schlechten Eltern‘ porträtiert wird. Da konnte ich beobachten, was mit den kleinen Kindern passiert, den schreienden Babys wird bei der Therapie von Thomas Harms einfach Raum gegeben. Jedes Schreien ist da nicht einfach ein zwickender Bauch oder ein unangenehmes Geräusch mehr, sondern der Ausdruck von etwas Existenziellem für das Kind. Ich wollte dann über diese erste Sprache, die wir alle beherrschen und die uns verbindet, einen Film machen. Ich habe mich gewundert, dass sich davor niemand damit beschäftigt hat.“

„Jedes Schreien ist da nicht einfach ein zwickender Bauch oder ein unangenehmes Geräusch mehr, sondern der Ausdruck von etwas Existenziellem für das Kind.“

Sie zeigen in Ihrem Film ja unglaublich intime Einblicke in das Leben dieser Eltern und den Verlauf dieser Therapie. Wie sind Sie so nah drangekommen?

„Das war ein sehr langwieriger Prozess, da man erst einmal das Vertrauen der Eltern gewinnen muss. Gemeinsam mit Thomas Harms habe ich die Eltern lange vor Beginn der Therapie angesprochen. Ich wollte hauptsächlich begleiten, egal wie schwer die Komplikationen eigentlich waren. Viele Familien sind auch aus dem Projekt gefallen, weil sich die Zusammenarbeit einfach nicht ergeben hat. Der ganze Film lebt aber von der Offenheit der Eltern.“

Film ‚Nicht von schlechten Eltern‘  (Foto: Archiv SMART Communication)

Doch es geht ja gerade nicht nur um die Eltern, sondern auch um den Therapeuten Thomas Harms und seine Methoden. Was macht er eigentlich?

Film ‚Nicht von schlechten Eltern‘  (Foto: Archiv SMART Communication)
„Das sagt schon der Name der Therapie, und zwar ‚Erste emotionale Hilfe‘. Es geht um das sogenannte Bonding, also die Herstellung einer emotionalen Verbindung – erstaunlicherweise aber nicht nur zum Kind, sondern oft sind die Eltern nicht aneinander angebunden. Es schreit, weil es fühlt, dass da zwischen den Eltern irgendwas im Argen ist. Für die Kinder, die den Schutz ihrer Eltern brauchen, ist diese Verbindung aber existenziell. Und daran arbeitet die Therapie von Thomas Harms.“

Glauben Sie, dass heute die Eltern hilfloser sind als früher?

„Naja, es ist immer schwer, Dinge zu vergleichen. Vor allem Generationen, das kann man nicht verifizieren, wenn man nicht dabei war. Was ich aber jetzt beobachten kann: Früher gab es mehr Familienverbund. Da waren einfach die Omas, Opas oder Cousinen ganz nah. Solche Therapiesituationen haben sich dann wahrscheinlich mit der Tante oder dem Opa selbst gelöst. Heute haben wir zwar neurologisch oder psychologisch das nötige Wissen, aber nicht die nötigen Ressourcen, um die Probleme zu lösen. Das liegt vor allem an den kleinzelligen Familien heutzutage. Es gibt ja auch keine generationenübergreifenden Lebenskonzepte, die vor dreißig, vierzig Jahren noch funktioniert haben.“

Sie haben ja selbst Kinder. Konnten Sie auch für sich persönlich etwas aus der Arbeit an dem Film mitnehmen?

„Eine Konsequenz ist aber, dass wir uns mit den Kindern erst einmal ein halbes Jahr Auszeit nehmen, bevor sie in den Kindergarten starten. Wir wollen ihnen in Ruhe dabei zuschauen, wie sie gehen und einfach leben lernen.“

„Meine Frau, Joana Scrinzi, hat den Film ja geschnitten. Und es war so, dass wir während der Aufnahmen zwei Kinder bekommen haben. Natürlich ist das einerseits sehr aufreibend. Andererseits ist man da aber sehr alerted, was um einen herum in der Therapie passiert. Eine Konsequenz ist aber, dass wir uns mit den Kindern erst einmal ein halbes Jahr Auszeit nehmen, bevor sie in den Kindergarten starten. Wir wollen ihnen in Ruhe dabei zuschauen, wie sie gehen und einfach leben lernen.“

Was denken Sie, wie kommt Ihr Film beim tschechischen Publikum an?

„Ich könnte mir vorstellen, dass in Tschechien tatsächlich noch mehr im familiären Kontext geklärt wird. Dass man also doch erstmal die Oma fragt. Vielleicht ist das aber auch ein verklärter Blick meinerseits. Es kommt jedoch darauf an, wie sich Tschechien als Gesellschaft den rechtslastigen Trends in der Welt entgegenstellt. Man hat ja hierzulande genug Erfahrung mit Diktaturen. Denn darum geht es, wenn man mit den Kindern einen ersten Baustein für die Gesellschaft legt. Und vielleicht denkt man ja hier so, dass man wilde und freigeistige Kinder erziehen sollte. Wie es aber wirklich ist, kann ich wirklich nicht sagen.“