Bezahlbares Wohnen – in Prag wird nachgedacht
Fast im Wochentakt wird gemeldet, wie die Kaufpreise und Mieten für Wohnungen in Tschechien steigen. Besonders in Prag explodieren sie regelrecht. Nun hat die Politik begonnen gegenzusteuern, und das Thema dürfte auch im Vorfeld der Kommunalwahlen die Diskussion mitbestimmen.
„Am Ende der letzten Hochkonjunktur und zu Beginn der Finanzkrise wurden 41.000 Wohnungen im Jahr gebaut, dann waren es 36.000. Aber während des derzeitigen Wirtschaftswachstums waren es nur noch 27.000 oder 28.000 Wohnungen. Das reicht offensichtlich nicht.“
Denn zugleich ist die Nachfrage nach Wohnungen gestiegen. Das hat zwei Hauptgründe. Zum einen die Zinspolitik: In den vergangenen Jahren waren Kredite für den Immobilienerwerb billig. Dann kündigte die Nationalbank eine Verschärfung der Regeln an, und dies hat den Markt weiter überhitzt, weil sich die Häuslebauer noch rechtzeitig versorgen wollten. Zum anderen besteht aber ein langfristiger Trend, den die Politik absurderweise wohl ausgeblendet hat. Michal Skořepa ist Wirtschaftsfachmann bei der Česká spořitelna (Tschechische Sparkasse):
„Wenn man die Daten des Statistikamtes nimmt, dann sieht man deutlich, wie in den vergangenen 50 Jahren die Zahl der Personen in einem Haushalt und auch pro Wohnung gesunken ist. Das liegt unter anderem daran, dass später geheiratet wird und die jungen Menschen länger als Singles leben. Zudem steigen die Lebenserwartungen, wobei häufig ein Partner schon früher stirbt und der andere alleine bleibt. Und nicht zuletzt ist die Zahl der Scheidungen gestiegen. Die Gesellschaft atomisiert sich also zunehmend. Deswegen steigt bei gleichbleibender Einwohnerzahl in Tschechien die Nachfrage nach Wohnungen. Ein weiterer Faktor ist die Landflucht. Die Städte schaffen es aber nicht, darauf angemessen zu reagieren.“Landflucht und Single-Gesellschaft
All dies treibt die Preise für Immobilien und die Mieten in die Höhe. In den zurückliegenden zwölf Monaten lag Tschechien mit seinen Steigerungsraten im EU-Vergleich immer wieder an der Spitze.
Ganz besonders hat sich die Lage in der Hauptstadt des Landes zugespitzt. Eigener Wohnungsbau? Den betreibt Prag seit über zehn Jahren nicht mehr. Und vor allem in den 1990er Jahren hat die Stadt – wie viele andere tschechische Kommunen auch – seine Gemeindewohnungen an Privat verkauft. Radek Lacko ist im Prager Magistrat unter anderem für den Bereich Wohnen zuständig. Vor kurzem sagte er im Fernsehen:„Der Prager Magistrat verwaltet derzeit etwa 7000 Wohnungen. Das entspricht nur einem Prozent der Gesamtzahl. Seit zwei Jahren arbeiten wir aber intensiv daran, dies zu ändern. Denn 15 oder sogar 20 Jahre lang war das Mantra hier, dass das Rathaus kein Immobilienmakler sei.“
Weitere vier Prozent oder 36.000 Wohnungen sind Eigentum der jeweiligen Stadtbezirke. Dabei ist die Lage eher unübersichtlich und auch sehr unterschiedlich. Prag-Kbely hat zum Beispiel kaum Wohnungen privatisiert, der siebte Prager Stadtteil aber durchaus. Laut der Ano-Partei, die die Oberbürgermeisterin in Prag stellt und der auch Lacko angehört, sollen bis in drei Jahren über eintausend neue kommunale Wohnungen entstehen – vor allem in größeren Bauprojekten.
Die Grünen bilden zwar zusammen mit der Ano und den Sozialdemokraten eine Koalition im Prager Magistrat. Doch sie wollen eine aktivere Wohnpolitik. Ondřej Mirovský ist Stadtrat im siebten Bezirk und tritt bei den anstehenden Kommunalwahlen für die Partei als Spitzenkandidat zum Oberbürgermeister an:
„Unser Ziel ist, dass jedes Jahr in Prag mindestens eintausend kommunale Wohnungen gebaut werden. Dabei ist vor allem die Kooperation mit den Stadtteilen wichtig. Denn manchmal müssen die Grundstücke erst noch gekauft werden. Das Paradoxe daran ist, dass wir manchmal Grundstücke zurückkaufen, die in den 1990er Jahren an Private veräußert wurden. Im siebten Prager Stadtbezirk haben wir ein solches Grundstück bereits erworben. Und über ein zweites verhandeln wir gerade, weil wir das für richtig halten.“Im Vorfeld der Wahlen haben die Grünen eine Studie erstellen lassen. Diese wurde am Dienstag bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Petra Kolínská ist stellvertretende Prager Oberbürgermeisterin:
„Die Probleme in Prag sind wie folgt: Die Löhne hier wachsen langsam im Vergleich zu den Preisen. Wir haben zu viele unbebaute Grundstücke, ohne dass wir darauf Einfluss nehmen können. Die Eigner spekulieren auf einen Preisanstieg, was mit steuerlichen Stellschrauben zu tun hat. Zudem hat die Bauindustrie eine langsame Reaktionszeit. Obwohl der Bedarf jetzt besteht, kann sie erst in drei, vier oder fünf Jahren neue Wohnungen bereitstellen. Auch das muss besser geplant und vorhergesehen werden.“
Vorbilder Wien und München
Deswegen möchten sich die Grünen nicht wie die Ano-Partei nur auf große Bauprojekte verlassen. Stattdessen schlagen sie mehrere Maßnahmen vor. Und dafür haben sie im Ausland nach Vorbildern gesucht. Fündig geworden sind sie vor allem in Wien, München und Amsterdam.„Die Kommune ist dort jeweils Eignerin von einem großen Anteil der Wohnungen. In Wien ist das ein Viertel des Gesamtbestandes, und in Amsterdam oder München sind es etwa 20 Prozent. Des Weiteren wird Hauseigentümern dabei geholfen, aus Leerständen wieder Wohnungen zu machen, wenn sie finanziell dazu nicht in der Lage sind. Das klappt beispielsweise in Barcelona gut. Ein weiteres Element ist die Kooperation mit den Bauherren. Diese sollten 20 Prozent des neu geschaffenen Wohnraums an die Kommune verkaufen, die ja auch die Regeln für die Bautätigkeit festlegt. Das verhindert dann die doppelte Ghettoisierung, dass also hier ein Viertel für gut Betuchte entsteht und dort eines für Menschen mit niedrigen Einkommen“, so Kolínská.
Ein weiteres Problem halten nicht nur die Grünen, sondern alle Parteien in Prag für brennend. Es ist der Umgang mit Airbnb und ähnlichen Plattformen für die kurzfristige Vermietung von Unterkünften. Schätzungsweise 14.000 Wohnungen werden in der tschechischen Hauptstadt auf diese Weise genutzt, mit besonders hohem Anteil im attraktiven Zentrum. Doch eine mögliche Regulierung gestaltet sich bisher schwierig, wie Ivan Solil weiß. Der Sozialdemokrat ist Stadtrat im ersten Bezirk und berichtete vor kurzem in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:„Es geht bei Airbnb um das große Geld. Die Firma kommuniziert nur, wenn sie dazu gezwungen ist. Wir Stadtteile können da nichts ausrichten. Daher hat dies Oberbürgermeisterin Adriana Krnáčová probiert. Es gab sogar eine große Konferenz zu dem Thema auf der Sophieninsel, zu der auch die Airbnb-Chefin für Mitteleuropa sowie Vertreter des tschechischen Zolls kamen. Doch die Chefin weigerte sich in der ersten Phase, den Zöllnern Auskünfte zu geben, weil dies angeblich der amerikanische Bundesstaat verbietet, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Oberbürgermeisterin Krnáčová kam nach Beratungen mit Anwälten zu dem Schluss, dass die Stadt derzeit nichts unternehmen kann. Die tschechischen Gesetze lassen demnach nicht zu, Airbnb und weitere solche Dienste zu regulieren. Erst muss der legislative Rahmen geändert werden, dann kann die Stadt eine Anordnung erlassen.“
Immerhin, die aktuelle Regierung arbeitet an der geforderten Gesetzesnovelle. Und parteienübergreifend werden Regelungen wie in Berlin erwogen. Dort dürfen seit Mai Zimmer nicht mehr ausschließlich für Besucher vermietet werden, sondern nur noch maximal 180 Tage im Jahr. Für Prag glauben die Grünen etwa, dass auf diese Weise rund 5000 Wohnungen wieder ihrem ursprünglichen Nutzen zugeführt werden könnten. Auch das würde wohl helfen, die Lage auf dem Immobilien- und Wohnungsmarkt in der Stadt zu entschärfen.