Konfiszierte Erinnerungen
Adolf Loos gilt als Wegbereiter der modernen Architektur. Seine bekanntesten Bauten entwarf er in Wien, Prag, Plzeň / Pilsen und Paris. Er bekam auch einige Aufträge vom Brünner Unternehmer Viktor Bauer. Eine Ausstellung in Prag zeigt die neuesten Erkenntnisse über die Arbeit von Loos für die Familie Bauer.
Jana Kořínková von der Technischen Universität in Brünn ist eine der Kuratorinnen der Schau. Viktor Moritz Peter Maria Ritter von Bauer-Rohrfelden (1876-1939) hieß der Brünner Industrielle mit vollem Namen. Er sei eine höchst interessante Persönlichkeit gewesen, sagt die Kuratorin.
Villa in Dresden-Loschwitz
Allgemein bekannt ist, dass Architekt Loos Bauers Villa bei der Zuckerfabrik im südmährischen Hrušovany / Rohrbach gebaut hat. Die Fabrik gehörte der Familie Bauer. Die Villa gilt als erstes Haus mit Flachdach auf dem Gebiet Tschechiens. Jana Kořínková ist bei den Forschungen über die Aufenthaltsorte von Viktor Bauer aber auch auf weitere Arbeiten von Architekt Loos gestoßen.
„Wir haben entdeckt, dass Bauer eine Villa im Dresdener Stadtteil Loschwitz gekauft hatte. Auf den Fotografien aus der Villa sind Möbel von Loos zu sehen. Der Architekt beteiligte sich zudem an der Gestaltung von zwei Wohnungen, die Bauer in Wien besaß. Dies bestätigen einige Fotografien. Uns stand eine große Menge an Fotos zur Verfügung, es ging eigentlich nur darum, auch ihren Inhalt zu entschlüsseln.“Die Bilder stammen aus Fotoalben, die der Familie Bauer gehört haben. Die Familienalben hat Jana Kořínková im Schloss Lysice / Lissitz gefunden. Sie lagerten seit 1948 dort, nachdem das Eigentum der Familie aufgrund der Beneš-Dekrete konfisziert worden war. Die Ausstellung trage daher den Titel „Konfiszierte Erinnerungen“, sagt die Kuratorin.
„Es ist ein trauriges Thema – wenn man sich vorstellt, dass Familienalben beschlagnahmt wurden, die viel Privates enthalten. Die letzten Bilder stammen aus den Jahren 1937 und 1938, sie dokumentieren das Leben der Familienmitglieder. Zehn Jahre später wurden die Alben konfisziert. Ich habe mir die Frage gestellt, was damit der Staat verfolgt hat und warum die Familie die Fotografien nicht behalten durfte.“Viktor Bauer starb 1939 kurz vor Kriegsausbruch. Seine Frau Margaretha zog kurz nach dem Kriegsende zu ihren Kindern nach Wien, kehrte jedoch bald wieder zurück nach Brünn. Dort lebte sie der Kuratorin zufolge bei einem ihrer früheren Dienstmädchen auf dem Platz Náměstí Svobody.
Schloss in Altbrünn
Die konfiszierten Erinnerungen von Familie Bauer enthalten eigentlich eine reichhaltige Dokumentation zum Werk von Adolf Loos. Die Kuratorin:„70 Jahre lang wurden die Fotoalben aufbewahrt, ohne dass sich jemand mit dem Inhalt befasst hätte. Wir haben nicht nur die Gegenstände und Situationen auf den Fotos entschlüsselt, sondern mussten uns auch mit den leeren Stellen in den Alben befassen. Denn an mehreren Stellen fehlen Bilder. Sie wurden vermutlich herausgerissen, aber der Text oder die Beschriftung ist geblieben. Für die Einladung zur Ausstellung haben wir auch eine der leeren Seiten genutzt. Dort ist eine Bemerkung zu lesen, aus der man erfährt, dass Adolf Loos in den Jahren 1922 und 1923 den Speisesaal im Schloss auf dem Brünner Messegelände gestaltet hat.“
Das klassizistische Schloss wurde um 1850 in Staré Brno / Altbrünn erbaut. Heutzutage ist es Bestandteil des Brünner Messegeländes. Viktor Bauer nutzte es seit den 1920er Jahren als Familiensitz. Er beauftragt eben Adolf Loos mit dem modernen Umbau des Gebäudes.
Viktor Bauer wurde nicht nur fotografiert, sondern auch von namhaften Künstlern porträtiert, sagt Jana Kořínková.
„Zu ihnen gehörten Oskar Kokoschka und Egon Schiele. Es gibt da sogar Fotos, die Madame d‘Ora gemacht hat. Sie war eine berühmte Wiener Pionierin der expressionistischen Fotografie.“Mit Adolf Loos in Paris
In den Familienalben sind mehrere Fotos der Villa in Hrušovany erhalten, die Adolf Loos gebaut hat.
„Auf den Bildern sind Kinder vor der Villa zu sehen. Aber nur wenige Aufnahmen vom Inneren des Hauses sind erhalten. Einige haben wir aber doch entdeckt. In den Alben finden sich zudem Fotografien von Architekt Loos selbst. Auf einer ist er mit Frau Bauer auf dem Pariser Montmartre zu sehen.“
Die Ausstellung mit dem Titel „Adolf Loos – Viktor Bauer. Konfiszierte Erinnerungen“ ist im Dokumentationszentrum Norbertov bis 15. Juni zu sehen. Die Ausstellung ist am Dienstag, Donnerstag und am Wochenende von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Das Dokumentationszentrum befindet sich in der Straße Nad Hradním vodojemem Nr.53/13 nahe der Villa Müller.
Der passionierte Fotograf Viktor Bauer konzipierte die Fotoalben teils als Reisechroniken, teils als Chroniken des Familienlebens. Ein beliebtes Motiv war der sogenannte Geburtstagstisch, bei dem der Jubilar fotografiert wurde. Dank der vielen Aufnahmen erhält man auch eine Vorstellung von den heute nicht mehr vollständig erhaltenen Innenräumen der jeweiligen Gebäude. Die ausführliche Fotodokumentation des Familienlebens im Schloss in Altbrünn beweist, dass Architekt Adolf Loos nicht nur – wie bereits bekannt – den Marmorsaal im Erdgeschoss der Residenz gestaltet hat. Sondern sie belegt auch, dass er fünf Salons im Piano Nobile und Viktor Bauers Büro im Erdgeschoss eingerichtet hat.