Jetzt geht’s Loos! In Prag entsteht das letzte Haus eines der wichtigsten Architekten der Moderne

Das letzte Haus von Adolf Loos

Adolf Loos war einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts. Heute sind seine Werke, die sich nicht nur in Österreich und Tschechien befinden, denkmalgeschützt und von Fachleuten wie der Öffentlichkeit geschätzt. In Prag hat das Nationale Technische Museum nunmehr ein waghalsiges Projekt in Angriff genommen. So wird als Teil der dortigen Dauerausstellung aktuell das „Letzte Haus von Adolf Loos“ gebaut. Es entsteht nach Entwürfen von 1932, die bisher nie realisiert wurden.

Es ist ein Projekt, das wohl seinesgleichen sucht. Im Prager Stadtteil Letná wird aktuell ein Haus gebaut nach Entwürfen des legendären Architekten Adolf Loos. Das Besondere: Die Pläne für den Bau sind bereits über 90 Jahre alt. Einer der Projektleiter ist Václav Girsa, Professor für Denkmalpflege an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität (ČVUT) in Prag. Im Interview für Radio Prag International erläutert Girsa, was es mit dem Haus und dem Entwurf des Architekten auf sich hat…

Technische Universität  (ČVUT) in Prag | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Loos hat das Projekt nie beendet, denn er war damals bereits sehr krank. Wir mussten deshalb alle auffindbaren Dokumente zusammentragen und daraus einen finalen Entwurf erstellen, wie ihn wohl Adolf Loos gestaltet hätte.“

Gebaut werden sollte das Haus ursprünglich für Eva Müllerová, die Tochter des Unternehmerehepaares Milada und František Müller. Nach diesen beiden ist heute eine Villa im Prager Stadtteil Střešovice benannt, die ebenso Adolf Loos entworfen hat. Die Pläne des Hauses für Eva Müllerová stammen von 1932. Ein Jahr später verstarb der Architekt.

Václav Girsa schildert weiter, wie es dazu gekommen ist, dass der Entwurf nun doch realisiert wird.

Václav Girsa | Foto: Ferdinand Hauser,  Radio Prague International

„Karel Ksandr, der Direktor des Nationalen Technischen Museums, kam auf mich zu, mit dem Plan, das letzte Haus von Loos zu bauen. Es sollte sich dabei aber nicht um ein Haus handeln, das real bewohnt wird, sondern um ein originalgroßes Exponat als Bestandteil der Ausstellung.“

Studierende haben den Bau geplant

An der Realisierung war auch das Studien- und Dokumentationszentrum Norbertov beteiligt, das an die Villa Müller angeschlossen ist. Girsa, der nicht nur Denkmalschützer und Architekt, sondern auch Hochschulpädagoge ist, wollte zudem seine Studierenden einbinden:

„Ich halte es für wichtig, dass die Studenten, die sich der Erneuerung von Denkmälern widmen, auch an einer konkreten Aufgabe in der Praxis arbeiten. In diesem Fall heißt das, den Bau auch wirklich zu realisieren.“

Ihm sei jedoch klar gewesen, dass man die Umsetzung des Planes nicht einem einzigen Studenten auftragen konnte, sagt Girsa…

Das letzte Haus von Adolf Loos | Foto: Technische Hochschule in Prag

„Es hätte so zu der Situation kommen können, dass die Person erkrankt oder ihre Studienleistungen abfallen und sie auf einmal ins Ausland zieht. Damit wäre das gesamte Projekt in Gefahr geraten.“

Schließlich entschied man sich für eine Gruppe von drei Studierenden: Tomáš Beneš, Dominika Blahová und Martin Hanuš. Auf das Trio sei man auch gekommen, da man auf die bisherigen Leistungen wertgelegt habe, so Girsa:

„Wir haben uns für Studierende entschieden, deren Arbeitsweise wir bereits aus unserem Atelier kannten. Das heißt, wir haben Studenten ausgewählt, die sich bereits bewiesen haben, die talentiert, fleißig und zuverlässig sind und zugleich technisch geübt.“

Widersprüchliche Pläne

Adolf Loos wurde 1870 im mährischen Brno / Brünn geboren. Später ging er nach Wien. Heute gilt er als Wegbereiter der modernen Architektur. Sein Jahrzehnte altes Vorhaben umzusetzen, sei aber nicht einfach gewesen, schildert Girsa:

Das letzte Haus von Adolf Loos | Foto: Technische Hochschule in Prag

„Die Pläne waren bruchstückhaft und widersprachen sich mitunter. Es fehlten oft genaue Maßangaben, und das, was im Grundriss eingezeichnet war, stimmte manchmal nicht mit dem Querschnitt überein.“

Weiterhin unklar ist etwa auch, wo der grüne Holzbau für Eva Müllerová ursprünglich entstehen sollte. Eine Quelle erwies sich aber dennoch als besonders wertvoll für die Denkmalschützer:

Das letzte Haus von Adolf Loos | Foto: Technische Hochschule in Prag

„Adolf Loos war damals schon schwerkrank. Es handelte sich wirklich um sein letztes Haus. Seine Vorstellungen diktierte er jedoch noch. In den erhaltenen Mitschriften dieser Gespräche schildert Loos zum Beispiel, wie die Küche und die anderen Zimmer aussehen sollen, welche Möbel er verwenden möchte und in welcher Farbe die Wände gestrichen werden müssen.“

Diese Informationen wurden von dem Team herangezogen, um die strittigen Fragen zu klären und die Lücken in den Plänen für den quaderförmigen Bau zu schließen.

Wo war welches Grün? Wo stand das Bett?

Als die Studenten von Václav Girsa ihren Entwurf abgeschlossen hatten, legte die Coronapandemie das öffentliche Leben in Tschechien still. Die Pläne verschwanden kurzzeitig in der Schublade. Doch man sei nicht untätig gewesen und habe aus der Not eine Tugend gemacht, schildert Girsa:

„Im folgenden Semester hat fast die gleiche Gruppe an einer weiteren Aufgabe gearbeitet. Uns ging es darum, aus den erhaltenen Aufzeichnungen abzuleiten, wie das Interieur des Hauses ausgesehen haben könnte.“

Dabei sei wieder Detailfreude gefragt gewesen…

Das letzte Haus von Adolf Loos | Foto: Technische Hochschule in Prag

„Wir haben erforscht, wo welches Grün verwendet wurde und bis wohin. Wie der Sockel ausgesehen haben könnte. Wo wohl das Bett stand und wie wahrscheinlich all diese Annahmen sind.“

Um treffsichere Aussagen tätigen zu können, wurden nicht nur die erhaltenen Unterlagen gewälzt. Das Forscherteam suchte auch nach Analogien in noch erhaltenen Bauten von Adolf Loos.

„Die Studenten haben die Einrichtungen von Loos‘ Wohnungen und Häusern unter die Lupe genommen. In Österreich gibt es davon ja eine Menge, und hierzulande sind vor allem die Wohnungen in Pilsen restauriert worden.“

Der Rohbau soll das Unfertige betonen

Das letzte Haus von Adolf Loos soll nicht bis ins Detail ausgebaut werden. Vielmehr wird es sich um eine Art Rohbau handeln.

„Das Gebäude besteht aus unbehandeltem Holz. Die Leute können hindurchgehen und sich eine Vorstellung von den Abmessungen, dem Arrangement der Räume und Decken oder der Beleuchtung machen. Dazu lagen uns ausreichend Daten vor.“

Zugleich ist sich der Denkmalpfleger dessen bewusst, dass man das Vorhaben auch kritisieren könnte…

Das letzte Haus von Adolf Loos | Foto: Technische Hochschule in Prag

„Es geht schon viel verloren, wenn der Autor nicht mehr lebt. Man kann dann kaum noch von einem Werk des Architekten sprechen. Das würden vielleicht Laien so sagen. Die wissen aber nicht, dass ein Architekt nicht nur Entwürfe zeichnet, sondern den Bauprozess auch von Anfang bis Ende mitbegleitet. Es kommt öfter vor, dass ein Gestalter der Pläne das Haus wachsen sieht, sich an etwas stört und in den Bauprozess eingreift.“

Da werden Erinnerung wach an die Herausgabe von Franz Kafkas Werken nach seinem Tod – und gegen seinen Willen. Aus genau diesem Grund habe man sich dann auch für einen Rohbau entschieden, so Girsa.

„Dadurch zeigen wir das Unfertige und betonen, dass es sich nur um einen Entwurf gehandelt hat. Ich denke, dass wir Loos damit gerecht werden.“

Beim Interieur hingegen hat man sich ganz gegen eine Realisierung entschieden. Zu unklar sei die Quellenlage, begründet der Professor:

„Es gibt nur grobe Beschreibungen und vergleichbare Häuser. Wir haben uns gesagt, dass die Ergebnisse der Studierenden wunderbar sind und in der Villa etwa graphisch oder auf Bildschirmen gezeigt werden sollen. Dadurch können sich die Besucher einen Eindruck machen, wie es in dem Gebäude ausgesehen haben könnte. Aber alles bis ins kleinste Detail zu realisieren, das wäre wohl ein problematischer Zugang.“

Loos‘ Raumplan war für seine Zeit revolutionär

Stattdessen also der Rohbau, der den Besuchern vor allem einen Eindruck von Loos‘ zentralem Konzept geben soll: dem Raumplan…

„Loos stapelt keine Stockwerke mit vorgeschriebener Deckenhöhe übereinander. Stattdessen ordnet er die Räume so an, dass ihre Höhe der Bedeutung entspricht. Wenn also das Wohnzimmer eine vier Meter hohe Decke hat, wird die Toilette oder die Speisekammer nicht so hoch sein müssen.“

Dieser Zugang von Adolf Loos sei für seine Zeit revolutionär gewesen, sagt Girsa. Doch die Bauten hätten auch einen entscheidenden Nachteil gehabt: Aufgrund der verschiedenen Ebenen mussten sehr viele Treppen verbaut werden. Wenn die Bewohner älter wurden, hätte das oft zu Problemen geführt, sagt der Architekt und führt ein Beispiel aus der Praxis an – das eingangs bereits erwähnte Baudenkmal im Prager Stadtteil Střešovice:

„Man hat das an der Villa Müller gesehen. Milada Müllerová hatte im Alter Gehbeschwerden. In dem Gebäude war sie geradezu gefangen.“

Das letzte Haus von Adolf Loos | Foto: Technische Hochschule in Prag

Hinzu kommen Aspekte der Barrierefreiheit, die man damals nicht bedacht hat. So schön wie die Bauten von Loos also auch anzusehen sind, mittlerweile würde man auf diese Weise eigentlich wohl nicht mehr bauen, sagt Václav Girsa:

„Heute gibt es ganz neue Ansprüche an Lebensräume und auch andere gesellschaftliche Zusammenhänge. Die Villa Müller wurde für eine Frau und einen Mann jungen Alters mit ein bis zwei Kindern gebaut. Natürlich gab es auch Zimmer für den Chauffeur oder die Dienstmädchen. Der Bau war komplett auf die Ansprüche dieser Gesellschaftsschicht abgestimmt. Heute gehen wir das Thema Wohnen ganz anders an, und solche Aspekte würden in keinen Entwurf mehr Eingang finden.“

Bisher wurde bereits das Fundament für das Loos-Haus fertiggestellt. Bis 2025 soll der Bau abgeschlossen sein und das besondere Gebäude von den Besuchern des Technischen Museums besichtigt werden können.

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