Die mährische Hochzeit
In der ostmährischen Walachei gibt es ein altes Sprichwort: „Auf dieser Welt ist man nur dreimal ein besonderer Mensch: Wenn man zur Welt kommt, wenn man heiratet, und wenn man stirbt.“ Die drei Schlüsselmomente des menschlichen Lebens waren in Mähren jahrhundertelang mit bestimmten Bräuchen verbunden. Im Folgenden mehr zum kulturhistorischen Phänomen der „mährischen Hochzeit“.
Ende des 19. Jahrhunderts wurden die älteren Hochzeitstraditionen in Mähren zu einem Forschungsgegenstand. In Fachzeitschriften erschienen dazu unterschiedliche Beiträge von sachkundigen Sammlern und Forschern. Zu den ersten Volkskundlern gehörte auch František Bartoš. 1892 veröffentlichte er eine bedeutende Schrift mit dem Titel „Mährische Hochzeit“. Seinen Fokus richtete er auf mehrere ländliche Regionen, in denen die alten Hochzeitsbräuche weiter lebendig waren. In den Städten waren diese hingegen bereits verloren gegangen. Die Ethnologin Blanka Petráková leitet das städtische Museum im südostmährischen Luhačovice:
„Noch im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts liefen die Hochzeitsfeiern in Mähren vollkommen anders ab als heutzutage. Mittlerweile geben sich die Brautleute das Ja-Wort im Standesamt und zum Teil auch in der Kirche. Es wird ein Hochzeitsbankett abgehalten, und damit ist es zu Ende. Früher gingen den Hochzeitsfesten lange Vorbereitungen voraus. Alles fing mit der Brautwerbung und der nachfolgenden Verlobung an. Beides hatte eine geregelte, im gewissen Sinne institutionalisierte Form. Drei Wochen vor dem Hochzeitstermin musste die Verlobung des Brautpaars dreimal in der Kirche, jeweils am Sonntag verkündet werden. Dies geschah jedoch in ihrer Abwesenheit. Die Verlobten mussten einer Reihe von Pflichten nachgehen, zum Beispiel die Hochzeitsgäste persönlich einladen. Eingeladen wurde letztlich auch die Dorfgemeinschaft. Im Gegenzug steuerten die Nachbarn, die Verwandten, aber auch entfernte Bekannte etwas bei. Das waren Butter, Quark, Eier und Ähnliches, um die Eltern der Braut einigermaßen finanziell zu entlasten.“Kein Bündnis ohne Ehevertrag
Die Trauung selbst wurde als feierliche und öffentliche Zeremonie abgehalten – mal mit mehr, mal mit weniger Aufwand. Die Ehe selbst sei allerdings eine Angelegenheit mit pragmatischem Hintergrund gewesen, sagt Petráková. In erster Linie habe man über einen Ehevertrag verhandelt:„Die Vereinbarung beider Familien darüber, was der Bräutigam und die Braut jeweils in das Ehebündnis mitbringen, das war die substantielle Frage vor der Hochzeit. Die Gespräche darüber galten als Teil der Brautwerbung. Im Vorhinein musste ausgehandelt werden, wie es um die Mitgift der künftigen Ehefrau bestellt war. Zur Sprache kam aber auch, ob der Bräutigam in der Lage ist, eine eigene Familie zu ernähren, wo das Ehepaar künftig leben wird und vieles mehr. Abschließend wurde ein Ehevertrag unterzeichnet.“
Erst danach wurde die Hochzeit in die Wege geleitet. Doch schon die Vorbereitungsphase war gespickt mit Ritualen. Hierzu gehörte zum Beispiel der „vínek“, auf Deutsch wörtlich etwa das „Myrtensträußchen“. Das war ein sehr alter Brauch:
„Mit ‚vínek‘ wurde das bezeichnet, was heute als ‚Junggesellenabschied‘ bekannt ist. Am Vorabend der Hochzeitsfeier, wenn die Vorbereitungen auf das Ereignis – das Saubermachen, Kochen und Backen in den Elternhäusern des Brautpaars – auf Hochtouren liefen, fand dieser „vínek“ statt. Der Bräutigam und die Braut nahmen getrennt Abschied von ihren Altersgenossen. Eine Gruppe von Musikanten spielte zunächst vor dem Haus des Bräutigams, der später gemeinsam mit ihnen vor das Haus seiner Verlobten zog. Im Beisein ihrer Freundinnen – der Brautjungfern – bereitete sie sich dort auf den nächsten Tag vor. Hierzu gehörte auch ihre Frisur, ein wichtiges Element der Hochzeitstradition. Durch das Einflechten von 20 Bändeln, die bis zu zwei Meter lang sind, in das Haar entstand eine Art Krone. Die Prozedur dauerte mehrere Stunden lang. Die Braut musste dann die Nacht im Sitzen am Tisch verbringen, den Kopf auf die Hände gestützt“, so die Ethnologin.
Brautkleid in violett und grün
Aus den historischen Quellen ist bekannt, dass vor mehr als hundert Jahren das Leben der Landbewohner in Mähren in hohem Maße geregelt war. Jeder habe gewusst, so die Ethnografin Petráková, was und wann er zu tun habe. Vieles sei vorgegeben gewesen. So auch in der Frage der Hochzeitskleidung:„Man zog jeweils das Beste und Schönste an, was man besaß. Es waren Kleider, die nur zu festlichen Gelegenheiten getragen wurden. Die Braut, deren Familie sich das leisten konnte, trug ein funkelnagelneues Kleid. Nicht selten kam es aber vor, dass sich eine Verlobte aus einer ärmeren Familie auch etwas leihen musste – zum Beispiel den festlichen, aber kostspieligen Wollrock, den man im Winter trug. Bei diesen spielten die Farben violett und grün eine wichtige Rolle. Je nach Region oder Gemeinde waren sie anders kombiniert. Das weiße Brautkleid setzte sich nur langsam durch, eigentlich erst nach dem Ersten Weltkrieg. Weiß wurde lange als Trauersymbol empfunden und stand nicht wie heute für Reinheit und Unschuld. Die Bräute aus ländlichen Gebieten heirateten in der Regel in einer Tracht, wobei sich der Stil im Laufe der Zeit gewandelt hat. Der Bräutigam trug einen kürzeren schweren Mantel aus dickem Tuchstoff. Diesen zog er bis zum Lebensende zu festlichen Anlässen an.“
Geheiratet wurde meist im Winter, vor allem aber in der Faschingszeit, wenn die Bauern keine Feldarbeiten verrichten mussten. Zum Teil fanden Hochzeiten auch nach der Ernte statt. Zu den Bräuchen gehörte des Weiteren das Anziehen des Brautkleids. Der zukünftigen Ehefrau halfen dabei Freundinnen und ältere Frauen aus der Verwandtschaft:„Dabei wurden emotionsgeladene mährische Hochzeitslieder gesungen. Sie besangen mittels verschiedener Metaphern den Abschied der Braut von ihrem Jungfern-Leben und den Freundinnen. Gesungen wurde aber auch über die Besorgnis darüber, was die unbekannte Zukunft mit sich bringen würde. Noch vor dem Kirchgang zog wieder der Bräutigam vor das Haus der Braut, begleitet von seinen Eltern und Freunden sowie den Musikern. Unterwegs warteten auf ihn symbolische Hindernisse, mit ihrer Überwindung wurde seine Reife für die Ehe geprüft. Die Spielchen, bei denen sich alle gut amüsierten, setzten auch vor dem Elternhaus der Braut fort. Man versuchte den Bräutigam daran zu hindern, seine Auserwählte zu begrüßen. Wenn er dann endlich ins Haus gelassen wurde, fand das sogenannte Kränzchen-Beweinen statt. Es war vielleicht der am stärksten rührende Moment der alten mährischen Hochzeitsbräuche und wurde wieder von Gesang begleitet. Danach verabschiedete sich die Braut von ihren Eltern. Sie bedankte sich bei ihnen für alles und bat sie um Vergebung, falls sie ihnen als Kind etwas Böses angetan habe. Nach dem Abschiedsritual machte sich die gesamte Gesellschaft auf den Weg in die Kirche“, so Petráková.
Im katholisch geprägten Mähren war die kirchliche Trauung praktisch Pflicht. In der Sakristei besiegelte das frisch vermählte Ehepaar das Ehebündnis mit seinen Unterschriften und machte sich auf den Heimweg, zusammen mit den Hochzeitsgästen. Angeführt wurde der Zug von Musikanten und Freunden, die mit ihrem Gesang und Sprungtanzkreationen für Stimmung sorgten. Die Dorfbewohner standen zum Geleit vor ihren Häusern und wurden mit Süßigkeiten belohnt.Mitgift auf dem Leiterwagen
Die Hochzeitsteilnehmer trafen sich dann im Elternhaus von einem der Vermählten, dort wurde nun das Mittagessen serviert. Meist waren dies Nudelsuppe und Brei. Die Aufsicht über den regelrechten Verlauf der Hochzeitsfeier hatte eine Gruppe von älteren und erfahrenen Frauen. Sie wachten auch darüber, dass die Mitgift ins neue Domizil gebracht wurde. Der Transport erfolgte mit Truhen auf einem Leiterwagen, so dass auch die Nachbarn über den Umfang des Hausstandes informiert waren. Zur Mitgift gehörten in der Regel Haushaltsgeräte, Bettwäsche, Kleidung und Federdecken, die besonders geschätzt waren. Blanka Petráková:
„Auf dem Pferdewagen wurde auch der Hochzeitskuchen gefahren, den die Braut traditionsgemäß von ihrer Patin geschenkt bekommen hatte. Noch zu Ende des 19. Jahrhunderts war er gespickt mit Haselruten. In Mähren gab es verschiedene Varianten davon, und alle sollten einen Lebensbaum symbolisieren. Jeder Hochzeitsgast musste mindestens ein Stück von dem Kuchen bekommen. Die Größe des Gebäcks musste daher der Gästezahl angepasst werden, sollte aber auch dem Reichtum der Braut entsprechen. Der Kuchen war aus Hefeteig, und die Öffnung des Backofens musste im Notfall sogar vergrößert werden. Grundlage war ein schwerer Gerstenmehlteig, heutzutage dürfte so etwas kaum noch jemandem schmecken. Die Haselruten, die im Teig steckten, waren anderthalb bis zwei Meter lang und von einem Teigmantel umgeben. Sie waren mit Schmuck behängt, vor allem aber mit unterschiedlichem Gebäck in Form von Sternen, Blüten oder Figuren. Zur Verzierung der Haselnussruten verwendete man auch Trockenobst, vergoldete Nüsse sowie Heiligenkarten. Symbole wie ein Holzrührstab, Topfdeckel oder andere Haushaltsgeräte wiesen auf die neue Rolle der jungen Hausfrau hin. Die Dominante des Hochzeitskuchens bildeten jeweils eine Frauen- und Männerfigur als Darstellung von Adam und Eva – sie symbolisierten das Leben und die Fruchtbarkeit.“ Diese Funktion sollten allerdings auch andere Symbole erfüllen. Zum Beispiel in der Region der Kurstadt Luhačovice waren Distelpflanzen beliebt. Sie galten als Aphrodisiakum und standen für Potenz. Laut der Museumsleiterin erhielt die Braut das Stück Kuchen mit der Distelblüte, die sie dann hinter dem eingerahmten Hochzeitsbild im Schlafzimmer aufbewahrte.Im Lauf der Jahrhunderte wandelte sich jedoch der Lebensstil und mit ihm auch die Form der Hochzeitsfeiern.
„Früher dauerte eine mährische Hochzeit auf dem Lande mindestens einen ganzen Tag. Nicht selten waren es auch zwei bis drei Tage. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts dehnte sich die Feier sogar manchmal auf eine ganze Woche aus. Mit fortschreitender Industrialisierung fanden allerdings immer mehr Menschen Arbeit in der Stadt. Sie konnten sich nicht mehr so um alte Traditionen kümmern. Das heißt, die Feiern wurden allmählich wieder kürzer. Zu Ende des 19. Jahrhunderts waren es aber immer noch oft drei Tage. Eine Zäsur war auch der Übergang von der althergebrachten Form des Hochzeitskuchens zur Hochzeitstorte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die traditionellen Kuchen in Form von Bäumchen nur noch ausnahmsweise gebacken. Die Konditoren überschlugen sich stattdessen mit kunstvollen Tortenkreationen“, sagte die Volkskundlerin.
Danach gerieten viele der früheren Hochzeitsbräuche ins Vergessen. Seit einiger Zeit wird aber bei Folklorefestivals gerne an dieses mährische Kulturerbe erinnert. Und manche Brautleute beleben mittlerweile auch bestimmte Bräuche bei ihren Hochzeitsfeiern wieder.