Spitzenkonjunktur – mit Warnsignalen

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Die aktuelle Umfrage der DTIHK zeugt zwar von bester Stimmungslage, doch Langzeitprobleme könnten zum Bumerang werden.

Christian Rühmkorf  (links). Foto: Jaromír Zubák,  Archiv DTIHK
Die Maschinen sind im Dauerbetrieb, so brummt derzeit die Wirtschaft in Tschechien. Und auch die Auftragsbücher sind weiter größtenteils gefüllt, wenn man der aktuellen Konjunkturumfrage der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer (DTIHK) glaubt. An der Erhebung nahmen 130 Unternehmen teil, alle haben ihren Sitz hier im Land. Christian Rühmkorf leitet die Öffentlichkeitsarbeit der Kammer:

„Wenn wir direkt nach der Wirtschaftslage fragen, haben wir das beste Ergebnis seit anderthalb Jahrzehnten bekommen – konkret seit 2002. 73 Prozent oder fast Dreiviertel der Unternehmen sagen, die aktuelle Wirtschaftslage sei gut. Und nur zwei Prozent, so wenig wie noch nie, bezeichnen die Lage als schlecht.“

Laut Rühmkorf nähert sich Tschechien jedoch einer Phase der Hochkonjunktur. Das zeige sich darin, dass die Wirtschaftsaussichten für dieses Jahr nur verhalten optimistisch bewertet werden. Deutlich besser lesen sich aber die Angaben zu den Geschäftsaussichten der Unternehmen:

Michael T. Krüger  (Foto: Jaromír Zubák,  Archiv DTIHK)
„Da sagen 57 Prozent, dass es in diesem Jahr noch besser würde. Das ist ein Sprung nach vorne um zehn Prozentpunkte im Vergleich zum Vorjahr“, so Christian Rühmkorf.

Auch glauben die meisten Firmenmanager, dass sie den Exportabsatz ihres Betriebs in diesem Jahr noch steigern können. Doch der tschechische Arbeitsmarkt ist seit einigen Jahren fast leergeräumt, im März lag die Erwerbslosenquote nur noch bei 3,5 Prozent. Zugleich nimmt der Druck weiter zu, wie Michael T. Krüger beobachtet hat. Er ist CEO der Commerzbank AG in Tschechien und der Slowakei.

„Unternehmen treffen ihre Investitionsentscheidungen eher langfristig. Und es gibt immer noch einen relativ bedeutenden Zuzug von neuen Unternehmen, die sich hierzulande ansiedeln wollen. Sie bauen Produktionsstätten auf, weil sie vor vier oder fünf Jahren entschieden haben, nach Tschechien zu gehen“, sagt Krüger.

Die Folge: Die Unternehmen versuchen, sich bei den Löhnen und Vergünstigungen für Angestellte zu überbieten. Das spiegelt auch die aktuelle Konjunkturumfrage wieder. Christian Rühmkorf:

Foto: Archiv Škoda Auto
„Zwei von fünf Unternehmen rechnen mit einer weiteren heftigen Steigerung der Lohnkosten von mehr als acht Prozent. Das gab es so noch nie. Und jeder zweite Betrieb erwartet eine Erhöhung von zwei bis acht Prozent.“

Lohnkosten explodieren

Die Lohnkostenentwicklung würde sich damit von der Konjunktur abkoppeln, so Rühmkorf. Und Commerzbank-CEO Krüger nennt ein Beispiel: den jüngsten Tarifabschluss bei Škoda Auto. Die Gewerkschaften konnten für die 25.000 Beschäftigten bei der VW-Tochter ein Plus von zwölf Prozent herausschlagen. Das Wirtschaftswachstum hierzulande dürfte hingegen in diesem Jahr laut neuester Prognosen bei 3,5 Prozent liegen.

Digitalisierung  (Foto: YouTube)
Was diese Entwicklung bedeutet, lässt sich aber erst aus einem weiteren Ergebnis der Erhebung ablesen. So sind die Unternehmer so investitionsfreudig wie noch nie:

„55 Prozent der Befragten rechnen mit steigenden Investitionsausgaben im Jahresverlauf, das sind 14 Prozentpunkte mehr als im letzten Jahr“, sagt der Leiter Kommunikation der DTIHK.

Was im ersten Moment positiv klingt, birgt bei genauerer Analyse jedoch ungeahnte Gefahren. Michael T. Krüger:

„Die Unternehmen tätigen nicht wie sonst ganz normale Ersatzinvestitionen, in Modernisierung und Ausweitung der Produktion, sondern in Automation und Digitalisierung. Dies soll sie schlichtweg unabhängiger vom Arbeitsmarkt machen.“

An sich müsse dies keine schlechte Sache sein, meint der Commerzbank-CEO. Doch er prognostiziert heftige Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.

„Wenn die Unternehmen ihre Automationsinvestitionen abgeschlossen haben und ein Großteil der Arbeitskräfte einfach nicht mehr benötigt wird, dann wird es zu genau umgekehrten Tendenzen kommen: dass Arbeitslosigkeit in diesem Land wieder zum Thema wird. Und wir wissen aus den vergangenen Jahrzehnten recht genau, was das unter anderem für einen Staatshaushalt bedeutet.“

Hohe Investitionen in Automatisierung

Pressekonferenz zur Konjunkturumfrage 2018 in der DTIHK-Kuppel  (Foto: Jaromír Zubák,  Archiv DTIHK)
Die Konjunkturumfragen der DTIHK reflektieren immer auch die Standortkriterien. Ganz vorne liegt da für Tschechien schon seit einigen Jahren die EU-Mitgliedschaft des Landes. Dass dies erneut der Fall ist, könnte man also auch geflissentlich übergehen. Christian Rühmkorf weist aber auf die Debatte in der tschechischen Politik über einen möglichen Czexit hin. Eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus will hierzulande in Zukunft allgemeine Volksabstimmungen ermöglichen. Dabei drängen die Kräfte links und rechts außen darauf, die Bürger auch über die internationale Verankerung des Landes entscheiden zu lassen – so etwa über die tschechische EU-Mitgliedschaft. Schon im März hat sich die Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer dadurch alarmiert gezeigt. Sie ließ eine Blitzumfrage durchführen. Christian Rühmkorf:

„Wir haben gefragt: Beunruhigt Sie die aktuelle Diskussion in Tschechien um einen möglichen EU-Austritt des Landes. Da sagen ganz klar fast 80 Prozent ja. Darunter sind sehr viele tschechische Unternehmen, nicht nur ausländische Investoren. Dass die EU-Mitgliedschaft als Standortfaktor wieder auf Platz eins gelandet ist, hat für uns deswegen eine andere Bedeutung als noch im vergangenen Jahr.“

Aber nicht nur das, denn zugleich ist ein weiterer Indikator in den Keller gegangen: die politische Stabilität. Von Platz elf ist sie abgerutscht auf den vorletzten, den 20. Platz, nur noch unterboten von der mangelnden Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Daraus ergaben sich für die DTIHK zwei weitere Fragen.

„Wir haben die Unternehmen noch einmal speziell abgefragt: Welche Bedeutung haben stabile politische Verhältnisse für Ihr Business? Zwei Drittel sagen, dass sei wichtig bis sehr wichtig. Und wir haben weiter gefragt: Was trifft Ihrer Einschätzung nach zu – wird es besser oder schlechter mit der Stabilität und der Berechenbarkeit? Und absolut alarmierend: Drei von vier Unternehmen rechnen mit einer Verschlechterung“, so Rühmkorf.

„Pures Gift“ für die Wirtschaftslage

Da kommt hinzu, dass sich in Tschechien auch ein halbes Jahr nach den Wahlen noch keine mehrheitsfähige und stabile Regierung abzeichnet. Commerzbank-CEO Krüger wählt daher deutliche Worte:

„Wenn ich sehe, dass dazu die Czexit-Debatte aufkommt, die primär populistische Wurzeln hat und in dieser unsicheren politischen Situation vielleicht gar nicht so überraschend ist, dann ist das pures Gift für die Wirtschaftslage. Es erschwert noch die Themen, die ansonsten auf der wirtschaftspolitischen Agenda stehen. Dazu gehört, die Ausbildung auch an den Bedürfnissen der Unternehmer auszurichten. Oder das Thema Facharbeitermangel, bei dem man auch etwas tun könnte, ohne dass man nur an den Zuzug von Arbeitnehmern aus dem Ausland denkt. Es wird höchste Zeit, dass hierzulande wieder politische Stabilität herrscht und wir eine Regierung erhalten, die auch wieder eine komplette Legislaturperiode durchhält und ihre Agenda umsetzen kann.“

Illustrationsfoto: Pixabay / CC0
Apropos Arbeitskräfte- und Facharbeitermangel. Der gesamte Bereich „Human resources“ liegt hierzulande im Argen. Christian Rühmkorf:

„Bei mehreren Standortfaktoren wie Qualifikation der Arbeitnehmer, Arbeitskosten, Berufsbildungssystem oder Verfügbarkeit von Fachkräften – da sehen wir leider nur negative Tendenzen. Das Berufsbildungssystem hat sich zwar de facto nicht verschlechtert, es ist so wie seit Jahren – nämlich ungenügend. Was sich aber verändert hat, sind die Anforderungen der Unternehmen.“

Vor dem Hintergrund dieser deutlichen Kritik mag ein weiteres Ergebnis der Konjunkturumfrage fast absurd anmuten. Seit 15 Jahren führen nämlich auch die Auslandshandelskammern in 15 weiteren Ländern Mittel- und Osteuropas vergleichbare Erhebungen durch. Dabei sollen die Investoren immer auch angeben, welches Land der Region sie für das attraktivste halten.

„Und Tschechien ist im dritten Jahr hintereinander wieder auf Platz eins gelandet und hat den Abstand zu Polen sogar noch einmal etwas vergrößert. Das ist natürlich eine super Nachricht, auf die wir stolz sind und über die wir uns freuen“, betont Christian Rühmkorf.

Autor: Till Janzer
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