Mittelalterliche Bücher zum Anfassen
In der Nationalbibliothek in Prag wurde eine Ausstellung von Faksimiles der wertvollsten mittelalterlichen Handschriften eröffnet.
„Das mittelalterliche Buch zum Anfassen“ heißt die Ausstellung, die am Donnerstagabend in der Galerie des Prager Klementinums eröffnet wurde. Über den Tischen drängen sich bei der Vernissage Schaulustige, die sich die auf roten Samtdecken ausgelegten Handschriften anschauen. Vor dem Anfassen der Bücher ziehen die meisten Besucher weiße Baumwollhandschuhe an, um die Faksimiles nicht zu beschädigen. Die originalgetreuen Kopien der mittelalterlichen Bücher kommen aus der Werkstatt der Firma Tempus Libri. Mit ihr arbeite die Nationalbibliothek seit einigen Jahren zusammen, erklärt Martin Kocanda. Er ist Direktor der Nationalbibliothek.
„Es fiel uns ein, dass es gut wäre, die Öffentlichkeit mit den Ergebnissen der Zusammenarbeit bekannt zu machen. Drei der Originalwerke, deren Faksimiles hier gezeigt werden, befinden sich in der Nationalbibliothek. Ich möchte vor allem auf das Faksimile des Codexes von Vyšehrad aufmerksam machen. Er entstand im 11. Jahrhundert anlässlich der Krönung Vratislavs II. Die Bedeutung sowie der Wert des Codexes sind mit dem der böhmischen Kronjuwelen vergleichbar.“Codex von Vyšehrad
Die Aufgabe der Nationalbibliothek sei unter anderem, das historische Erbe zu schützen, erklärte der Direktor. Die Forscher sowie andere Interessenten können heutzutage natürlich digitalisierte Kopien wertvoller Handschriften nutzen. Kocanda bemerkt jedoch:„Um offen zu sein, ist es ein anderes Gefühl, sich den Inhalt eines alten Werks am Computer anzuschauen, als wenn man die Möglichkeit hat, das Buch in die Hand zu nehmen. Ich lade nicht nur die regelmäßigen Besucher der Nationalbibliothek, sondern auch alle Bewunderer historischer Handschriften in unsere Galerie ein, wo sie die wertvollen Exponate in die Hand nehmen können.“
Einer der Initiatoren der Ausstellung ist Tomáš Žilinčár. Er ist bei der Firma Tempus Libri für die entsprechende Qualität der Faksimiles verantwortlich. Gerade dazu habe sich sein Unternehmen verpflichtet, sagt Žilinčár.„Ich bemühe mich darum, dass die Bücher mit sämtlichen Details gestaltet werden. Ich sorge dafür, dass möglichst authentische technologische Verfahren und Naturmaterialien genutzt werden. Wir möchten Institutionen, in deren Sammlungen die Originalwerke aufbewahrt werden, garantieren, dass die Kopien von der höchsten Qualität sind, die heutzutage technisch zu erreichen ist.“
Eine erste Ausstellung veranstaltete Tempus Libri bereits 2013 im Klementinum, nachdem die Firma ein Faksimile des Codexes von Vyšehrad angefertigt hatte. Tomáš Žilinčár:
„Für uns bedeutete das einen Durchbruch. Denn der Codex ist das Buch Nr. 1 für die tschechische Geschichte sowie das tschechische Volk. Es ist das Wertvollste, was es hierzulande in der Buchkultur gibt. Wir wollten damals anlässlich der Herausgabe des Faksimiles etwas Besonderes veranstalten. Der Codex befindet sich in der Nationalbibliothek, darum haben wir gerade hier eine Ausstellung gezeigt. Die Schau dauerte knapp zwei Wochen, und wurde von weit über 4000 Menschen besucht. Das war ein unglaublicher Erfolg.“
Höhepunkt ottonischer Kunst
Die Bücher, die derzeit im Klementinum zu sehen sind, sind nicht nur aus historischer Sicht besonders wertvoll. Ebenso ist ihre prunkvolle Gestaltung beeindruckend. Dies gilt vor allem für das sogenannte Evangeliar von Strahov. Es ist das älteste Buch, das in Tschechien erhalten ist. Das Original wird in der Bibliothek im Prämonstratenserstift Strahov aufbewahrt. Die Handschrift, die 222 Blätter umfasst, entstand 860 in Frankreich. Sie stamme also aus der Zeit, als die heiligen Kyrill und Method nach Mähren gekommen seien, betont Tomáš Žilinčár:„Es ist atemberaubend, dass das Buch mehr als 1100 Jahre alt ist. Es enthält alle vier Evangelien. Die Handschrift wurde lateinisch mit der sogenannten Unziale geschrieben, also einer Majuskelschrift. Das Evangeliar enthält nur vier Illuminationen. Diese entstanden erst im 10. Jahrhundert in Trier und wurden der Handschrift später beigefügt. Es handelt sich um Porträts der Heiligen Matthäus, Markus, Lukas und Johann. Die Bilder stellen den Höhepunkt ottonischer Kunst dar.“
Der Umschlag und der Bucheinband des Evangeliars sind bedeutend jünger als die Handschrift selbst. Der Umschlag aus rotem Samt wurde im Laufe der Jahrhunderte immer weiter verziert: mit goldenen und silbernen Figuren sowie Halbedelsteinen.„In der Mitte ist der gekreuzigte Christus zu sehen, unter dem Kreuz steht die Jungfrau Maria. Natürlich sind dort auch Figuren, die die Weihbischöfe von Trier darstellen, denn dort befand sich das Evangeliar eine Zeit lang. Alles ist mit Bergkristallen umrahmt.“
Auch beim Faksimile wurden für die Verzierungen auf dem Umschlag Gold, Silber, Achate oder Bergkristalle benutzt.
In der Ausstellung sind nicht nur Faksimiles von Büchern zu sehen. Zu besichtigen ist auch die originalgetreue Nachbildung einer Urkunde, mit der Kaiser Friedrich III. 1475 in Neuss eine Ergänzung des Stadtwappens der Prager Altstadt bestätigte.„Er hat das Stadtwappen so zu sagen veredelt: Es wurden neue Farben benutzt, es kamen neue Helme hinzu und anderes mehr. Das Stadtwappen wurde übrigens insgesamt sieben Mal abgeändert, zuletzt 1993. Die Echtheit belegt ein großes Siegel, auf dem der Kaiser auf dem Thron abgebildet ist. Die Originalurkunde befindet sich im Prager Stadtarchiv. In der Regel werden von Tempus Libri 199 Faksimiles der mittelalterlichen Handschriften angefertigt. Im Fall dieser Urkunde haben wir nur 99 Faksimiles hergestellt, weil es sich eigentlich um ein gültiges Rechtsdokument handelt. Für die Faksimiles der Urkunde wurde echtes Pergament benutzt, das mit 23karätigem Gold vergoldet wurde.“
Die Ausstellung mit dem Titel „Das mittelalterliche Buch zum Anfassen“ ist bis 19. April in der Galerie des Klementinums zu sehen. Die Galerie ist täglich außer Montag von 10.30 bis 18 Uhr geöffnet.
Die Ausstellung der Faksimiles mittelalterlicher Bücher aus tschechischen Sammlungen wird durch drei Exemplare von Faksimiles ergänzt, die vom spanischen Verlag Libri Millenium stammen. Die Besucher haben damit die Möglichkeit, die Exponate aus beiden Ländern miteinander zu vergleichen.