Kommunisten wollten es verbieten: Brünner Bethlehem-Stück von ´89 bis heute beliebt
Adventskonzerte, vorweihnachtliche Stimmung - das ist heute ganz normal in Tschechien. Doch vor 26 Jahren war das in der Tschechoslowakei bei weitem nicht so. Ein Beispiel für die rigide Kulturpolitik der damaligen Machthaber geht auf den Herbst 1989 zurück. Das Theater „Divadlo na provázku“ im südmährischen Brno / Brünn plante, die biblische Geschichte über die Geburt Christi zum bevorstehenden Weihnachtsfest zu inszenieren. Es war ein mutiges Vorhaben in einer Zeit, als religiöse Themen auch im Theater verboten waren und als niemand ahnte, dass sich schon bald danach die Verhältnisse hierzulande grundlegend ändern sollten.
Bis nach New York
„Provázek“, so wird das Theater im Volksmund genannt, arbeitete schon in den 1970er und 1980er Jahren mit ausländischen Ensembles zusammen an gemeinsamen Projekten. Doch erst nach der politischen Wende konnte es sich als eines der bedeutendsten Theaterhäuser hierzulande profilieren. Die „Bethlehem-Vorstellung“ in Moráveks Regie blieb auch in den nachfolgenden Jahren im Repertoire. Der Vertrag des Theatermachers lief jedoch 1995 aus:„Man hat mich praktisch gefeuert. Ich ging danach an das ostböhmische Klicpera-Theater in Hradec Králové / Königgrätz, wo ich später künstlerischer Chef wurde. Dort haben wir das Stück neu inszeniert. Bis heute ist es in mehreren Varianten aufgeführt und mit einer ganzen Reihe von Auszeichnungen bedacht worden. Ich kann mich kaum noch erinnern, wie viele Preise es waren.“
2006 wurde mit der Vorstellung auch das „Národní dům“ (Tschechisches Haus) in New York eröffnet. Morávek war da schon wieder an das Brünner „Provázek“ zurückgekehrt, und das mit hohem Renommee. Denn binnen kurzer Zeit war es ihm gelungen, die regionale Theaterbühne von Hradec Králové zu einem wichtigen Zentrum des tschechischen Theaters zu erheben. Mit seinen unkonventionellen Inszenierungen von tschechischen und weltweiten Klassikern punktet er bis heute. Oder er provoziert zumindest. Er wolle die Zuschauer zum Nachdenken bewegen, sagt er gerne. Das sei auch das Ziel bei der wiederholten Einstudierung von Pitínskýs Weihnachtsstück, das voller Symbolik steckt und viele Gedanken andeutet. Morávek überlässt es der Phantasie der Zuschauer, den Sinn der alten biblischen Geschichte zu entschlüsseln. Er selbst interpretiert den Text des Autors folgendermaßen:„Pitínský erzählt die Geschichte von uns allen, die wir uns in der heutigen Welt mehr oder weniger verloren fühlen und an nichts mehr glauben. Aber er erzählt auch davon, dass wir noch immer in der Lage sind, die Hoffnung wieder in uns aufleben zu lassen.“Die Inszenierung enthält unverkennbar Elemente des expressiven Volkstheaters sowie der Volkskultur der sogenannten Walachei in Nordostmähren. Dargeboten wird das Ganze teils im Stil eines Lustspiels.
Prolog im Freien bei Kerzenlicht
Einen festen Teil der Vorstellung bildet seit Jahren der außergewöhnlich gestaltete Prolog, der sich unter freiem Himmel abspielt. Mit ihm beginnt die Handlung in der Nacht vor Christi Geburt. Die Erzähllinie verläuft entlang biblischer Motive wie der Ankunft der drei Weisen aus dem Morgenland, heute als die Heiligen drei Könige bekannt, dem Kindermord in Bethlehem bis hin zur Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. Doch wandelt sich bei den Inszenierungen regelmäßig der Prolog. Vor zwei Jahren zum Beispiel marschierte der Regisseur persönlich in einem inzwischen traditionellen Umzug der Zuschauer zur nahe dem Theater gelegenen Kathedrale St. Peter und Paul. In der dunklen Gasse dorthin, nur beleuchtet von flackerndem Kerzenlicht, weisen in Engelskostüme gekleidete Schauspieler, zum Teil auf Bäumen sitzend, den Weg. Von der Kathedrale mit einer lebendigen Weihnachtskrippe kehren alle gemeinsam zurück in den Theatersaal. Dort beginnt der zentrale Teil der Vorstellung. Nach und nach werden auch die Zuschauer in die Handlung der biblischen Erzählung einbezogen. Vor ihren Augen spielt sich in einer opulenten Darstellung der Kampf zwischen Gut und Böse ab. Letzteres wird symbolisiert vom Teufel und dem personifizierten Tod, denen sich die bekannten Himmelsbewohner gegenüberstellen, geleitet von einem Erzengel mit dem flammenden Schwert. Im Dezember 2012 äußerte sich Antonín Pitínský in einem Interview für die Zeitung „Literární noviny“ zum Thema der ewigen Auseinandersetzung zwischen dem Guten und dem Bösen:„In der Welt gibt es unentwegt Spannungen. Zwischen Gut und Böse muss allerdings eine Spannung herrschen. Wenn ein neues Leben geboren wird, ist es immer etwas Geniales. Aus dem Kind kann sogar jemand werden, der die Welt von Grund auf verändert. In dem Moment hat die Instinktkraft der Mütter keine Grenzen. Wir wissen aber nie wirklich, was morgen passiert.“
„Betlehem oder die Übergroße Huldigung an das gerade geborene Jesulein“ wurde aber auch an anderen Orten in Brünn gespielt. Zum Beispiel vor 400 Menschen in der evangelischen Kirche Jan Amos Komenský. Oder im Planetarium, wo digitale Spitzentechnologie zur Geltung kam. Gespielt wurde auch in einer ganzen Reihe weiterer Städte insbesondere in Mähren, aber auch in Prag, wo sich die biblische Geschichte vor den Toren der Prager Burg abspielte. Die Eintrittskarten sind in der Regel schon lange vor dem Aufführungstermin ausverkauft.
„Singe, wer kann“
Moráveks größte Ambition ist, die Beteiligten an dem emotionsgeladenen Abend in das Mysterium der Weihnachtsgeschichte einzubeziehen. Der moralische Zeigefinger soll aber keineswegs gehoben werden.„In der heutigen Zeit des allgemeinen Unglaubens, wenn alle sagen, es sei ja egal, wer der Präsident sei, wen man gewählt habe oder woran man glaube, ist es schön, die elementare Geschichte von der Geburt Christi zu erzählen. Auch ich selbst habe etwas Problem e damit, an etwas zu glauben. Doch angesichts der Frau, die bei Frost und in einem Stall den Herrn der Welt geboren hat, bin ich tief ergriffen. Die Worte des Dichters Jan Antonín Pitínský, ‚Singe, wer kann, und fürchte dein Herz nicht mehr‘, sind allgemein gültig. Sie kommen bei unseren Großmüttern, Müttern und Vätern genauso gut an wie etwa bei Menschen in Brünn, Ostrau oder Hodonín. Deswegen erzählen wir immer wieder, jedes Mal zu Weihnachten, die alte Geschichte. Weil wir es nicht anders zu sagen wissen, wie man wieder an etwas glauben kann.“
Singen sollten, so Pitínský in seinem Theaterstück, „auch diejenigen, die verdrahtete Münder, hölzerne Hände und Leinenaugen haben“.