Die hussitische Tradition in der Prager Geschichte
In diesem Jahr wurde des 600. Todestags von Kirchenreformator Jan Hus gedacht. Wir haben in unseren Sendungen bereits über die Gedenkveranstaltungen berichtet, die in Prag, aber auch an anderen Orten im Juli stattfanden. Jan Hus verbrachte den Großteil seines Lebens in Prag. Eine Ausstellung mit dem Titel „Das Prag von Jan Hus und das hussitische Prag“ ist seit letzter Woche im Clam-Gallas-Palais zu sehen. Das Stadtmuseum und das Stadtarchiv haben die Schau erst im September eröffnet, damit sie während des Schuljahrs besichtigt werden kann.
„Es handelt sich um das Gebetsbuch von König Wenzel IV. Es stammt wahrscheinlich aus dem Jahr 1421. Das Buch wird in der McGowin Library am Pembroke College in Oxford aufbewahrt. Es ist ein unauffälliges Buch, das der Herrscher täglich zum Gebet nutzte, wenn er nicht in den großen Folianten blättern wollte.“
Auch die Gestaltung des Buchs ist einfach. Dies hängt dem Historiker zufolge vermutlich mit der geistlichen Stimmung in den Böhmischen Ländern ab 1410 zusammen. Gemäß den Lehren von Hus wurde sich mehr auf den Gedankeninhalt als auf die äußere Form konzentriert. Diese reformerischen Ansätze setzten sich in Prag allmählich durch. Das galt auch für den Königshof, von dem Hus stark unterstützt worden war.In der Ausstellung bezieht sich die Mehrheit der Exponate auf das religiöse Leben. Es gibt aber auch einige Ausnahmen. In einer Vitrine werden Alltagsgegenstände aus dem 14. und 15. Jahrhundert gezeigt, unter ihnen Spielzeug, Glas sowie Spielsteine.
Die Ausstellung zeigt auch eine Handschrift von Jan Hus. Dazu Petr Čornej:„Dieses Autograph von Jan Hus ist besonders wichtig. Jan Hus hat das Buch eigenhändig angefertigt. Es enthält John Wycliffs Traktate von Ende des 14. Jahrhunderts mit persönlichen Notizen von Hus. Den Originalband hat uns die Königliche Bibliothek in Stockholm geliehen.“
1402 wurde Jan Hus zum Verwalter und Prediger der Betlehem-Kapelle in Prag ernannt. Eine Vorstellung davon, wie der Sakralbau damals ausgesehen hat, können sich die Besucher anhand von Modellen machen. Der Historiker:
„Den Betlehem-Platz gab es damals nicht, an dem Ort waren die Raumverhältnisse sehr beengt. Die Kapelle grenzte unmittelbar an die Kirche des heiligen Philipp und Jakob, die später jedoch abgerissen wurde. Rund um diese Kirche gab es einen Friedhof. Auch die Betlehem-Kapelle hatte einen Friedhof. Es sah dort völlig anders aus als heutzutage. Zu Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Kapelle abgerissen, eine Wand ist aber erhalten geblieben. An der Stelle, wo die Kapelle zuvor stand, wurde in den 1830er Jahren ein Mietshaus erbaut. Nach 1948 wurde auch dieses Haus abgerissen und mit dem Wiederaufbau der Betlehem-Kapelle begonnen.“Auch wenn es so aussehen mag, war die Erneuerung der Kapelle keine rein kommunistische Idee, betont der Historiker. Darüber habe man hingegen bereits nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 nachgedacht. Damals sei es jedoch, so Čornej, nicht möglich gewesen, einem Hausbesitzer zu sagen: Wir kaufen dein Haus, reißen es ab und geben dir ein paar Kronen dafür. Das wurde erst nach 1948 möglich: Unter den Kommunisten sei die Enteignung per Befehl angeordnet worden, sagt der Historiker.
Der Kirchenreformator Jan Hus war auch für die Zeit der Aufklärung und der tschechischen nationalen Widergeburt eine wichtige Persönlichkeit. Davon zeugen gleich einige Exponate.„Es gibt hier Spielkarten, die von einem Hus-Kult in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeugen. Zudem ist ein Spazierstock zu sehen, der mit einer Plastik verziert ist, die den Kopf des hussitischen Heerführers Jan Žižka darstellt. Es wurden auch Pfeifen mit hussitischen Motiven verkauft. Das Hussitentum setzte sich als Thema zudem bei Alltagsgegenständen oder Geschenken durch.“
Eine beachtenswerte Geschichte hat das Hus-Denkmal auf dem Altstädter Ring in Prag. Das Werk des Bildhauers Ladislav Šaloun wurde 1915 anlässlich des 500. Todestags von Jan Hus feierlich enthüllt. Hus-Denkmäler wurden aber schon zuvor an einigen Orten Böhmens errichtet: 1872 wurde beispielsweise in der Stadt Jičín / Jitschin eine Hus-Statue von Bildhauer Antonín Sucharda enthüllt. Zur selben Zeit wurden einige Häuser im Stadtteil Žižkov mit Plastiken, Reliefs und Medaillons des Kirchenreformators verziert. Ein paar davon sind bis heute erhalten. Ende der 1860er und Anfang der 1870er Jahre war Hus als Motiv für Skulpturen und Denkmäler in Prag sowie auch außerhalb der Hauptstadt sehr beliebt. Nach dem Zweiten Weltkrieg versuchten die Kommunisten, sich Jan Hus und die hussitische Tradition anzueignen, sagt Petr Čornej:„Die Kommunisten haben nach 1945 das Hussitentum fast als ihr Programm adoptiert. Denn sie wussten, dass die Hussitenbewegung für die tschechische Gesellschaft ein wichtiges Phänomen war. Sie mussten im Wahlkampf zeigen, dass sie nicht nur eine internationalistische Partei sind, sondern dass sie sich auch zu den nationalen Traditionen bekennen. Darum nahmen sie sich des Hussitentums an und interpretierten es nach 1948 völlig einseitig als Klassenkampf. Dass sie die Hussiten als Vorgänger der Kommunisten bezeichneten, verleidete dieses Thema aber einer ganzen Generation Tschechen.“
Die Ausstellung über Jan Hus und die hussitische Tradition ist im Prager Clam-Gallas-Palais zu sehen, und zwar noch bis 24. Januar 2016. Das Palais befindet sich in der Straße Husova 20 in der Altstadt.