Das „zweite“ Leben von Magister Jan Hus (2.Teil)
Die Rezeption des tschechischen katholischen Predigers und Kirchenreformators Jan Hus war im Laufe der Jahrhunderte einem starken Wandel unterworfen: Er galt als Ketzer, Häretiker, Wahrheitskämpfer oder Nationalheld. Seit seiner Verbrennung am 6. Juli 1415 in Konstanz kam es immer wieder zu neuen, oft sehr scharfen Wortgefechten zwischen Hus-Verteidigern und Hus-Gegnern. Die über ihn geführte Debatte, die als „das zweite Leben von Hus“ bezeichnet wird, war vor einem Monat das Thema unseres „Kapitels aus der tschechischen Geschichte“.
Unser Exkurs in „das zweite Leben“ von Magister Jan Hus startet in den 1950er Jahren. An der Macht waren die Kommunisten, die wie niemand zuvor die Kunst beherrschten, Hus und seine Lehre zum Zweck der ideologischen Umerziehung eines gesamten Volkes zu instrumentalisieren. Der erste Wegweiser war 1953 das Buch „Die Kommunisten - Erben der großen Traditionen der tschechischen Nation“ aus der Feder des Bildungsministers Zdeněk Nejedlý. Eine parallele Hus-Forschung, die nicht auf der marxistischen Doktrin fußte, konnte sich hierzulande nur in geringem Ausmaß entwickeln. Dass neue Impulse häufig aus dem Ausland kamen, ist in Tschechien bis heute nur wenig bekannt. Zu jenen Impulsen gehörte das Buch von dem Belgier Paul de Vooght. Darüber sprach im Juni Professor Jan Lášek, Dekan der Hussitischen theologischen Fakultät, auf einer Pressekonferenz in Prag, auf der eine neue Kommission für die Hus-Forschung vorgestellt wurde:
„Paul de Vooght war ein französischsprachiger belgischer Benediktiner, der vor dem 2.Weltkrieg in Prag lebte und perfekt tschechisch sprach. Das Thema Hus hat er 1960 auf einem großen Forum der katholischen Kirche und anschließend auch auf einem Historikerforum angeschnitten. Auf sein im selben Jahr erschienenes Buch „L´hérésie de Jean Huss“ reagierte 1963 der bekannte tschechische Philosoph Milan Machovec in der Broschüre „Wird die katholische Kirche Magister Jan Hus rehabilitieren?“
Von da an wurde diese Frage zu einem roten Faden der Debatte um Hus. De Vooght ging von der Prämisse aus, dass Hus ein besserer Christ war als seine Konstanzer Richter. Als Katholik hielt er zwar einige Artikel von Hus für ketzerisch, zweifelte aber daran, dass gerade diese der wahre Grund für seine Verurteilung waren. Die Beschlüsse des Konstanzer Konzils seien De Vooght zufolge für die Katholiken nicht verbindlich. Sein Buch fand große Resonanz und wurde später als ein Vorzeichen des zwischen Oktober 1962 und Dezember 1965 stattgefundenen II. Vatikanischen Konzils (Vaticanum II) bezeichnet.Auf dem Konzil sprach der tschechische Kardinal Josef Beran über die negativen Auswirkungen des Konstanzer Kirchengerichts auf die Position der katholischen Kirche in der Tschechoslowakei. In diesem Zusammenhang plädierte er nachdrücklich für die Ausrufung der Religionsfreiheit und der Freiheit des Gewissens.
1966 wandte sich der Archivar von Konstanz, Otto Fegher, an Papst Paul VI. mit dem Aufruf Jan Hus zu rehabilitieren und darüber hinaus zu kanonisieren. Danach trat eine längere Pause in der Debatte um die „Rehabilitation von Jan Hus“ ein. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 war es fast unmöglich, sich mit der offiziellen ideologisierten Hus-Präsentation auseinanderzusetzen.
Wiederbelebt wurde die Debatte über Jan Hus 1986 mit dem Aufsatz „Jan Hus - Häretiker oder Vorgänger des II. Vatikanischen Konzils?“. Nach Meinung des Autors Stefan Swiezawski, Professor an der Katholischen Universität im polnischen Lublin, stimmen die Thesen, für die Hus zum Tod verurteilt wurde, mit denen überein, die auf dem II. Vatikanischen Konzil unter dem Sammelbegriff „Ecclesia“ in die Dogmatik der katholischen Kirche integriert wurden.Noch im selben Jahr reagierte der Philosoph und Vertreter der tschechischen Untergrundkirche Tomáš Halík darauf in einem Artikel, der nur in der Samisdat - Zeitschrift „Theologische Blätter“ (Teologické listy) veröffentlicht werden konnte. Seine Hoffnung, dass sich die offiziellen Kirchenstellen von dem Konstanzer Urteil distanzieren werden, wurde nicht erhört. Erwähnt sei aber die quasi prophetische Zukunftsvision, mit der Halíks Artikel endete: Nach Prag kommt ein slawischer Papst. Mit katholischen und evangelischen Gläubigen betet er für die Heilung der Wunden, die durch den Gewalttod von Hus in den Herzen der Tschechen entstanden sind. 1990 ist Halíks Vision zur Wirklichkeit geworden. Papst Johannes Paul II. besuchte die Tschechoslowakei. Während seiner Prag-Visite sagte er:
„Es wird die Aufgabe der Experten sein, an erster Stelle der tschechischen Theologen, genauer die Stelle zu definieren, die Jan Hus unter den Reformatoren der Kirche einnimmt.“
Mit diesen Worten hat der Papst zu einer wesentlichen Lockerung der festgefahrenen Positionen in der Hus-Debatte beigetragen. Unter dem Leitmotiv „Jan Hus: zwischen Zeiten, Völkern und Konfessionen“ tauschten sich 1993 auf einem Symposion in Bayreuth 150 Wissenschaftler aus 13 Ländern aus. Im Dezember 1999 kam die bis heute bedeutendste Konferenz über Jan Hus zustande. An dem 4-tägigen Symposium, das auf dem Boden der Päpstlichen Lateranuniversität in Rom stattfand, waren rund 100 Wissenschaftler aus sieben Ländern beteiligt. Am 17. Dezember wurden die Konferenzdelegierten, unter ihnen auch Staatspräsident Václav Havel, von Papst Johannes Paul II. empfangen. In seiner Ansprache erklangen aus historischer Sicht ausschlaggebende Worte:
„Heute […] fühle ich mich verpflichtet, mein tiefes Bedauern auszusprechen für den grausamen Tod von Jan Hus und für die daraus folgende Wunde, eine Quelle von Konflikten und Spaltungen, die dadurch in den Geist und die Herzen des tschechischen Volkes gerissen wurde.“
Diese Worte wurden von der breiten Öffentlichkeit als eine Bereinigung des Hus-Andenkens durch das Oberhaupt der katholischen Kirche wahrgenommen. Für viele ist aber die Entschuldigung des Papstes unzureichend und sie verlangen nach einer vollständigen Rehabilitation von Jan Hus. Das in vier Jahren anstehende 600. Jubiläum halten sie für einen passenden Anlass.Eines ist aber nicht zu erwarten. Professor Lášek, Dekan der Hussitischen theologischen Fakultät:
„Dass Hus auf einer rechtlichen Grundlage rehabilitiert wird, ist nicht zu erwarten. Das ist in der römischen Kirche nicht möglich. Doch die moralische Rehabilitation hat bereits stattgefunden, und zwar durch den Satz von Papst Johannes Paul II., Hus gehöre zu den Kirchenreformatoren. Damit bestätigte er, dass in der Kirche nicht alles in Ordnung gewesen ist und sie jemanden brauchte, um reformiert zu werden. Die Reformatoren hatten also eine positive Bedeutung.“