„Die Erwartungen an Tschechien sind hoch“ - MOE-Umfrage der Außenhandelskammern
Die deutschen Außenhandelskammern befragen jedes Jahr die Investoren in 16 mittel- und osteuropäischen Ländern. Es geht darum herauszufinden, wo die besten Bedingungen für Investitionen in dieser Region liegen. Diese MOE-Umfrage fand nun zum zehnten Mal statt und wurde auch in Prag vorgestellt. Zu den Ergebnissen nun mehr im Interview mit Christian Rühmkorf, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer.
„Das ist zunächst eine gute Nachricht. Wir haben hier immerhin ein Ranking von 16 Ländern. Und in diesen Ländern haben rund 1500 ausländische, überwiegend deutsche Investoren alle Länder von Ihrer Attraktivität als Investitionsstandort her bewertet. In dieser Rangfolge sind jedoch die Stimmen für Tschechien seitens der Investoren in Tschechien nicht berücksichtigt. Das heißt: 15 MOE-Länder sehen in dieser Region Tschechien als das zweitattraktivste Land. Die Umfrage bestätigt da auch die Fakten: Tschechien ist in MOE der de facto zweitwichtigste Handelspartner Deutschlands. Lange Zeit war Tschechien bei dieser Umfrage übrigens auf Platz eins. Seit 2013 musste das Land dann Polen in dieser Platzierung weichen. Das ist auch der Wermutstropfen dieser Nachricht.“
Im April hatte die DTIHK die Ergebnisse der landesspezifischen Konjunkturumfrage veröffentlicht. Dort landete Tschechien auf Platz eins im Mittelosteuropa-Vergleich. Wie kommt es zu den unterschiedlichen Bewertungen?„Da muss ich etwas korrigieren: Bei unserer damaligen Auswertung ging es nicht um Tschechien im Mittelosteuropa-Vergleich. Alle anderen 15 Länder waren da noch nicht berücksichtigt! Jedes Land, jede AHK, die an der Umfrage beteiligt ist, hat zunächst die Ergebnisse aus ihrem eigenen Land vorliegen und wertet diese aus. Im April haben wir also die Bewertungen überwiegend deutscher Investoren in Tschechien für Tschechien präsentiert. Und da hat sich eine sehr große und stabile Zufriedenheit mit dem Standort Tschechien gezeigt, Tschechien landete dann auf Platz eins. Dieses sehr gute Ergebnis wurde auch durch einen weiteren Aspekt bestätigt: 92 Prozent der Investoren gaben an, sie würden wieder in Tschechien investieren. Richtig ist: Wir haben im April bereits in einem Aspekt etwas über den nationalen Tellerrand hinausgeschaut, und zwar in die Slowakei. Denn auch da gaben die ausländischen Investoren an, dass Tschechien für sie noch etwas attraktiver ist als die Slowakei. Das heißt, im April gab es die Auswertung auf nationaler Ebene, und jetzt konnten wir den großen MOE-Vergleich präsentieren.“
In welchen Bereichen kann Tschechien laut den befragten Investoren im MOE-Vergleich am meisten punkten?
„Tschechien kann mittlerweile auch bei der Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik punkten.“
„In der Umfrage werden vier große Themenbereiche bewertet: Einmal die Attraktivität, darüber haben wir schon gesprochen. Weiter geht es um den Arbeitsmarkt, die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen im Land und ebenso um das operative Umfeld, also Kunden, die Verfügbarkeit lokaler Zulieferer, Infrastruktur, Zahlungsmoral und so weiter. Punkten kann Tschechien vor allem bei der Qualität und Verfügbarkeit von lokalen Zulieferern. Das ist natürlich ein wichtiges Moment für große Player, die ins Land kommen. Ob in der Automobilindustrie oder in der Elektroindustrie – man ist darauf angewiesen, dass man verlässliche Partner hat. Dann kann Tschechien eigentlich mittlerweile auch punkten bei der Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik. Das hängt auch mit einer gewissen politischen Stabilität zusammen, die es vor anderthalb Jahren noch nicht gab – und auch nicht in den Jahren davor, als es hier permanente Regierungswechsel gab. Das ist jetzt, da wir seit anderthalb Jahren ein und dieselbe Regierung haben, auch ein positives Signal für Investoren. Die Arbeitskosten sind erstaunlicher Weise auch recht positiv bewertet worden, das war in den letzten Jahren schlechter. Denn obwohl die Löhne permanent gestiegen sind, ist die Reallohnsteigerung nur gering gewesen. Infrastruktur ist ebenfalls ein guter Bereich sowie die Zahlungsmoral, sie war so das Flaggschiff in dieser Umfrage. Da kam Tschechien doch recht gut weg, ebenso bei den Bedingungen für Forschung und Entwicklung. Und die Steuerbelastung wird als relativ mäßig, also recht gut bewertet.“
Welches sind laut den Investoren die größten Schwachstellen in Tschechien?
„Insgesamt ist die Verfügbarkeit von Fachkräften in Mittel- und Osteuropa problematisch.“
„Das sind eigentlich alles Dauerbrenner der letzten Jahre, auf die wir als Deutsch-Tschechische Industrie- und Handelskammer auch immer wieder intensiv aufmerksam machen. Es ist die Verfügbarkeit von Fachkräften, sie bedeutet das große Problem. Dieses Jahr ist Tschechien im MOE-Vergleich, den man mit etwas Vorsicht genießen muss, auf dem letzten Platz gelandet. Hier ist die Tendenz wichtig, und die ist schlecht. Die Qualität des Berufsbildungssystems bedeutet eine weitere Baustelle, was sich mit Platz 15 unter 16 Ländern auch im Ergebnis der Umfrage zeigt. Ein anderer wichtiger Punkt, der sehr schlecht wegkam, ist die Qualifikation der hiesigen Arbeitnehmer. Es mag ein bisschen erstaunen, aber seit 2013 stellen wir fest, dass wir immer schlechtere Zahlen haben, jetzt Platz 15. Um nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen, müssen wir aber darauf aufmerksam machen: Ein Investor, der in Tschechien in den High-Tech-Bereich oder in den Maschinenbau investieren will, braucht wesentlich höher qualifizierte Mitarbeiter, als zum Beispiel ein Spediteur, der nach Bulgarien geht und dort seinen Geschäftsbereich ausweiten will. Das heißt, die Erwartungen an Tschechien sind weitaus höher. Und hohe Erwartungen werden dann vielleicht leichter enttäuscht. Wir müssen also die Rangfolge, die in der Umfrage erstellt wird, tatsächlich etwas relativieren und die Kirche im Dorf lassen. Aber nichtsdestotrotz zum Vergleich: Polen ist, was die Verfügbarkeit von Fachkräfte betrifft und auch die Qualifikation der Arbeitnehmer, jeweils auf Platz eins gelandet. Hier ist die Wahrnehmung der Investoren entscheidend. Und die ausländischen Investoren sehen da Polen vorne und in Tschechien großen Nachholbedarf. Allerdings muss man sagen, dass insgesamt die Verfügbarkeit von Fachkräften in ganz Mittel- und Osteuropa etwas problematisch ist. Nur jedes vierte Unternehmen ist zufrieden, 36 Prozent sind eher unzufrieden. Das ist etwas, wo sich die gesamte Region etwas auf die Hinterbeine stellen muss.“
Was nimmt die DTIHK als Verbesserung in Tschechien wahr, wo würde sie sich mehr Initiative der tschechischen Regierung wünschen?
„Wir erwarten konkrete Schritte, sonst vergeht zu viel Zeit.“
„Wie schon gesagt, für uns ist eine gewisse politische Stabilität ein wichtiges Element. Diese geht natürlich auch einher mit einer Kontinuität in der Wirtschaftspolitik. Dadurch erhöht sich die Berechenbarkeit und das macht das Land tatsächlich auch attraktiver. Im Bereich Forschung und Entwicklung weiß man hierzulande, dass man etwas tun musste, um Wirtschaft und Wissenschaft etwas mehr miteinander zu vernetzen, um den Technologietransfer zu fördern und Synergien zu schaffen. Forschung und Entwicklung war unser Jahresthema 2014. Vielleicht haben auch wir ein bisschen dazu beigetragen, dass daran in der Regierung gearbeitet wird. Es steht auf der Agenda, und das ist ein gutes Signal. Mehr Initiative wünschen wir uns definitiv, und das ist wirklich eines unserer Hauptanliegen, bei der Reform des Ausbildungssystems. Dort besteht seit Jahren ein riesiges Problem, auf das wir auch aufmerksam machen. Ganz klar muss der Praxisanteil in der Ausbildung wesentlich erhöht werden, und er muss sich vor allem am Bedarf der Unternehmen orientieren. Wir haben vor wenigen Wochen in dieser Sache einen Brief an Premier Sobotka geschrieben. Die Ergebnisse des Projekts ‚Pospolu‘, das sich zur Aufgabe gestellt hat auszuarbeiten, wie das System reformiert werden könnte, liegen jetzt vor. Es sind sehr konkrete Maßnahmen vorgeschlagen worden, die die Regierung auch im legislativen Bereich einleiten muss. Man kann über einzelne Maßnahmen streiten: Wenn aber zum Beispiel nur mindestens drei Monate als Praxisanteil innerhalb ein drei- oder vierjährigen Ausbildung gefordert werden, dann ist das immer noch deutlich zu wenig. Im dualen Ausbildungssystem gehen die Azubis zum Vergleich ein bis zwei Tage in der Woche in die Schule und verbringen den Rest der Zeit im Unternehmen. Über Details kann man also streiten, wir haben aber in dem Brief an die Regierung formuliert, dass diese Maßnahmen aus dem Projekt ‚Pospolu‘ umgesetzt werden sollten. Und zwar betrifft das verschiedene Ressorts – vom Bildungsministerium, über das Wirtschafts-, Justiz- und Finanzministerium bis hin zum Regierungsamt. Da erwarten wir jetzt ganz konkrete Schritte, sonst vergeht zu viel Zeit. Wenn Veränderungen eingeleitet werden, dann dauert es ja immerhin drei bis vier Jahre, bis sie auf dem Arbeitsmarkt durchschlagen. Es ist also allerhöchste Zeit.“