Da hingehen, wo es wehtut: Havels Deutschlandreise vor 25 Jahren
Es ist über 25 Jahre her, dass Václav Havel nach der politischen Wende zum ersten nicht-kommunistischen Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt wurde. Als Auftakt seiner Amtszeit reiste er im Januar 1990 nach Ostberlin und München. Eine Diskussionsreihe in der Václav-Havel-Bibliothek in Prag hat vergangene Woche diese bedeutungsvolle Auslandsreise reflektiert.
Den Politikern in Deutschland weit voraus
Antje Vollmer traf den tschechoslowakischen Staatspräsidenten in ihrer Funktion als Fraktionsvorsitzende der Grünen in Deutschland. Sie ist sich sicher, dass Václav Havel womöglich von allen Tschechen am besten auf eine tschechisch-deutsche Annäherung vorbereitet war:„Schon in der Charta 77 hatte es Diskussionen um die Frage der europäischen Perspektive gegeben. Er vertrat bereits früh die These, dass eine Einigung Europas erst vorangebracht werden kann, wenn die Teilung Deutschlands überwunden wird. Damit war er vielen Politikern und Visionären in Deutschland weit voraus.“
Antje Vollmer sagt, dass Havel ein Politiker war, der die Konflikte an der Wurzel anpackte, um etwas zu bewegen.„Ich glaube, Václav Havel hatte immer das Gefühl, dass man da hingehen muss, wo es am meisten wehtut, denn dort kann man am ehesten die verhärtete Situation auflösen oder das Eis zum Schmelzen bringen. In aktuellen Entscheidungen etwas zu tun, worüber man hinterher sehr lange nachdenken kann, das macht große Politiker aus“, so Vollmer.
František Černý war bis 2001 Botschafter in Berlin. Er arbeitete politisch mit Václav Havel zusammen. Bis die Wahl auf Deutschland fiel, wurden viele Überlegungen angestellt. Der Diplomat erinnert sich:
„Alle stellten sich die Frage, wo seine erste Reise hingehen würde. Früher war immer eine Reise nach Moskau protokollarisch obligatorisch, aber das ging damals natürlich nicht mehr. Viele meinten, er solle nach Amerika fliegen. Havel selbst war dagegen und meinte‚ das wäre dann so, als würden wir von der einen Seite zur anderen wechseln. Außerdem wäre eine so kurzfristige Reise nach Amerika schlichtweg nicht möglich gewesen. Ebenso zur Debatte stand Warschau, denn das Verhältnis zu Polen war auch eines von Havels Herzensangelegenheiten, aber da war immer noch Wojciech Jaruzelski. Österreich kam auch nicht in Frage, denn dort war Waldheim Präsident. Und so kam eins zum anderen. Auf der einen Seite war Deutschland sowieso schon immer ein Thema, das Havel sehr bewegte, und zweitens bot sich das an, da es eben auch zeitlich machbar war.“
Warum ausgerechnet München?
Somit sollte eine Stadt in der damaligen DDR und eine Stadt in der Bundesrepublik besucht werden. Letztlich fiel die Wahl auf Berlin und München. Antje Vollmer ist heute freie Autorin und Publizistin. Zur Zeit des kommunistischen Regimes galten die Grünen, wie Havel, als Bürgerrechtler. Aus diesem Grund wurden ihnen Besuche in der Tschechoslowakei verwehrt. Als Havel schließlich nach München kam, entstand zum ersten Mal der Kontakt zwischen ihm und der damaligen deutschen Opposition.
František Černý weiß, weshalb Havel bei der Wahl Münchens so frei und furchtlos war. Der kürzlich verstorbene Politiker Richard von Weizsäcker spielte dabei eine elementare Rolle. Černý:
„München war tatsächlich eine Art Zufall. Havel und Weizsäcker hatten ein sehr gutes Verhältnis zueinander. Sie haben sich wirklich sehr gemocht. Ich glaube, Weizsäcker hatte nie zuvor jemanden so gern gehabt wie Havel. Und auch Havel war von diesem Mann sehr angetan. Weizsäcker war an diesem Tag in Bayern, und die Reise zu zwei Städten musste an einem Tag machbar sein. Es wäre also zu weit gewesen, nach Köln oder nach Bonn zu fahren.“
„Václav Havel war einfach ein Sponti“
Inhalt der Deutschlandreise war unter anderem das Verhältnis zwischen den Sudetendeutschen, den Tschechen und den Slowaken. Die Vertreibung der Deutschen in den Jahren 1945 und 1946 beschäftigte Havel.„In den Augen von Václav Havel hätte das nicht passieren dürfen. Viele sagen das heute noch. Er war einer der ersten, der das so gesagt hat. Mit dieser Art von Lösung der sogenannten Frage unserer Deutschen, der Sudetendeutschen, haben wir nicht nur unseren ehemaligen Mitbürgern Leid, sondern auch uns selbst großen Schaden zugefügt. Dieser Schaden ist heute noch gegenwärtig. Václav Havel war jemand, der sich mit der Frage der tschechoslowakischen Deutschen, die viele Jahrzehnte neben uns und manchmal auch gegen uns hier verbracht haben, viel beschäftigt.“
Bis heute besteht gerade auch in Deutschland das Bild eines besonders menschlichen Staatspräsidenten Václav Havel, der anders war, als seine Vorgänger. Antje Vollmer erinnert sich an die erste Begegnung mit ihm im Jahr 1990:„Václav Havel war einfach ein Freak, ein Sponti. Er hat unglaublich lebhaft diskutiert und verhielt sich wie in einem Dissidenten-Club. Ehrlich gesagt war er beim ersten Treffen mit den Grünen auch ganz froh, kurz dem strengen Protokoll und dem Diktat des Minutenablaufs entronnen zu sein.“
Nach dem ersten Treffen blieben Vollmer und Havel weiterhin im engen Kontakt.
„Wir haben uns sehr oft getroffen. Ich persönlich habe versucht, seinen Impuls aufzunehmen, die Verständigung mit den Deutschen zu suchen. Er hatte damals ja auch eine große Rede zu diesem Thema gehalten. Ich merkte, dass die anderen deutschen Politiker diesbezüglich etwas bedächtig waren und sich sehr viel Zeit ließen. Ich wusste, dass man das direkt anpacken muss, damit auch die europäische Perspektive für die Tschechen wirklich offen ist und nicht von Fragen aus der Vergangenheit belastet wird.“Gerade Antje Vollmer wurde auf deutscher Seite neben Havel zur treibenden Kraft für die sogenannte Deutsch-Tschechische Erklärung. Dieser Meilenstein der Aussöhnung wurde 1997 gelegt. Seitdem hat sich das Verhältnis beider Länder zueinander kontinuierlich verbessert. Heute heißt es beiderseits der Grenze, dass die gemeinsamen Beziehungen von Tschechen und Deutschen nie so gut gewesen seien.