Tschechisches Sandmännchen Večerníček wird 50
Was in Deutschland das Sandmännchen, ist in Tschechien der sogenannte Večerníček. Er ist kein Kobold mit weißem Bart, sondern ein kleiner Junge mit Sternenaugen und einer Papiermütze. Doch seine Aufgabe ist dieselbe: Seit genau 50 Jahren schickt er jeden Abend mit einem Märchen die Kinder ins Bett. Als večerníček, geschrieben mit einem kleinen „v“, bezeichnet man im Tschechischen das Märchen oder die Sendung selbst, die das älteste immer noch existierende TV-Format hierzulande ist.
Mit diesen Worten charakterisiert der Dramaturg der Kindersendungen des Tschechischen Fernsehens, Miloš Zvěřina, den Večerníček. Als Geburtsstunde der Sendereihe gilt der 2. Januar 1965. Damit knüpfte man an die Gute-Nacht-Märchen an, die unter dem Namen „Silbernes Spiegelchen“ seit 1963 im Fernsehen unregelmäßig ausgestrahlt wurden. Der Gründungsvater und erste Dramaturg war Milan Nápravník, ein bekannter surrealistischer Künstler und Dichter, der heute in Köln lebt.
Der heutige Dramaturg Miloš Zvěřina erklärt den Erfolg von Večerníček, der seit 50 Jahren unvermindert bleibt:„Der Večerníček hat die Kinderherzen angesprochen. Er trat in die Familien und wurde dort zu einem harmonisierenden Faktor. Meiner Meinung nach ist er das beste Verbindungsglied zwischen den Generationen.“
Das erste Večerníček-Märchen hieß „Der Junge und sein Komet“. Im Sommer 1965 entstand die graphische Gestaltung und Erkennungsmelodie der Sendung, die seitdem unverändert geblieben sind. Die Titelmusik wurde von Ladislav Simon komponiert. Man hört darin Querflöte, Vibraphon und elektrische Orgel. Der Sohn des Komponisten, Jan Simon, selbst Pianist und Direktor des Prager Rundfunksymphonieorchesters, erklärt, warum die Musik auch heute noch funktioniert:
„Die musikalische Idee ist sehr kennzeichnend. Dabei hat sie etwas Einzigartiges an sich: Wenn man einen beliebigen Menschen bittet, sie zu singen oder auf einem Instrument nachzuspielen, wird man feststellen, dass dies sehr schwer ist. Die Melodie lässt sich kaum einprägen. Vielleicht ist sie durch ihre Komplexität so symptomatisch und außergewöhnlich, dass sie jedes Kind, auch wenn es sie in einem anderen Zimmer hört, unweigerlich an den Bildschirm zieht.“Die Musik wird begleitet von einer kurzen Zeichentrickszene. Der kleine Junge mit Augen aus Sternen und einer Mütze aus Zeitungspapier reitet ein Schaukelpferd, fährt ein Auto und ein Einrad und verstreut Blätter mit Märchen. Am Anfang begrüßt er die Kinder, am Ende verabschiedet er sich von ihnen. Er tut das jeden Abend seit fünfzig Jahren und rahmt eine etwa zehnminütige Sendung für kleine Zuschauer ein. Gesprochen wurde die Figur vom damals fünfjährigen Michal Citavý:
„Ich wurde ins Studio geführt. Dort habe ich lange und immer wieder ‚Guten Abend‘ und ‚Gute Nacht‘gesagt.“Die Kultfigur wurde von Radek Pilař gezeichnet. Er war schon in jener Zeit als Autor des braven Räubers Fürchtenix (im Tschechischen Rumcajs) bekannt.
Zora Jandová arbeitet heute als Chefredakteurin von Radio Junior im Tschechischen Rundfunk. Sie erinnert sich, wie abenteuerlich damals das Fernsehen gewesen sei:
„Ich habe zuerst unsere Nachbarn besucht, um die ersten Večerníček-Märchen zu sehen. Wir hatten selbst keinen Fernseher zu Hause. Später hatten wir dann auch einen TV-Apparat, die Kiste war viel größer als der Bildschirm. Er sah sehr altmodisch aus.“Das Märchen lief zunächst einmal in der Woche. Später kamen weitere Tage hinzu, und seit 1973 kommt der Večerníček jeden Abend.
Der Večerníček selbst tritt in keiner der Geschichten und Märchen auf. Er sorgt nur für die Umrahmung. In der eigentlichen Sendung werden nicht einzelne Märchen erzählt, sondern überwiegend Serien. Sie wurden von Anfang an speziell für die Večerníček-Sendereihe geschaffen.
Nicht nur manche Figuren, sondern auch einige Stimmen sind mit den Večerníček-Märchen untrennbar verbunden. So zum Beispiel die der Schauspielerin Jiřina Bohdalová, die gleich mehrere Figuren in mehreren Serien reden ließ. Die berühmtesten davon sind die kleinen Kobolde Křemílek und Vochomůrka, auf Deutsch bekannt als Kasimir und Fliegenpilz aus den „Geschichten zwischen Moos und Farn“.„Fliegenpilz war einfältiger und stärker und Kasimir eher belehrend. Ich habe mir für sie die Stimmen ausgedacht, Regisseur Smetana erklärte mir die Charakteristiken weiterer Figuren. Zunächst wurden die Dialoge aufgenommen, erst dann wurden die Bilder gezeichnet. Ich war genauso gespannt wie die Zuschauer, als die Geschichten dann im Fernsehen gesendet wurden. Denn ich habe sie eigentlich gar nicht gekannt.“
Bis heute wurden mehrere hundert Večerníček-Märchenserien produziert. Sie sind auch ein wichtiger Exportartikel des Tschechischen Fernsehens. Manche davon waren nicht nur in vielen Ländern Europas, sondern auch etwa in Australien und China zu sehen. Und wie entsteht eine gute Serie? Der Dramaturg Miloš Zvěřina.
„Die Kriterien sind seit fünfzig Jahren gleichgeblieben. Es ist eine literarische Vorlage hoher Qualität, eine originelle Handschrift des bildenden Künstlers und ein interessantes Herangehen des Regisseurs.“
Zu den beliebtesten Serien hierzulande zählen jene über den sprechenden Riesenhund Maxipes Fík sowie die Geschichten des kleinen Maulwurfs. Die allerbeliebteste Märchen-Reihe ist allerdings auch die einzige, die kein Zeichen- oder Puppentrickfilm ist – und zwar die „Märchen aus dem Riesengebirge“. Sie wurde 1974 zum ersten Mal gesendet, und dabei treten auch Schauspieler auf. Was populär ist, hängt aber auch vom Alter der Zuschauer ab.
„Die Sendung ist vorrangig für Kinder im Vorschulalter bestimmt. Einige Serien waren aber auch für ältere Kinder interessant, wie etwa Krysáci – Die Rattenjungen. Dies bestätigt, was ich gesagt habe, dass ein schöner literarischer Stoff und eine originelle Aufarbeitung wichtig sind.“
Das Tschechische Fernsehen feiert den 50. Geburtstag des Večerníček in diesem Jahr mit vielen Sondersendungen. Im Januar werden die ältesten Märchenreihen gezeigt:„Alle meine Kollegen und ich hoffen und glauben, dass die Kollektion dieser zumeist schwarz-weißen Märchen die Kinder ansprechen wird. Sie erwecken einerseits nostalgische Erinnerungen bei Eltern und Großeltern, können dank ihrer Qualität aber sicher auch die kleinen Zuschauer überzeugen. Unter den Serien sind wirkliche Leckerbissen, die seit Jahrzehnten nicht gesendet werden konnten.“
Der Večerníček ist aber kein historisches Phänomen. Auch nach 50 Jahren ist er noch lebendig. Nicht nur, dass viele Menschen die Sendung sehen, sondern es gibt auch genügend Künstler, die sie gestalten. Miloš Zvěřina:
„Meiner Meinung nach haben die Večerníček-Autoren heute gute Nachfolger. An der Produktion beteiligt sich eine ganze Reihe Künstler der mittleren und jungen Generation. Der Večerníček ist weiterhin ein Magnet nicht nur für Kinder und ihre Eltern, sondern auch für Künstler.“