Gedenken an Theresienstadt 1943-44: Verdis Requiem im Prager Veitsdom
Verdis „Messa da Requiem“ ist nicht nur ein Meisterwerk der Klassik. Im Ghetto Theresienstadt wurde das Stück im Zweiten Weltkrieg auch zu einem Akt des Trotzes gegen die Nazis. Mithilfe des Requiems schmetterten die Häftlinge im Chor den SS-Leuten entgegen, was sie sonst nicht sagen durften. Der Dirigent Rafael Schächter hatte es einstudieren lassen - unter unvorstellbaren Umständen. In Prag wurde nun das Stück aufgeführt, unter der Leitung des US-Amerikaners Murry Sidlin. Die Veranstaltung mit den Prager Symphonieorchester und seinem Chor sowie dem Kühn-Chor im Veitsdom war eine Multimediashow. Denn es wurden dabei Ausschnitte aus einem Film mit Holocaust-Überlebenden über Verdis Stück gezeigt.
„Für uns war das eine Stärkung, muss ich sagen. Denn so haben wir gesehen, dass auch anderes existierte, als das, was wir als Häftlinge in dem Moment durchleiden mussten. Es hat uns mental sehr geholfen.“
Marta Kottová gehörte zu jenen, die auf der Bühne standen - ein junges Mädchen unter den über 100 Chormitgliedern, dirigiert von Rafael Schächter.„Es lässt sich kaum beschreiben, was Rafael Schächter damals für uns alle bedeutet hat. Er hat bei uns im Mädchentrakt das Stück einstudiert. Dort im Keller stand ein knarrendes Klavier, auf dem er uns begleitet hat - auch bei anderen Stücken wie der Verkauften Braut. Da vergaß man, wo man war. Das war so wunderbar, dass man sich anderswo glaubte als in Theresienstadt.“
Zwischen 1943 und 1944 wurde das Requiem insgesamt 16 Mal in Theresienstadt aufgeführt. Es galt als Höhepunkt des kulturellen Lebens im Ghetto, dabei stand nur das klapprige Klavier zur Verfügung, aber kein Orchester. Dreimal musste Rafael Schächter zudem neue Leute für den Chor suchen, weil die Sänger nach Auschwitz abtransportiert wurden. Eine der letzten Aufführungen fand im Juni 1944 statt - vor einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes und mit der SS im Publikum. Am Ende des Stückes heißt es: „Errette mich, Herr vom ewigen Tode ... wenn du erscheinen wirst, die Menschen durch Feuer zu richten.“ Dass der Chor damit den Nazis ihr Ende ankündigte, dürfte diesen kaum bewusst gewesen sein. Wenn heutzutage das Requiem aufgeführt wird, dann klingt diese Geschichte des Stückes mit. Der Dirigent Murry Sidlin ließ das Werk mehrfach in Gedenken an den Holocaust einstudieren. Aufgeführt hat er es in den USA, aber auch im heutigen Terezín, dem damaligen Theresienstadt. Er bezeichnet das Stück als „Defiant Requiem“, als Requiem des Trotzes. Warum nun das Konzert im Prager Veitsdom? Louisa Hollman ist Geschäftsführerin von Murrys Stiftung „Defiant Requiem Foundation“:„Es gibt einen besonderen Grund, warum wir gerade hierherkommen wollten. Bei allen Proben und Aufführungen in Theresienstadt sagte Schächter seinem Chor, dies sei nur eine Probe für eine Aufführung in Freiheit in Prag. Aber sie ist nie mehr zustandegekommen, der Dirigent und alle Chormitglieder wurden nach Auschwitz deportiert. Heute Abend glauben wir das Versprechen Schächters einzulösen, das er vor 70 Jahren seinem Chor gegeben hat.“