Von fliegenden Chronisten und Klappernüssen: Bauernhof Dlaskův statek
Das Böhmische Paradies (Český ráj) ist als das älteste Naturschutzgebiet Tschechiens bekannt geworden. In dieser Region sind aber auch mehrere Beispiele historischer Volksarchitektur erhalten geblieben. Eine Vorstellung davon, wie man in dieser Region vor ein paar Jahrhunderten gelebt hat, können sich die Besucher des Bauernhofs machen, der nach den ursprünglichen Besitzern Dlask benannt wurde.
„Der Bauerhof wurde hier 1716 erbaut. Ursprünglich standen die Häuser aber nicht hier, sondern unten auf einer Wiese am Ufer der Iser. Dort führte ein alter Handelsweg nach Sachsen und in die Lausitz. Der Bauer war als Frondiener verpflichtet, an diesem Ort eine Schenke für die Fuhrmänner zu betreiben. Der Bauernhof befand sich aber im Hochwassergebiet der Iser, und war vor allem im Frühling durch Überschwemmungen gefährdet. Der damalige Besitzer bat die Obrigkeit um die Aufhebung der Pflicht, eine Schenke zu betreiben. Die Obrigkeit kam ihm entgegen. Und so hatte die Familie, der das Gut gehörte, die Häuser abgerissen, und sie teilweise aus dem alten Material wieder aufgebaut, an dem heutigen Ort, weit vom Fluss entfernt.“
Aus dem alten Holz wurden vor allem die Balkenmauer und die Wirtschaftsgebäude errichtet. Das Wohnhaus wurde völlig neu gebaut. Ein mehrstöckiges Wohnhaus konnte sich damals nur ein Müller oder ein wohlhabender Bauer leisten. Das bekannteste Mitglied der Bauernfamilie Dlask war Josef Dlask, ein gebildeter Chronist, wie Eliška Vélová weiß:„Er lebte in den Jahren 1782 bis 1853. Seit seinem 18. Lebensjahr schrieb er an seinen Memoiren. Dank ihm wissen wir viel über dieses Gut: welche Reparaturen er hier durchführte, wie die Ernte war, wie das Wetter war, was sich hier in der Umgebung ereignete und vieles mehr. Dlasks Chronik wird im Museum in Turnov aufbewahrt. Bereits zweimal erschienen seine Memoiren auch als Buch.“
Josef Dlask hat Eliška Vélová zufolge nicht nur seine eigenen Erlebnisse geschildert, sondern auch darüber geschrieben, was er von anderen gehört hatte. So beschrieb er auch den Umzug des Bauernhofs von der Iser an den jetzigen Standort.
„Der Bauernhof wurde danach noch zweimal gründlich umgebaut: 1794 und 1841. Während des ersten Umbaus war Josef Dlask zwölf Jahre alt. Den Bau begann sein Vater. Dlask schrieb in seinen Erinnerungen, dass damals die Bauernstube aus Holz und Ställe aus Stein errichtet wurden. Josef soll dabei so geschuftet haben, dass es nicht ohne Folgen blieb: Er ist davon überzeugt gewesen, dass er wegen dieser schweren Arbeit nicht mehr gewachsen sei. Denn Dlask war klein und untersetzt. Das bedauerte er wohl sehr. Denn sonst war er sehr begabt und wurde von seiner Umgebung geachtet. Er war eine Zeit lang Schultheiß und auch mit Graf Des Fours eng befreundet, der im nah gelegenen Schloss Hrubý Rohozec lebte.“An die Freundschaft erinnerte sich Josef Dlask in seinen Memoiren. Es war üblich, dass Graf Franz Anton Des Fours mit seiner Frau die Familie Dlask während der Kirmeszeit besuchte. Der Graf hatte sich ans Klavier gesetzt und zuerst sein Lieblingslied aus der Kirche gespielt. Danach tanzte der Schultheiß mit der Frau des Grafen. Die Gesellschaft unterhielt sich und erst am Abend kehrte das adelige Paar mit der Kutsche nach Hrubý Rohozec zurück. Eliška Vélová erinnert sich an noch eine Geschichte aus Dlasks Chronik:
„Einmal wetteiferte Dlask mit Des Fours auf der zugefrorenen Iser, wessen Pferde schneller sind. Sie fuhren ein Wettrennen mit Pferdeschlitten zur Ostermesse. Dlask gewann und war sehr stolz darauf, dass seine Pferde gesiegt hatten. Der Graf musste die Wette bezahlen. Es sei unmöglich gegen ein Bauernpferd zu gewinnen, schrieb Dlask.“Josef Dlask war nach Worten von Eliška Vélová auch technisch begabt. Er interessierte sich für sämtliche Neuerungen. Doch eines seiner Experimente endete erfolglos. Dlask wollte versuchen, zu fliegen. Zu diesem Zweck bastelte er aus Vogelfedern und Riemen eine Art Flügel für sich. Er testete seine Erfindung, als er einmal alleine war. Die Landung auf dem Hof war hart, aber es passierte ihm fast nichts. Die Geschichte jedoch notierte einer von Dlasks Enkelsöhnen erst viel später. Diesen Nachkommen von Josef Dlask ging es nicht mehr so gut. Sie verschuldeten sich und der Bauernhof wurde 30 Jahre nach Josef Dlasks Tod versteigert. In den 1950er Jahren beschlagnahmten dann die Kommunisten das Bauerngut. In den 1960er Jahren wurde das inzwischen verkommene Areal an das Museum in Turnov übertragen.
Zu Saisonbeginn wurde auf Dlasks Bauernhof vorige Woche eine neue Dauerausstellung eröffnet. Benannt ist sie nach einem tschechischen Hochzeitslied: „Už mou milou do kostela vedou“ - zu Deutsch in etwa „Meine Liebe wird in die Kirche geführt“. Die Ausstellung beschreibt Bräuche und Zeremonien, die mit einer Hochzeit im 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts auf dem Dorf verbunden waren. Meistens geht es um Bräuche, die kaum mehr bekannt sind. In der Bauernstube, die einst als der wichtigste Wohnraum diente, sitzen die Hochzeitsgäste gerade beim Festessen. Unter den Figuren in Volkstrachten sind das Hochzeitspaar und der Brautvater zu erkennen. Eliška Vélová zufolge wurden Hochzeiten damals sehr groß gefeiert.„An der Hochzeit nahmen sämtliche Verwandte teil. Es kamen aber auch Freunde aus dem Dorf und aus der ganzen Umgebung. Sie haben alle zur Hochzeit beigetragen. Dieses Geschenk nannte man ´přidánek´, meistens haben die Hochzeitsgäste der Familie Mehl, Eier oder Butter mitgebracht. Beim Hochzeitsfest saßen in der Bauernstube meistens nur die wichtigsten Gäste, denn der Raum war nicht so groß. Es war üblich, dass Kinder und Jugendliche draußen oder in der Scheune saßen. In der Mitte des Tisches sieht man einen hohen mehrstöckigen Hochzeitskuchen. Einen hat in der Regel die Mutter, und einen anderen die Taufpatin der Braut gebacken. Der Kuchen war aus Hefeteig und wurde reichlich verziert, mit Trockenobst oder Lebkuchen. Einer der Kuchen wurde während des Hochzeitsfestes an die Gäste verteilt, den anderen nahm die Braut in ihr neues Haus mit und schenkte ihn gemeinsam mit einem Tuch der Schwiegermutter.“
Wie die Vorbereitungen der Braut auf ihren Umzug in das Haus des Mannes ausgesehen haben, wird in einer Nachbarstube gezeigt: Zwei Frauenfiguren halten Bettzeug in der Hand.„Außer Federn hat man ein kleines Stück hartes Brot und einige Münzen ins Bettzeug gestopft. Diese sollten die Eheleute vor Armut und Hunger schützen. Ein paar Klappernusssamen wurden für ein Mittel gegen böse Zauber gehalten. Und schließlich wurden oft auch zwei Taubenfedern reingepackt, die angeblich Eintracht und Liebe garantierten.“
Am Vorabend der Hochzeit halfen einige Mädchen der Braut, Blumen zu binden. Die Braut servierte den Helferinnen dafür ein spezielles Gericht aus Erbsen mit Honig. Die beiden Stuben sind mit historischen Möbeln eingerichtet, die aus den Sammlungen des Museums in Turnov stammen. Von den Originalmöbeln von Dlasks Bauerngut ist nur ein massiver Tisch in der großen Bauernstube erhalten. Die Holztreppen führen hinauf in den Raum, wo der Chronist Josef Dlask die letzten Jahre seines Lebens verbrachte. Früher stand dort sogar ein Kachelofen, der aber nicht erhalten blieb. Heutzutage sitzt in Dlasks Zimmer eine Brautfigur:
„Früher haben die Hochzeiten bei wohlhabenden Bauern eine Woche oder länger gedauert. Hier wird der Brauch eine Haube aufzusetzen vorgeführt – also das so genannte ´začepení´. Diese Zeremonie spielte sich bei längeren Hochzeiten meistens am dritten Tag ab. Manchmal fand sie erst am Abend nach der Hochzeit statt. Die Braut bekam in der Regel von ihrer Taufpatin eine Haube. Die Brautjungfern setzten der Braut anstelle des Blumenkranzes diese Haube auf. Seitdem musste die verheiratete Frau eine Haube oder ein Kopftuch tragen. Beim Aufsetzen der Haube verabschiedete sich die Braut von der Freiheit. Dabei hat sie geweint, und die herumstehenden Brautjungfern hielten Gläser, in die sie die Tränen der Braut aufzufangen versuchten. Die Tränen vermischten sie danach mit einem Schnaps. Den mit Tränen gemixten Schnaps musste der Bräutigam trinken. Man glaubte, dass er dann seine Frau nicht schlagen wird.“
Dlasks Bauernhof ist von März bis Oktober und im Dezember täglich von 9 bis 16, im Sommer bis 17 Uhr geöffnet. Im Januar öffnet der Hof nur am Wochenende.
Foto: Autorin