Mit dem Fahrrad in die Arbeit? In Prag lebensgefährlich!
In der vergangenen Woche stand Prag wie viele andere europäische und tschechische Städte auch ganz im Zeichen der „Europäischen Woche der Mobilität“. Neben Präsentationen über den öffentlichen Nahverkehr stand einmal mehr der Radverkehr ganz im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Radfahren gilt in Prag und in Tschechien zwar als äußerst beliebte Freizeitbeschäftigung. Als Transportmittel von A nach B aber wird das Fahrrad kaum benutzt. Die Prager Stadtverwaltung hat zwar in jüngster Zeit viel Geld investiert, um das Radfahren attraktiver zu machen. Trotzdem sind Radfahrer im alltäglichen Stadtverkehr kaum zu sehen.
„Früher bin ich jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren. Aber das war nicht in Prag und es ist fast 15 Jahre her. Damals haben die Autofahrer noch mehr Rücksicht auf Radfahrer genommen.“
Und die bekannte Schauspielerin, Fernsehmoderatorin und überzeugte Radfahrerin Simona Babčáková klagt:„Mir machen die Autos wirklich Angst. Ich spüre täglich diese Aggressivität der Autofahrer. Natürlich sind nicht alle so, aber es genügen ein paar rücksichtlose Verkehrsteilnehmer und man fühlt sich unsicher. Und ich habe den Eindruck, die Leute werden immer aggressiver und nehmen immer weniger Rücksicht.“
Diese Einschätzung bestätigt auch die Europäische Verkehrsunfallstatistik. Mit 104 Verkehrstoten pro Million Einwohner starben im Jahr 2008 auf Tschechiens Straßen im Verhältnis zur Einwohnerzahl beinahe doppelt so viele Menschen wie in Deutschland.
Neben einzelnen Stadtbezirken bemüht sich auch die Prager Stadtverwaltung seit Kurzem verstärkt um die Förderung des Radverkehrs. Nach Straßensanierungen und bei Neubauvorhaben werden nun grundsätzlich Fahrradstreifen auf der Fahrbahn markiert. Allerdings verlaufen diese rot gekennzeichneten Fahrspuren nicht durchgehend und enden etwa vor großen Kreuzungen im Nichts. Für Michal Křivohlávek, den Vorsitzenden des Vereins für alternative Mobilität „Auto*Mat“, sind diese Maßnahmen nicht mehr als ein Alibiakt:
„In Prag gibt es leider kein Gesamtverkehrskonzept. Es wird nicht abgewogen zwischen dem Pkw-Verkehr, dem öffentlichen Verkehr und dem Radverkehr. Die Stadt Prag ist seit den 1990er-Jahren gegenüber den Interessen der Autofahrer immer mehr in die Defensive geraten. Die Politiker haben sich immer zuallererst darum gekümmert, die Bedingungen für die Autofahrer zu verbessern. Das Ergebnis nach 20 Jahren sehen wir auch hier, an dieser Straßenecke, wo wir gerade stehen. Jede noch so kleine Gasse ist heute ein gigantischer Parkplatz, die meisten Straßen sind laute Verkehrsachsen, wo man kaum noch zu Fuß gehen kann, geschweige denn mit dem Fahrrad fahren.“
Sicher bewegen kann man sich als Radfahrer im Prager Stadtzentrum nur in einigen Nebenstraßen und in den Fußgängerzonen in der Altstadt. Auch über die Einkaufsstraße Na příkopě / Am Graben und quer über den Staroměstské náměstí / Altstädter Ring kann man ganz legal mit dem Fahrrad fahren. Die Strecke ist sogar als Haupt-Fahrradroute beschildert. In den auch von Touristen stark frequentierten Gassen der Altstadt komme es aber oft zu Konflikten mit Fußgängern, gibt Fahrrad-Aktivist Křivohlávek zu bedenken:„Dass die Fußgängerzonen für Radfahrer geöffnet sind, ist nur das Ergebnis dessen, dass man in den anderen Straßen nicht sicher mit dem Rad fahren kann. Die Stadtverwaltung ist feige: Sie nimmt lieber den Fußgängern den Komfort und lässt die Radfahrer in den Fußgängerzonen fahren, bevor sie den Autofahrern etwas wegnimmt und so den Radfahrern Platz gibt, das historische Zentrum zu umfahren.“
So bleibt vielen Prager Radfahrern für die Durchquerung der Innenstadt nur die U-Bahn. Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Städten ist die Fahrradbeförderung in der Prager Metro kostenlos. Spätabends, nachts und am Wochenende kann man auch auf einigen Straßenbahnlinien, die in die hügeligen Außenbezirke führen, sein Fahrrad gratis mitnehmen.
„Ja, der Prager Verkehrsbetrieb ist zurzeit wirklich sehr großzügig gegenüber Fahrgästen mit Fahrrädern. Das wissen wir auch sehr zu schätzen. Aber sobald mehr Menschen diesen Service in Anspruch nehmen, wird wohl auch der Verkehrsbetrieb über die Einführung einer Transportgebühr für Fahrräder nachdenken. Schließlich muss der Betrieb seine Kapazitäten sehr sorgfältig und sparsam planen“, sagt Michal Křivohlávek.Eine jener Städte, der es gelungen ist, binnen weniger Jahre das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel zu etablieren, ist Wien. Noch vor zehn, fünfzehn Jahren war die Situation ähnlich wie in Prag: Abseits des Donauradweges und der städtischen Naherholungsgebiete waren kaum Radfahrer zu sehen. Die wenigen, die sich dennoch ins Verkehrsgewühl stürzten, wurden als Verkehrshindernis beschimpft und als Selbstmörder verspottet. Wie hat es die Stadt Wien geschafft, das Blatt zugunsten der Radfahrer zu wenden?
„Durch eine aktive Politik, die den Fahrradverkehr unterstützt, durch den Bau von Radwegen, durch das Schaffen von verkehrsberuhigten Zonen, durch die Schaffung von Radrouten. Aber auch durch eine Unterstützung des Radverkehrs, die man auf den ersten Blick nicht sieht, nämlich zum Beispiel den Bau von Radständern. Die Stadt Wien hat im Vorjahr außerdem eine Schrottprämie für Fahrräder ausbezahlt, in diesem Jahr ist die Anschaffung von Elektrofahrrädern finanziell unterstützt worden,“ sagt Jan Krčmář von Verbindungsbüro der Stadt Wien in Prag.Zwar habe Wien mit einem Radverkehrsanteil von rund fünf Prozent gegenüber vielen deutschen, niederländischen und dänischen Städten noch einiges aufzuholen, die stetig steigenden Zahlen jener Menschen, die das Fahrrad als alltägliches Verkehrsmittel verwenden, stimmten aber optimistisch, so Krčmář. Im Jahr 2015 sollen acht Prozent aller Wege in Wien mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Von der Wiener Radverkehrsstrategie könne seine Stadt so einiges lernen, meint Michal Křivohlávek vom Prager Verein „Auto*Mat“:
„Wir wären froh, wenn die Politiker so kompetent wären, um in konkreten Zahlen zu sprechen und wenn sie ausrechnen könnten, was man erreichen kann. Leider kennt sich mit dem Fahrradverkehr keiner der Spitzenpolitiker so gut aus, dass er konkrete Zahlen nennen könnte. Ich selbst schätze aus meiner Erfahrung und den Vergleichszahlen aus dem Ausland, dass in Prag ein Radverkehrsanteil von fünf, acht, ja vielleicht sogar 15 Prozent durchaus realistisch ist. Ich weiß aber nicht, wann es so weit sein wird, vielleicht in 20 Jahren.“Bereits ein Bild vor Ort in der österreichischen Hauptstadt gemacht hat sich die stellvertretende Bezirksbürgermeisterin Eva Štampachová aus der Prager Südstadt:
„Gleich unsere erste Reise, um uns erfolgreiche Beispiele zur Förderung des Radverkehrs anzusehen, hat uns nach Wien geführt. Zunächst waren wir ein wenig neidisch, aber wir sind dann ganz begeistert zurück nach Prag gefahren. Wir wollen jetzt auch unbedingt das Wiener Leihrad-System nachmachen. Wir verhandeln intensiv mit der Stadtverwaltung und machen Druck. Denn so ein Verleihsystem macht nur in der ganzen Stadt Sinn, nicht nur in unserem Stadtbezirk. Wien ist für uns wirklich ein großes Vorbild. Ich hoffe, dass auch bei uns für Radfahrer bald so goldene Zeiten anbrechen. Ich kann es kaum erwarten.“ Ob der Wunsch der stellvertretenden Bezirksbürgermeisterin auch bald in Erfüllung geht, hängt vom Ergebnis der Kommunalwahlen ab. Die meisten Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters haben sich im Wahlkampf klar für die Förderung alternativer Mobilitätsformen ausgesprochen. Und einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Nachfolge von Pavel Bém an der Spitze der Hauptstadt Prag gilt sogar als besonders begeisterter Radfahrer. Die Entscheidung fällen am 15. und 16. Oktober die Pragerinnen und Prager.