Die Koalitionsgespräche, der EU-Gipfel und die Kirgistan-Krise

Karel Schwarzenberg (TOP 09), Petr Nečas (ODS) und Radek John (Partei der Öffentlichen Angelegenheiten). Foto: ČTK

Die Kommentatoren der tschechischen Zeitungen haben sich diese Woche vor allem auf die Koalitionsgespräche gestürzt und das, was sich als Regierungsprogramm bereits abzeichnet. Ansonsten war es hierzulande eher ruhig, deswegen haben wurden vermehr europäische und internationale Themen aufgegriffen.

Karel Schwarzenberg  (TOP 09),  Petr Nečas  (ODS) und Radek John  (Partei der Öffentlichen Angelegenheiten). Foto: ČTK
Moderator: Seit gut zwei Wochen verhandeln die drei liberalen und konservativen zukünftigen Koalitionspartner ODS, TOP 09 und Partei der Öffentlichen Angelegenheiten über ihr Regierungsprogramm. Einige Eckpunkte haben die Parteispitzen bereits festgelegt. Wie sehen denn bisher die Reaktionen in der tschechischen Presse dazu aus?

T. Janzer: Ein Regierungsprogramm steht ja bisher noch nicht, deswegen werden in der Presse immer nur einzelne Aspekte erörtert. Worauf sich die künftigen Koalitionäre indes schnell verständigt haben, ist die Notwendigkeit zu sparen. In der eher links orientierten „Právo“ schwant Kommentator Alexandr Mitrofanov eine Schocktherapie wie in den 90er Jahren, zu Zeiten des damaligen Premiers Václav Klaus. Im Unterschied zu damals könne die entstehende tschechische Regierung aber keine Aussichten auf bessere Zeiten bieten. Deswegen müsse sie positives Marketing in eigener Sache betreiben oder dem Volk ein paar Brocken hinwerfen, so Mitrofanov. Doch das werde äußerst schwer, glaubt der Autor und schreibt wörtlich:

Václav Klaus  (Foto: ČTK)
„Welche menschenfreundlichen Taten könnte die Regierung denn hervorzaubern, damit sie wenigstens teilweise das Bluten der radikalen Einschnitte stillen kann? Vielleicht hat sie ja noch etwas im Ärmel und überrascht uns damit. Bisher aber deutet nichts darauf hin. Den Herrschern von ODS, TOP 09 und von der Partei der Öffentlichen Angelegenheiten droht real, dass sie nach einiger Zeit von aufgebrachten Bürgern umringt sein werden. Und in der Hand werden sie dann nur noch die Peitsche umklammern, weil ihnen der Zucker ausgegangen ist, der ohnehin nicht zum Süßen gereicht hat.“

Moderator: Das sind düstere Aussichten, die da Mitrofanov in der Právo hat. Wie sehen das andere Kommentatoren?

Miroslav Kalousek,  Karel Schwarzenberg und Petr Gazdík  (alle TOP 09). Foto: ČTK
T. Janzer: Deutlich positiver fällt der Befund von Lenka Zlámalová in der Lidové noviny aus. Sie glaubt, dass nun ein regelrechter Wettkampf darum entbrenne, welcher der Koalitionspartner mehr seiner Spar-Ideen umsetzen könne. Zlámalová schreibt:

„Die nächsten Monate werden sich der neue Vorsitzende der ODS und der erste stellvertretende Vorsitzende von TOP 09 (Miroslav Kalousek, der als Finanzminister im Gespräch ist, Anm. d. Red.) darin überbieten, wer der wagemutigere und verantwortungsbewusstere Ökonom ist und deswegen auch der gefragtere konservative Politiker. In dieser Atmosphäre könnte es gelingen, eine ganze Reihe wichtiger Dinge durchzusetzen; denn keiner von beiden kann sich erlauben, seinen Anhängern die von der Öffentlichkeit geforderten Ergebnisse zu unterschlagen.“

Kristýna Kočí  (Partei der Öffentlichen Angelegenheiten),  David Vodrážka und Petr Nečas  (beide ODS). Foto: ČTK
Soweit Zlámalová in der Lidové noviny. Weniger euphorisch sieht das bisher Jiří Leschtina. In der Hospodářské noviny urteilt er:

„Die Verhandlungen über die neue Regierung haben bisher nur wenige durchschlagende Ergebnisse gebracht. Umso lauter verkünden die Macher der entstehenden Koalition jede Übereinkunft. Vít Bárta (von der Partei der Öffentlichen Angelegenheiten, Anm. der. Red.) hat jetzt siegessicher verkündet, dass man sich auf ein Verbot von themenfremden Zusätzen zu Gesetzen verständigt hat. Das ist eine gute Nachricht. Doch hätte man diese Zusätze gar nicht verbieten müssen. Es würde reichen, die Sitzungsordnung des Abgeordnetenhauses einzuhalten, die dies ohnehin nicht zulässt.“


Angela Merkel am EU-Gipfel  (Foto: ČTK)
Moderator: Bisher ging es um die Koalitionsverhandlungen und wir haben sehr unterschiedliche Meinungen gehört. Till, du hattest ja gesagt, dass sich die Zeitungskommentatoren ansonsten vor allem für außenpolitische Themen interessiert haben. Gehört da vielleicht auch der EU-Gipfel vom Donnerstag dazu?

T. Janzer: Volltreffer. Der scheidende tschechische Premier Jan Fischer hat in Brüssel gegen die so genannte Finanz-Transaktionssteuer Position bezogen. In Tschechien hat diese Abgabe im Übrigen einen etwas einfacheren Namen erhalten, nämlich Banken-Steuer. In der Hospodářské noviny schreibt Julie Hrstková Folgendes zu der Steuer und zum EU-Gipfel:

David Cameron und José Luis Rodriguez Zapatero am EU-Gipfel  (Foto: ČTK)
„Es ist im Großen und Ganzen logisch, dass jene Länder diese Steuer durchsetzen wollen, die Milliardensummen in verantwortungslose Kreditinstitute gepumpt haben. Doch die Steuer hat nur dann Sinn, wenn alle sie einführen. Das gilt auch für eine Regulierung der Finanzmärkte. Einigkeit gab es aber nur darin, dass auch noch beim nächsten G-20-Gipfel in Toronto über den Finanzsektor verhandelt wird. Der EU-Gipfel hat also mehr Fragen offen gelassen, als Antworten geliefert.“


Blutige Unruhen in Kirgistan  (Foto: ČTK)
Moderator: Soweit also der Kommentar aus der Hospodářské noviny zum EU-Gipfel. Was ist mit den weiteren Ereignissen, die die Welt in den letzten Tagen bewegt haben: die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko oder die Krise in Kirgistan?

T. Janzer: Auch das wurde kommentiert. Ich möchte gerne aus den Überlegungen des Asien-Kenners Ladislav Kryzánek zu Kirgistan zitieren.

Moderator: Nur noch vielleicht zur Orientierung: Im Süden des zentralasiatischen Staates Kirgistan sind vor einer Woche blutige Unruhen zwischen Kirgisen und Usbeken entbrannt. Das Zentrum der Unruhen liegt im Fergana-Tal, das einst Stalin zwischen drei Republiken aufgeteilt hat. Nach neuesten Schätzungen sollen über 2000 Menschen getötet worden sein, zudem wurden wohl rund 400.000 Menschen vertrieben.

Blutige Unruhen in Kirgistan  (Foto: ČTK)
T. Janzer: Es ist also eine große menschliche Tragödie. Ladislav Kryzánek glaubt, dass die Unruhen auch übergreifen könnten, obwohl dies bisher in solchen Fällen in Mittelasien nie der Fall war. In der Zeitung Mladá Fronta Dnes warnt er daher:

„Der militante Islam hat im Fergana-Tal viel Unterstützung. Das gilt auch für den Süden Kirgistans, obwohl die Kirgisen wegen des bei ihnen weit verbreiteten Nomadenlebens allgemein für weniger islamisch gehalten werden als die sesshafteren Usbeken. Und die Vorstellung, dass im nahen Afghanistan wieder die Taliban an Macht gewinnen und ihren Einfluss in das an Bodenschätzen reiche Zentralasien ausdehnen könnten, muss jeden erschauern lassen, der nicht gerade Anhänger von Osama bin Laden ist. Vor allem das ist der Grund, warum die Großmächte Russland, USA und China, die in der Gegend sorgsam ihre wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und strategischen Interessen schützen, die demokratisch orientierte Regierung in Kirgistan nicht im Stich lassen sollten. Und die Hilfe sollte sich nicht nur auf die Lieferung von Brot und Zelten beschränken.“

Moderator: Und mit diesem Kommentar zu Lage in Kirgistan beenden wir unsere heutige Presseschau. Vielen Dank an Till Janzer.