Klaus, Griechenland, ein Kohlekraftwerk und der Wahlkampf
Zu Beginn der Woche herrschte Nachrichten-Flaute, neben der europaweiten Debatte über die griechische Schuldenkrise blieb nicht viel Raum für Innenpolitisches. Am Donnerstag gab es dann doch noch zwei heiße Themen: die Humboldt-Rede von Staatspräsident Klaus in Berlin und die Genehmigung des Umweltministeriums für die umstrittene Modernisierung des Kohlekraftwerkes Prunéřov II. Und außerdem steckt Tschechien mitten im Wahlkampf – auch wenn man davon nicht viel merkt.
Moderatorin: Daniel, am Donnerstag hatte Staatspräsident Václav Klaus an der Berliner Humboldt-Universität seinen großen Auftritt. Inhaltlich hat die Rede ja nichts grundlegend Neues gebracht. Dass Václav Klaus ein Gegner der weiteren europäischen Integration ist, das wissen wir ja bereits. Wie haben denn die tschechischen Medien auf die Humboldt-Rede des tschechischen Staatsoberhauptes reagiert?
Daniel Kortschak: Na, das Echo war eher verhalten. Die meisten Tageszeitungen haben Klaus’ Thesen zusammengefasst und das war’s. Einen Kommentar habe ich aber in der Lidové noviny gefunden. Zbyněk Petráček meint, Klaus hätte wohl kaum einen besseren Zeitpunkt für seine Rede finden können:„Hat Klaus ein entgegenkommendes Publikum, dann spart er sich Sarkasmen und Ironie. Und spricht er in Deutschland zu einer Zeit, wo ganz Europa verunsichert ist, hört ihm das Publikum auch wirklich zu und denkt: Das ist der Mann, der jene Probleme laut ausspricht, über die man sich bisher nur zu flüstern getraut hat.“
Klaus habe in Berlin im Gegensatz zu früheren Auftritten nicht pauschalisiert, meint Kommentator Petráček in der Lidové noviny, aber er sei natürlich bei seiner Kernthese geblieben: Das Grundprinzip Europas sei die Staatsangehörigkeit und die könne es nur in den Nationalstaaten und nicht auf EU-Ebene geben.„In Stein gemeißelter Nationalismus?“, fragt sich Zbyněk Petráček und schreibt weiter: „So sehen das die Euro-Föderalisten. Aber versuchen Sie einmal, das laut auszusprechen in einer Zeit, wo schon die bloße Vorstellung von Solidarität mit Griechenland die europäische Nationalität zu einer Illusion werden lässt. Da hat der Realist Klaus recht.“
M: Klingt nach einer ziemlichen Lobeshymne auf Klaus, oder?
DK: Na ja, es geht noch weiter. Zeitungskommentator Petráček wirft Klaus nämlich vor, immer nur eine Seite der Medaille zu betrachten. Diejenige, die in seinen Augen gerade glänzt. So habe er in Berlin zwar den Titel eines Textes des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zitiert – „Die EU schadet der Europa-Idee“. Das ist natürlich ganz nach Klaus’ Geschmack. Herzogs Warnung vor dem zunehmenden Egoismus mancher EU-Länder habe er aber großzügig unter den Tisch fallen lassen. Und daher hat auch Zbyněk Petráček für Václav Klaus eine Warnung parat:„Klaus und seiner Kritik an den Hurra-Europäern stehen im Moment alle Türen offen und seine Seite der Medaille glänzt. Die europäische Erfahrung zeigt aber, dass sich diese Medaillen extrem rasch wenden können.“
M: Daniel, hat es eigentlich auch in Deutschland Reaktionen auf die Rede von Václav Klaus gegeben?
DK: Nein, ich habe keine einzige gefunden. Die Tageszeitungen haben – wenn überhaupt – nur eine zusammenfassende Agenturmeldung wiedergegeben.
M: Gut, genug Klaus. Wenden wir uns einem anderen aktuellen Thema zu, über das wir ja gerade im Tagesecho berichtet haben: Die umstrittene Modernisierung des Kohlekraftwerkes Prunéřov. Umweltschützer kritisieren heftig, dass das Umweltministerium dem Projekt grünes Licht gegeben hat. Wie ist das Medienecho zu dieser Causa, die ja beinahe die Übergangsregierung gesprengt hätte?
DK: Der Tenor ist eindeutig: Das Ministerium sei vor dem mehrheitlich staatlichen Stromkonzern ČEZ in die Knie gegangen. In der wirtschaftsorientierten Tageszeitung Hospodářské noviny schreibt Jiří Leschtina unter dem Titel „Roman for premier?“…M: Damit spielt er auf Martin Roman an, den Chef des Stromriesen ČEZ…
DK: Ja, genau. Leschtina schreibt: „Kritisieren wir nicht ČEZ dafür, dass sie ihre Version der Modernisierung des Kohlekraftwerkes Prunéřov durchgedrückt hat. Der Energieriese hat nur seine wirtschaftlichen Interessen durchgesetzt. Machen wir uns auch nicht über die Grünen lustig, die diesen Kampf verloren haben. Sie waren doch die einzigen, die für eine ökologischere Variante gekämpft haben. Was allerdings Bestürzung hervor rufen sollte, ist das feige Verhalten des Staates in diesem Streit.“
Der Staat stecke in einer unglücklichen Doppelrolle als Vertreter der Bürger, die saubere Luft verdient haben und als Mehrheitseigentümer des gewinnorientierten Stromkonzerns ČEZ. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma sei eine Privatisierung von ČEZ, meint Leschtina und schreibt:
„Premier Fischer hatte folglich recht, als er eine schnelle Lösung des Prunéřov-Dilemmas forderte. Er hat allerdings total versagt, als er die ehemalige Pressesprecherin der ČEZ-Kohlekraftwerke zur Umweltministerin ernannt hat. Die Tatsache, dass Rut Bízková nur wenige Tage vor dem positiven Bescheid für Prunéřov jenen Abteilungsleiter abberufen hat, der eine negative Stellungsnahme gefordert hat, beweist eines: Der Energiegigant hat mit tatkräftiger Unterstützung des Premiers jenes Ministerium in seine Gewalt gebracht, das ihm im Weg stand.“
M: Starke Worte in der – betont wirtschaftsfreundlichen - Hospodářské noviny. In dieser Angelegenheit scheint also das letzte Wort noch nicht gesprochen.DK: Sicher nicht, Umweltschützer drohen bereits mit Klagen vor tschechischen und europäischen Gerichten. Das Umweltministerium weist natürlich alle Vorwürfe zurück und betont, man habe das Bestmögliche für die tschechische Umwelt getan.
M: Daniel, kommen wir noch zu einem außenpolitischen Thema: Seit Tagen sorgt die schlechte Finanzlage Griechenlands für Schlagzeilen. Tschechien ist zwar kein Euroland, aber die Menschen hierzulande lässt das Thema trotzdem nicht kalt. Erst in der Nacht auf Donnerstag hat ja jemand versucht, die griechische Botschaft in Prag in Brand zu stecken.
DK: Ja, auch wenn die Tat wahrscheinlich nicht in direktem Zusammenhang mit den griechischen Finanzproblemen steht, die Zeitungen waren voll davon. Und auch an der Milliarden-Hilfe der Euroländer für Griechenland kommen die Zeitungskommentatoren dieser Tage nicht vorbei. Pavel Páral schreibt in der Mladá fronta dnes:„Ist der Euro an der Schuldenkrise in Südeuropa schuld? Und droht auch uns der griechische Weg zum Staatsbankrott? Auch wenn es nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist: Diese beiden Themen hängen zusammen. Sicher haben jene Recht, die sagen, dass am Beginn der Schuldenkrise Griechenlands korrupte Politiker standen.“
Mit Posten in der Staatsverwaltung, Steuergeschenken und großzügigen Aufträgen hätten sie sich die Gunst der Wähler erkauft. Ohne Euro wäre dies schon viel früher aufgeflogen, meint Páral. Daher sei die Gefahr eines negativen Ratings auf den Finanzmärkten für Länder mit eigener Währung wie Tschechien auch größer:
„Sie haben nirgendwo einen guten Onkel hinter sich, der ihnen die Schulden bezahlt, so wie es die Banker nun im Fall von Griechenland und Portugal erwarten und sich gleichzeitig über die geizige Tante Merkel aufregen.“Zwar sei Tschechien mit einem Haushaltsdefizit von etwa 40 Prozent des Bruttoinlandsproduktes noch ein Stück weit von den 70 Prozent Ungarns entfernt. Doch die Zukunft sieht Pavel Páral in der Mladá fronta dennoch pessimistisch:
„Eine Legislaturperiode reicht ganz sicher dazu, um diesen Rückstand aufzuholen. Eine wirklich effiziente Senkung der Ausgaben erfordert einen gewissen legislativen Prozess, der bis zu einem Jahr dauern kann. Das heißt, die ersten größeren Einsparungen gäbe es erst im Jahr 2012. Und das acuh nur dann, wenn wir eine Regierung bekommen, der am Schicksal unseres Landes wirklich etwas liegt.“
M:À propos: In Tschechien wird ja Ende Mai ein neues Abgeordnetenhaus gewählt. Die Straßen sind natürlich vollgepflastert mit Plakaten, auf denen sich vor allem die beiden größten Parteien gegenseitig Vorwürfe machen „Wählst du die Falschen, zahlst du drauf!“. „Sie verschwenden euer Geld!“ und ähnliches lesen wir jeden Tag auf dem Weg in die Arbeit. An Inhalten hat dieser Wahlkampf aber wenig zu bieten, dafür ist er alles andere als arm an politischen Skandalen.
DK: Ja, und genau damit befasst sich Chefredakteur Erik Tabery in seinem Leitartikel im Wochenmagazin Respekt. Er schreibt unter dem Titel „Ein heißer Wahlkampf“:„Jetzt hat bei uns also die heiße Phase des Wahlkampfes begonnen. Sie ist sogar so heiß, dass einige bereits verbrannt sind. Der Vorsitzende des Abgeordnetenhauses und Spitzenkandidat der ČSSD in Olmütz, Miloslav Vlček, musste nach einem Finanzskandal abtreten (…) Die Prager ODS wiederum hat ihre stellvertretenden Parteivorsitzenden ausgetauscht; als sie den problematischen Milan Jančík loswerden wollte, hat sie gleich mehrere Fliegen auf einen Streich erlegt und auch zwei weitere stellvertretende Parteichefs gefeuert, eine Stellvertreterin ist von selbst zurückgetreten.“
Schön langsam würden die etablierten Parteien erkennen, dass die Wähler genug haben von all diesen Causen, die nach Korruption und Bereicherung riechen. Gerade deswegen würden neue politische Gruppierungen wie die „Öffentliche Sachen“ / „Věci veřejné“ in letzter Zeit starken Zulauf verzeichnen. Doch auch deren Chef sei in der Vergangenheit durch Verbindungen zu problematischen Unternehmern aufgefallen und auch die „Öffentliche Sachen“ würde die Wähler mit leeren Versprechungen locken, etwa der Abwahl von Politikern durch das Volk. Die neue Partei habe zwar eine Reihe von fähigen Kommunalpolitikern in ihren Reihen, aber auch jede Menge politische Altlasten, schreibt Respekt-Chefredakteur Tabery:„Die Partei ‚Öffentliche Sachen’ ist wie die Katze im Sack. Wir wissen bisher viel zu wenig von ihr. Diese Unsicherheit bestätigt auch, woraus sie ihr Wählerpotential schöpft: Zwei Fünftel ihrer Anhänger haben 2006 die ODS gewählt, ein Viertel die ČSSD und 10 Prozent die Grünen, zehn Prozent waren Nichtwähler und weitere zehn Prozent Erstwähler.“
M: Es scheint, als wäre die Wahl noch nicht entschieden. In vier Wochen wissen wir mehr und mit Radio Prag bleiben Sie natürlich auf dem Laufenden.