In Boží Dar amtiert das Christkind auf der Post und lehrt Kinder die Natur

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Ein tschechischer Ort hat es zum Christkind besonders nah. Er liegt hoch oben auf einem Gebirgskamm, und Himmlisches klingt auch in seinem Namen an: das Erzgebirgsstädtchen Boží Dar / Gottesgab. Mit 1028 Meter Seehöhe ist es der höchste Ort in ganz Tschechien. Einst wurde hier Silber gewonnen, heute ist Boží Dar ein beliebter Wintersportort. Deutsche wie tschechische Urlauber wedeln über die Skipisten bei der sächsischen Grenze zu Tal. Die Gäste aber wollen etwas geboten bekommen. Die himmlische Lage, der göttliche Name, die schneereichen Winter: wie geschaffen als Heimstatt für das Christkind, sagte sich der Gemeinderat. Und er schuf dem Christkind in Boží Dar eine zauberhafte Fabelwelt.

Das Christkind von Boží Dar kommt wie ein übermütiges, zu Abenteuern aufgelegtes Kind daher. Unter seinem wuscheligen Bubikopf blickt es mit fröhlichen, blauen Augen im pausbäckigen Gesicht in die Welt hinaus. Es trägt einen hellen, mit rotem Plüsch verbrämten Mantel. Der Mantel erinnert an Sankt Nikolaus oder auch an die Kittel der Knappen von früher. Um den Hals hat das Christkind einen roten Wollschal gewunden, und seine Füße stecken in dicken Pelzstiefeln. Die Zipfelmütze mit der roten Quaste, die über den goldenen Haarschopf gestülpt ist, gleicht den Wollmützen, die einst im Erzgebirge die Großmütter für ihre Enkelkinder strickten. Iva Králová, die Leiterin des Infozentrums in Boží Dar, erklärt, was es mit diesem Christkind auf sich hat:

„Es ist unser tschechisches Christkind, das wir hier in Boží Dar propagieren. Wir haben unsere eigenen Vorstellungen von diesem Christkind, und es hat auch eine ganz eigene Welt. Sie können unser Christkind hier überall antreffen. Sie finden es auf den Stadtplänen und Landkarten der Umgebung, und in Boží Dar selbst steht an jeder Ecke eine Figur dieses Christkinds.“

Boží Dar
Die weißen Flügelchen an den Schultern verraten, dass das Christkind von Boží Dar, genau wie seine traditionellen Vorläufer, gerne in himmlischen Sphären weilt. In der Vorweihnachtszeit steigt es jedoch zu den Erdenbürgern von Boží Dar hernieder. Es kommt dann auf einer bauschigen Schäfchenwolke angeritten und zieht einen Sack voller Geschenke nach. Verwechseln kann man das himmlische Kind nicht. Denn seine Insignien tun den Christkind-Status unmissverständlich kund: In der Hand bimmelt ein Glöcklein und auf der Gürtelschnalle prangt der Bethlehemstern. Anfang Dezember hält das Christkind jedes Jahr Einzug im Postamt von Boží Dar. Den ganzen Advent hindurch wickelt es dann die berühmte Weihnachtspost ab. Zweigstellenleiter Marek Smitka überwacht das Christkind bei seinen Amtsgeschäften:

Marek Smitka  (Foto: Autorin)
„Die Weihnachtspost von Boží Dar funktioniert so, dass uns die Leute Sendungen zuschicken. Die Kuverts sind an unser Postamt adressiert. Wir öffnen die Umschläge und finden darin frankierte und adressierte Briefe oder Karten an Verwandte und Freunde des Absenders vor. Diese Weihnachtsgrüße machen wir mit unserem Weihnachtsstempel frei und schicken sie weiter an den endgültigen Empfänger.“

Hierfür hat das Postamt von Boží Dar einen besonderen Weihnachtsstempel. Er ist etwas größer als ein gewöhnlicher Datumsstempel der Post und zeigt jedes Jahr ein anderes Motiv. Diesmal hat ihn der Prager Maler Jiří Rychtařík entworfen. Ein verschneites Städtchen mit einem Bethlehemstern ist auf dem Abdruck zu sehen. Der einzigartige Weihnachtsstempel von Boží Dar gelange bis in fernste Weltgegenden, erzählt Marek Smitka.

„Wir hatten schon Empfänger in Neuseeland, Australien und China. Aber auch nach Amerika und natürlich in alle Länder Europas wandern die Weihnachtsgrüße aus Boží Dar hinaus.“

Der immer andere Stempel ist auch für Philatelisten interessant. Sie lassen sich die Post daher retournieren. Doch auch andere Post geht an den Absender zurück. Es handelt sich dann nicht um Grüße an Verwandte und Freunde, sondern um Wünsche an das Christkind. Die meisten Wunschkarten kommen von Kindern. Marek Smitka, der sie in Vertretung des Christkinds entgegen nimmt, weiß, was sich die Absender wünschen:

„Die Kinder wünschen sich meistens Elektronik oder Spielsachen. Die Erwachsenen sehnen sich eher nach Geld, Glück und Liebe.“

Oft muss der Postler schmunzeln, wenn er die Wünsche an das Christkind abstempelt, manchmal ist er auch gerührt:

„Der kurioseste Wunsch dieses Jahr war bisher, als sich zwei Männer je drei Millionen Kronen unter den Weihnachtsbaum wünschten. Und im vergangenen Jahr erhielten wir einen eher traurigen Wunsch. Ein kleines Kind wünschte sich, dass seine Mutter wieder glücklich werde und dass es zusammen mit seiner Familie harmonische Weihnachten verbringen könne.“

Foto: Autorin
Das Weihnachtssiegel verleihe den Wünschen an das Christkind eine Art höherer Geltung, räsoniert Marek Smitka. Es sei, als ob sie das Christkind höchstpersönlich amtlich beglaubigen würde.

Seit sechzehn Jahren schon schleppen die Bediensteten der Tschechischen Post in der Vorweihnachtszeit schwere Säcke voll Briefen nach Boží Dar. Dieses Jahr musste die Weihnachtspost mitten im Advent wegen Bauarbeiten ins Gemeindeamt umziehen. Den Betrieb hat das aber nicht beeinträchtigt. Jeden Advent träfen rund eine halbe Tonne Sendungen bei ihm ein, sagt Marek Smitka. Weil es so viel ist, wurden auch diesmal wieder zwei Aushilfskräfte eingestellt.

Foto: Autorin
„Wir sind Helferinnen des Christkinds. Das Aufschneiden der Kuverts macht uns keinen Spaß, das Abstempeln aber schon! Siebeneinhalb Stunden täglich sind wir mit den Briefen und Karten beschäftigt, manchmal sogar noch länger. Uns schmerzen schon die Hände von dem vielen Stempeln. Doch wir tun diese Arbeit gern“, erzählt eine der beiden Frauen.

Boží Dar habe zum Christkind eben eine ganz besondere Beziehung, glaubt auch eine Kundin, die am Schalter ein Päckchen aufgibt. Das habe etwas mit der Höhenlage zu tun.

„In Boží Dar ist das Christkind daheim. Wir haben hier die Weihnachtspost mit dem besonderen Weihnachtsstempel. Wir sind der am höchsten gelegene Ort in Tschechien. Deswegen sind diese Traditionen bei uns entstanden. Und die Leute identifizieren sich damit.“

Ein zweiter Kunde pflichtet der Frau bei. Auch er findet Gefallen am Christkind:

„Natürlich passt das Christkind hierher. Denn, ich würde sagen, es erhöht die Popularität von Boží Dar.“

Diese enge Verbundenheit mit dem Christkind währt allerdings noch nicht allzu lange. Sie wächst erst seit Ende des vergangenen Jahrhunderts. Damals bemühte sich die Gemeinde Boží Dar, den Fremdenverkehr anzukurbeln, der heute die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinde ist.

Boží Dar
Das war nicht immer in der Geschichte so gewesen. Früher einmal brauchten die Einwohner von Boží Dar den Tourismus nicht. Sie saßen auf einer viel fetteren Pfründe. Im 16. Jahrhundert wurden hier Silber- und Zinnvorkommen entdeckt. Die kostbaren Erze machten aus dem kargen Gebirgsdorf eine wohlhabende Bergbaustadt. Sachsen wie Böhmen ließen sich in Boží Dar nieder. Im 19. Jahrhundert wurde der Bergbau allmählich eingestellt. Später klöppelten die Menschen hier Spitzen. Nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich schrumpfte das Städtchen aufgrund des Verlusts der deutschen Bevölkerung auf die Größe eines Dorfes zusammen.

Was einst das Silber, das Zinn und die Spitzen für die Wirtschaft waren, sollen nun der Schnee und die Naturschönheiten wettmachen. Boží Dar preist sich als Urlaubsziel für Skifahrer wie Sommerfrischler an. Und um den Gästen Unterhaltung zu bieten, schafft der Urlaubsort immer neue Attraktionen. Hierbei tritt wiederum das Christkind auf den Plan. Es spielt in den Tourismus-Konzepten eine kleine, doch feine Rolle. Neuerdings, berichtet die Leiterin des örtlichen Infozentrums, Iva Králová, gibt es in Boží Dar neben der Weihnachtspost auch einen Christkindlpfad.

„Der Christkindlpfad besteht aus zwei Rundwanderwegen für Eltern und Kinder. Der kleine Kreis ist 6 Kilometer lang, der große 13 Kilometer. Auf dem Rundgang kommen die Kinder zu 13 Stationen, bei denen sie Fabelwesen antreffen. Das sind die Helfer des Christkinds. Sie geben den Kindern Quizfragen über die Natur, die Pflanzen und Tiere hier in der Gegend auf. Die Lösungen tragen die Kinder in ein Notizheft ein. Und wenn sie das ganze Heft ausgefüllt haben, kommen sie zu uns ins Infozentrum und erhalten vom Christkind ein kleines Geschenk.“

Die Kinder begegnen auf dem Rundwanderweg einem Fledermäuschen, einem Sternchen, einem Wolkenmann, einem Glück bringenden Kobold und so fort. Das Christkind steht an der Spitze dieses Schwarms origineller Fabelwesen, ein Primus inter Pares oder, flotter ausgedrückt, Leader in dieser zauberhaften Phantasiewelt. Die Weihnachtspost und der Christkindlpfad sind aber noch nicht das Alpha und Omega der wundersamen Christkindlwelt. Sondern dem Christkind erschließen sich noch weitere Aufgabenfelder. Iva Králová:

„Wir wollen die Weihnachtspost weiter ausbauen. Und wir schaffen auch noch andere Attraktionen für die Kinder, die sie das ganze Jahr über erleben können. Zum Beispiel haben wir einen Christkind-Briefkasten eingerichtet, in den die Kinder das ganze Jahr über Wünsche und Bitten einwerfen können.“

Man rechnet also in Boží Dar auch in Zukunft mit dem Christkind. Es ist gut zu gebrauchen als Träger der Entwicklung des Fremdenverkehrs in dem Gebirgsdorf. Längst agiert es ja bereits als eine Art Animateur der Gäste.

Der biblische Ursprung der volkstümlichen Christkindgestalt im Ereignis der Geburt Jesu ist bei alldem verblasst. Eine christliche Glaubensbotschaft vermittelt dieses himmlische Fabelwesen nicht mehr. Doch die PR-Agenturen stufen das Potenzial des Christkinds für den Fremdenverkehr als beträchtlich ein. Also dürfte noch manches in ihm drinstecken. Wer weiß, vielleicht geht einmal der Trend hin zu so urigen Vorstellungen, wie der Krippe im Stall von Bethlehem, Maria und Josef, singenden Engeln und den Hirten im Feld und der Geburt eines Heilands. Dann könnte das biblische Jesuskind eine Renaissance erleben.