„Watschenmann“ Paroubek – Gezerre um den Haushalt und Streit mit Havel

Die ganze Woche haben die Köpfe der tschechischen Politiker geraucht, weil sie nach einem Kompromiss zum Spar-Haushalt 2010 gesucht haben. Spätestens ab Mitte der Woche rauchten bei diesem Thema auch die Federn der Zeitungskommentatoren. Weitere Medienthemen in der abgelaufenen Woche waren erneut Obamas „Nein“ zur Raketenabwehr und ein Streit damit zusammenhängender Streit zwischen dem sozialdemokratischen Parteichef Jiří Paroubek und Ex-Präsident Václav Havel um beider Verdienste in den letzten 20 Jahren.

Moderator: Am Freitag erst hat das Abgeordnetenhaus über den Spar-Haushalt für 2010 abgestimmt. Eigentlich sollte die Abstimmung bereits bei der Sitzung am Donnerstag erfolgen. Doch an dem Tag war die Sitzung im Abgeordnetenhaus geprägt von Beleidigungen und dem Hin und Her vor allem der Sozialdemokraten. Mal sollte eine vorläufige Übereinkunft mit den Liberalen und Konservativen existieren, mal leugneten die Sozialdemokraten jegliche Absprache und forderten erneut weniger Belastung für Familien mit Kindern, alte Menschen und Kranke. Der sozialdemokratische Parteivorsitzende Jiří Paroubek dürfte für dieses Verhalten wohl wieder stark kritisiert worden sein…

T. Janzer: Genau so war es. Paroubek ist derzeit sozusagen der Watschenmann der tschechischen Politik. Am Freitag bezeichnete die liberal-konservative Zeitung „Lidové Noviny“ ihn sogar in ihrem Leitartikel als „Spielverderber“. In dem dazugehörigen Kommentar verweist Martin Zvěřina darauf, dass die Sozialdemokraten als einzige von fünf Parteien aus der Reihe getanzt sind. Ich zitiere:

Der sozialdemokratische Parteivorsitzende Jiří Paroubek  (Foto: ČTK)
„Sind sich vier von fünf Teilnehmern einer Unterredung einig in der Interpretation einer vorläufigen Übereinkunft, dann geht daraus klar hervor, dass der Fünfte unter einem Defekt oder mangelnder Urteilsfähigkeit leidet. Im Fall von Jiří Paroubek dürfen wir dabei nicht von einem Fehler oder von Dummheit ausgehen, wir müssen es schlicht Berechnung nennen.“

Moderator: Das ist die vorherrschende Sicht im liberal-konservativen Lager. Was aber meinen die Kommentatoren in der „Právo“, die den Sozialdemokraten nahe steht?

T. Janzer: Alexandr Mitrofanov findet in seinem Kommentar für die Zeitung „Právo“, dass die sozialdemokratische Sicht ihre Legitimität habe - also darauf hinzuweisen, dass der Sparhaushalt von Finanzminister Janota für die klassisch sozialdemokratischen Wählerschichten negative Folgen haben kann. Mitrofanov glaubt aber, dass das ganze Gezänk vor allem deswegen entstanden ist, weil die Sitzung im Abgeordnetenhaus live vom Tschechischen Fernsehen übertragen wurde. Und wörtlich stellt er folgende Frage, die er selbst auch beantwortet:

„Was wäre, wenn die Abgeordneten mit hundertprozentiger Sicherheit wüssten, dass die Wähler vom Ergebnis ihrer Verhandlungen erst im Nachhinein erfahren? Und dass niemand während der Verhandlungen den Weg auf den Bildschirm findet? Ich denke, dann hätten wir schon am Donnerstag das Ergebnis gehabt.“

Moderator: Gab es noch weitere Meinungen, Till?

T. Janzer: Ja eine ganze Menge, ich habe mir noch Julie Hrstková von der Wirtschaftstageszeitung „Hospodářské Noviny“ herausgesucht. Sie beklagt ebenfalls, dass jeder der Abgeordneten mit seinem Auftritt im Fernsehen nur eigene Ziele verfolgt hat. Sie schreibt:

„Die ganze Debatte drehte sich schließlich nicht um das, worum es gehen sollte – also um den Haushalt. Sie hat hingegen einfach nur die Ideenlosigkeit der Politiker gezeigt – ein tiefes Loch, das tiefer als das im Haushalt zu sein scheint. Fatale Folgen kann aber beides haben.“

Moderator: Bisher ging es um den schwierigen Weg zu einem Staatshaushalt für das kommende Jahr. Der Anfang der Woche stand aber noch ganz im Zeichen der Absage der USA an Tschechien und Polen, dort die geplante Radarabschirmanlage zu errichten. Was war denn zu diesem Thema zu lesen?

T. Janzer: Vergangene Woche haben wir ja schon die wichtigsten Meinungsrichtungen dargestellt: dass die einen die innerpolitische Situation in Tschechien verantwortlich machen für die Absage und die anderen einen Verrat sehen und Parallelen zum Münchener Abkommen ziehen. Ich habe daher mal jene Meinungen herausgezogen, die sich mit der Frage „Was nun?“ beschäftigen. Martin Ehl schreibt am Montag in der „Hospodářské Noviny“:

„Zusammengefasst stehen Tschechien und Polen vor einer grundlegenden Revision ihrer Sicherheitsstrategie oder zumindest ihrer Ostpolitik gegenüber Russland. Und zugleich wissen sie, dass sie sich auf die amerikanischen Verbündeten bei der Sicherheitsstrategie grundsätzlich weniger verlassen dürfen.“

Moderator: Soweit Martin Ehl in der „Hospodářské Noviny“. Vielleicht noch eine weitere Meinung?

Barack Obama
T. Janzer: Ja, und zwar vergleicht Jiří Hanák in der linksgerichteten „Právo“ die heutige Situation mit der in den 70er Jahren. Damals habe es zuerst die Annäherung durch die neue Ostpolitik von Willy Brandt gegeben. Später sei dann der Nato-Doppelbeschluss mit der Stationierung amerikanischer Pershing-Raketen gekommen als Reaktion auf russische SS-20-Raketen im Ural. Hanák sieht Parallelen in Barack Obamas Kooperationsangebot an Russland. Ich zitiere:

„Nimmt das heutige Moskau Obamas ausgestreckte Hand ohne weitere Erpressungsversuche an, geht es gut aus. Ich selbst glaube das zwar nicht, aber einen Versuch ist es sicher wert. Im anderen Fall bleibt für einen ´Doppelbeschluss´ immer noch genügend Zeit.“

Moderator: Eng mit Obamas „Nein“ zur Raketenabwehr zusammen hängt ein Streit zwischen dem sozialdemokratischen Parteichef Paroubek und Ex-Präsident Václav Havel. Paroubek hatte Havel unterstellt, der Ex-Präsident wolle mit seiner vehementen Forderung nach der Stationierung des US-Radars den Eisernen Vorhang zurück. Havel hat darauf Paroubek der Lüge bezichtigt. Er – also Havel – habe, im Unterschied zu Paroubek, sein ganzes Leben lang auf den Fall des Eisernen Vorhangs hingewirkt. Wie sind die Pressereaktionen?

T. Janzer: Es gibt auch in diesem Fall eine ganze Menge verärgerter Stimmen über Paroubek. Die „Lidové Noviny“ war immer ein Sprachrohr der Dissidenten, schon als sie im Sommer 1989 erneut herausgegeben wurde. Daniel Kaiser erinnert in dem Blatt, dass sich der Sozialdemokraten-Chef Paroubek nicht mit irgendjemandem anlegt:

„Ausgerechnet dem Gründer der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 vorzuwerfen, er wolle den Kalten Krieg zurück, war vom Vorsitzenden der Sozialdemokraten ausgesprochen taktlos. Falls wir Paroubek beim Lesen von Havels Antwort etwas raten dürfen, dann das: Er sollte anstatt der Bezichtigung als Lügner lieber die Beifügung ´im Unterschied zu Ihnen´ beachten. Damit hat Havel nämlich eine Gewohnheit gebrochen. Normalerweise beschämen die ehemaligen Dissidenten die weniger tapferen Mitbürger nicht mit der eigenen Tapferkeit. Havel hat dies in der Öffentlichkeit volle 20 Jahre lang eingehalten. Dass er nun Paroubek mit sich verglichen und ihn als zu leicht befunden hat, zeugt davon, wie sehr Havel aufgebracht ist.“

Moderator: Und mit diesem Kommentar zur Frage des Erbes der Samtenen Revolution beenden wir unsere heutige Presseschau.