Mehr als schmuck: Glasbijouterie aus Jablonec nad Nisou
In ihrer Blütezeit beherrschte die Glasbijouterie aus Jablonec nad Nisou / Gablonz an der Neiße die Märkte der Branche weltweit. Die „Gablonzer Ware“ war den Händlern ein Begriff, wo immer sie ihre Geschäfte trieben. Das war vor hundert Jahren. Heute dagegen stehen viele Unternehmen der Branche an einem Scheideweg, die Weichen für die Zukunft müssen neu gestellt werden. Das Museum von Jablonec nad Nisou dokumentiert die bewegte und spannende Geschichte der regionalen Bijouterie mit einer einzigartigen Sammlung.
erzählt Museumsdirektorin Jaroslava Slabá. Die Bijouterieabteilung präsentiert nicht nur die erstaunlichen Kreationen, die in Jablonec und den umliegenden Dörfern des Isergebirges oft in Heimarbeit und kleinen Manufakturen hervorgebracht wurden. Sie zeigt auch Rohmaterialien, Halbfabrikate und Werkzeuge und stellt den Weg der Ware von der Glashütte bis zum Kunden dar. Denn die Bijouterie war mehr als bloß ästhetisches Kunsthandwerk, für viele Einwohner der Region bildete sie die Lebensgrundlage. Die Einzigartigkeit der Bijouteriesammlung von Jablonec veranlasste 2003 das tschechische Kulturministerium, das Glas- und Bijouteriemuseum zu einem nationalen Museum aufzuwerten.
Das Glas- und Bijouteriemuseum hat damit Rückenwind bekommen - ein anspornendes Signal auch für die Glas- und Bijouteriebranche selbst, die derzeit recht starken Gegenwind bekommt. Doch lassen wir die prekäre Lage der Branche einmal beiseite und wenden wir uns zunächst ihrer glanzvollen Geschichte zu. Wie, wann und warum kam es eigentlich dazu, dass die Bijouterie-Herstellung in Jablonec und Umgebung Fuß fasste? Begonnen hat alles in Turnov / Turnau, ein Dutzend Kilometer südlich von Jablonec, weiß Jaroslava Slabá:
„In Turnov wurden früher Natursteine geschliffen. Die dortigen Steinschleifer beherrschten ihr Handwerk vollkommen. Und als der Habsburgerkaiser Rudolf II. 1612 gestorben war, verließen die Künstler, die er an seinen Prager Hof geholt hatte, die damalige Reichshauptstadt. Unter diesen Künstlern waren auch Glasgraveure, und von denen ließen sich viele in Turnov nieder.“
In der Gegend von Turnov wurde der dunkelrote böhmische Granat abgebaut, ein Mineral, das in den böhmischen Ländern von einst als Schmuckstein genauso beliebt war wie noch im heutigen Tschechien. Im Laufe des 17. Jahrhunderts stieg die Nachfrage nach Schmucksteinen, allmählich stieß sie an die Grenzen der Lieferkapazitäten der Naturstein-Schleifer, und sie dachten sich etwas Neues aus: Sie verlegten sich auf die Herstellung von gläsernen Imitaten. Im sonnigen Venedig praktizierte man Ähnliches bereits. Die Imitate von Granaten, Diamanten und anderen Edelsteinen aus Turnov holten aber bald mit der Konkurrenz aus dem Süden auf. Anfang des 18. Jahrhunderts griffen dann auch die Glasmacher in Jablonec die lukrative Glasbijouterie-Herstellung auf. Die Isergebirgsgegend besaß nicht nur den Rohstoff Quarz, sondern auch das übrige Rüstzeug dafür.„Zum einen gab es hier Leute, die sich auf die Verarbeitung von Glas verstanden. Zum anderen lebten hier aber auch Gürtler, die darin geschult waren, das Glas in Metallfassungen einzusetzen. Und schließlich gab es hier auch Wasserläufe, an denen Schleifmühlen betrieben werden konnten, um die Bijouteriesteine zu schleifen“,so Jaroslava Slabá. Einmal verwurzelt, wuchs die Bijouteriebranche in Jablonec und Umgebung immer mehr an und wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einem tragenden Wirtschaftszweig der Region. Das Warensortiment war einem steten Wandel unterworfen. Was in Europa gerade Mode war, gaben die Trendsetter Italien und Frankreich vor. Doch die Techniken, um den Markt mit Bijouterie nach dem Zeitgeschmack zu versorgen, entwickelten die Bijouterie-Hersteller von Jablonec vielfach selbst. Eines ihrer einträglichsten Halbfabrikate war die Glasperle. Glasperlen gab es in mannigfaltigen Größen, Farben und Formen, entsprechend differenziert waren die Produktionsverfahren. Perlen wurden gedrückt, gewickelt, geblasen und gehackt. Auf die kristallartigen geschliffenen Glasperlen hatte Jablonec sogar ein Monopol. Die Wachsperle wiederum war der Naturperle täuschend ähnlich und doch für breite Käuferschichten erschwinglich. Neben technischen Innovationen war es aber auch der Export, was die Branche voranbrachte.
„Wenn die Leute die Jahrmärkte in Leipzig, Hamburg und anderen Handelszentren nicht besucht hätten, dann hätte es keinen Export gegeben. Aber hier lebten eben solche Leute, die manchmal nur mit einem Korb am Rücken oder einem Pferdewagen auch an ferne Orte aufbrachen. Und der Export kurbelte die heimische Produktion an.“
Von den ausländischen Jahrmärkten brachten die Händler Ideen und Muster mit nach Hause, die es ermöglichten, mit den neuesten Trends mitzuhalten. Nach der nüchternen Mode der napoleonischen Zeit zum Beispiel kamen die Gewänder des Biedermeier auf, die auf zierliche Details Wert legten - und brachen dem schmucken Glasknopf die Bahn. Kunstvoll verzierte Glasknöpfe, meistens in Metallfassungen, gehörten zu jedem gutbürgerlichen Kleid, Hemd und Rock. In Kriegszeiten brauchte sie die österreichische Armee für die Uniformen der Soldaten. Der Knopf wurde so zu einer wichtigen Sparte der Bijouterie-Hersteller. Bei den Indern und den Naturvölkern Afrikas wiederum ließen gläserne Armreifen mit farbenfrohem Dekor die Herzen höher schlagen. Im Hafen von Triest wurden sie meistens nach Übersee eingeschifft. Bijouterie aus Jablonec drang aber auch auf den amerikanischen Kontinent vor. Die Indianerstämme Nord-, Mittel- und Südamerikas behängten sich bei ihren Stammesfesten mit Glasperlenketten aus Jablonec. Daneben war bei ihnen auch die nur millimetergroße Rocaille-Perle beliebt, die im deutschen Berufsjargon unter anderem als „Schmelzperle“ oder „Hackperle“ bezeichnet wird. Mit der böhmischen Rocaille-Perle bestickten die Indianer ihre Gewänder und fertigten daraus Ritualgegenstände an.Eine originale Erfindung der Bijouterie-Hersteller von Jablonec ist die schwarze Bijouterie. Eingeschwärzte Glassteine werden dabei auf Metallplättchen aufgebracht, der schwarz schimmernde Schmuckstein fand ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts für Trauerschmuck, Amulette und modische Accessoires, wie zum Beispiel Handtäschchen, Verwendung.
Die Bijouterieabteilung des Museums in Jablonec führt alle diese Kreationen den Besuchern eindrucksvoll vor. Besucher kommen aus allen Landesteilen Tschechiens und den Nachbarländern, aber auch manche Einheimische zieht es immer wieder hierhin, wie diesen Studenten:
„Ich komme aus Jablonec und war schon als Kind mehrmals in diesem Museum. Man hat uns immer wieder vom Glasexport aus Jablonec erzählt, wie gut wir waren, und so weiter und so fort.“
Lässt sich solches aber auch noch für die Gegenwart behaupten?
„Es gilt, was die Kunst angeht, aber nicht so sehr für die Industrie. Denn der hiesige Glas- und Bijouterieexport hat schwer mit der asiatischen Konkurrenz zu kämpfen.“
Die Zukunft der Branche ist also einigermaßen unsicher. Immerhin, etwa ein Fünftel der Bevölkerung von Jablonec und Umgebung lebt auch heute noch vom Glas und vor allem von der Bijouterie.
Fotos: Autorin