Kontroverse Diskussion über Vergangenheit - Uwe Tellkamp im Prager Goethe-Institut
Das Goethe-Institut Prag lädt im Rahmen der Lesereihe „West-Östlicher Diwan“ immer wieder Autoren aus verschiedenen Ländern ein. Diesmal war der deutsche Schriftsteller Uwe Tellkamp zu Gast. Mit seinem Roman „Der Turm“, löst er in Deutschland auch zwanzig Jahre nach dem Mauerfall heftige Diskussionen über die ehemalige DDR aus. Die Deutsche Demokratische Republik ist auch Jahre nach ihrem Zusammenbruch präsent. Es tauchen immer wieder Stasi-Akten von Prominenten und Politikern auf. Manch einer muss sich unangenehmen Fragen stellen und seine Vergangenheit zwangsweise Revue passieren lassen. Das Thema ist noch lange nicht vollständig aufgearbeitet. Wie der Wenderoman in Tschechien aufgefasst wird, hat Eva Schermutzki bei Lesung und Diskussion erlebt.
„Es geht um eine ganz bestimmte Schicht von Bürgern. Drei Hauptfiguren in den letzten sieben Jahren der DDR oder überhaupt des Sozialismus. Eine Welt von Menschen, die sich aus dem offiziellen System heraushalten oder herauszuhalten versuchen. Die Methoden dafür sind Hausmusik, Gespräche, Lektüre. Es ist eine Welt in der Nische.“
Soweit Autor Uwe Tellkamp. Der lang ersehnte Wende-Roman ist da. Ein Monumentalepos. Die erste geschichtsphilosophische Deutung der DDR. So titelten diverse Feuilletons in deutschen Zeitungen. Doch obwohl der Roman in Dresden spielt, hätte diese Geschichte auch in jeder anderen Stadt hinter dem Eisernen Vorhang spielen können, erläutert Uwe Tellkamp. Egal ob in Prag oder Bukarest. Die Menschen mussten sich überall dem kommunistischen Regime anpassen.
„Der Turm“, Untertitel: Geschichte aus einem versunkenen Land hat die Literaturszene in Aufregung versetzt. Versunken, wie die sagenhafte Insel Atlantis, ist die DDR wahrlich nicht. Aber der Schleier des Vergessens legt sich nur zu gerne über diese Jahre des geteilten Deutschland. Dabei ist das Thema DDR schon in vielen Büchern behandelt worden. Aber der Blickwinkel, den Uwe Tellkamp wählt, ist neu. Dieses Kapitel muss doch auch einmal abgeschlossen sein!, tönt es von allen Seiten. Aber die Vergangenheit zu verdrängen und eben nicht aufzuarbeiten, heißt oft, nicht aus alten Fehlern zu lernen. An diesem Abend im Prager Goethe-Institut ist die kommunistische Vergangenheit Deutschlands und Tschechiens auf jeden Fall sehr präsent. Es interessierten sich so viele Zuhörer für die Lesung, dass kurzfristig in einen größeren Raum ausgewichen werden muss.
Die Erzählung beginnt im Jahr 1982 in Dresden, kurz nach dem Tod Breschnews. Christian Hoffmann, einer der Hauptprotagonisten, ist gerade 17 Jahre alt. Er möchte Medizin studieren und wie sein Vater Richard Arzt werden. Richard Hoffmann, sein Vater, ein angesehener Chirurg, führt währenddessen ein Doppelleben, von dem seine Familie nichts ahnt. Meno Rohde, Christians Onkel, arbeitet als Lektor. Jeder für sich hat mit dem kommunistischen System zu kämpfen. In ihrem Zuhause, dem Villenviertel Weißer Hirsch, finden sie einen Ort des Rückzugs. Die Bewohner, genannt „Die Türmer“, haben sich hier eine märchenhaft anmutende Welt geschaffen. Es wird gemeinsam musiziert, gelesen, in Kunst und Kultur geschwelgt. Das Viertel ragt als Turm aus einem Land, das den Untergang schon vor Augen hat. Doch der schleichende Verfall des Landes interessiert die Türmer nicht. Sie verstecken sich vor den Zumutungen des Sozialismus, die Uwe Tellkamp hier schildert:
„Diese Zumutungen sind zum Beispiel, dass man im Alltag eine andere Meinung haben muss als zu Hause, um nicht anzuecken. Man muss Jungpionier sein, zur Freien Deutschen Jugend gehen, wenn man keine beruflichen Nachteile haben will. Man hat gewisse gesellschaftliche Verpflichtungen, wenn man aufs Gymnasium gehen will. Man musste sich als Junge länger zur Armee verpflichten, wenn man Medizin studieren will, und vieles mehr.“
Den Sozialismus mit all seinen Zumutungen kennt man auch hier in Prag gut. Bis 1993 war in Tschechien die Kommunistische Partei an der Macht. Die Tschechen können sich also nur allzu gut in die Protagonisten hinein versetzen.
Den ganzen Roman lang stehen die Protagonisten zwischen Widerstand und Anpassung. Soll man resignieren oder ist der Zeitpunkt zur Ausreise gekommen. In der Erzählung wird ein regelrechter Countdown dokumentiert. Die letzten sieben Jahre der DDR, die letzten Jahre die die Protagonisten noch in dieses System eingesperrt sind. Alle Figuren werden in einem Sog mitgerissen, der unaufhaltsam auf die Revolution 1989 zutreibt.
Uwe Tellkamp liest an diesem Abend im Prager Goethe-Institut zwei Kapitel aus „Der Turm“ vor. Es wird die Seite der schöngeistigen Familien im Villenviertel vorgestellt und das fiktive Gegenstück, die Nomenklatura. Ein Viertel, in dem die innerste Verwaltung des Systems sitzt. Schon diese wenigen Seiten aus dem Roman reichen, um die tschechischen und deutschen Zuhörer in Dikussionslaune zu versetzen. Ein Besucher bezweifelt, dass die DDR-Bewohner schon so früh mit dem Sozialismus abgeschlossen hätten, wie Tellkamp das in seinem Buch darstelle. Aber der Autor spricht hier aus eigener, natürlich subjektiver Erfahrung. Uwe Tellkamp, 1968 in Dresden geboren, erlebte Ähnliches wie seine Hauptfigur Christian. Nach dem Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee verliert er seinen Studienplatz für Medizin. Man hält ihn für „politisch unzuverlässig“. 1989 wird er im Zuge der Wende inhaftiert. Danach setzt er sein Studium fort. Nach seinem akademischen Abschluss arbeitet er als Unfallchirurg. Auf die Frage aus dem Publikum wieviel seines Romanes, denn nun wirklich autobiographisch zu verstehen sei, antwortet Uwe Tellkamp:
„Der gesamte Roman ist rein autobiographisch. Autobiographie ist alles. Autobiographie ist, was der Autor sieht und was er nicht sieht, was er für berichtenswert hält und was er weglässt, welche Gerüche geschildert werden, wie Dialoge geschnitten werden, das ist Autobiographie. Dort sehen sie den Autor an der Arbeit. Nicht unbedingt in den Figuren.“Auch in Tschechien findet der Roman großes Interesse. Hier kann man die Geschichte der DDR nachvollziehen. Bis 1993 war ein kommunistisches Regime an der Macht. Die Lebensumstände ähnelten sich. Auch hier in Tschechien waren bestimmte Konsumgüter nur schwer zu bekommen und die Kommunistische Partei schränkte das Leben seiner Bürger enorm ein. Deswegen soll „Der Turm“ auch als allererstes ins Tschechische übersetzt werden. Als erstes Land sicherte sich Tschechien die Lizenzen. Der Übersetzer Tomas Dimter erklärt, warum dieser Roman unbedingt hier erscheinen muss:
„Wir haben in Tschechien noch keinen Autor, der im Stande war oder ist, diese Ära des Sozialismus so plastisch beschreiben. Deshalb haben wir uns für Uwe Tellkamp entschieden. Das Buch ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem System, mit dem Staat, dem Kommunismus, der so genannten Demokratie. Wir können von tschechischen Autoren nicht erwarten, dass sie sowas schreiben. Und das Buch erinnert an das 19. Jahrhundert, an die Romane von Tschechov. Wir glauben, dass wir mit diesem Roman eine Diskussion zum tschechischen Stand der Dinge hervorrufen können.“
Und eine Diskussion über seine kommunistische Vergangenheit hat Tschechien dringend nötig.
„Wenn man deutsche Diskussionen verfolgt, dann weiß man, dass diese Epoche in Deutschland prinzipiell sehr gut aufgearbeitet worden ist. Bei uns nicht. Wir meinen immer noch, dass die Kommunisten gut sind und die Regierung mitgestalten können. Das ist doch Wahnsinn!“
Bis es den Turm auf tschechisch zu lesen gibt, hat Tomas Dimter noch einiges an Arbeit vor sich. Der Roman umfasst immerhin fast tausend Seiten.
„Ich werde sicher zwei Jahre daran arbeiten. Das Buch ist ziemlich schwierig zu übersetzen, aber es lohnt sich.“
„Der Turm“ wird nicht nur an diesem Abend kontrovers diskutiert. Das Leben im Zurückgezogenen ist eine zwiespältige Angelegenheit. Das Aufsuchen der Nische unterstützte das System DDR in einer gewissen Weise. Die intellektuelle Mittelschicht sah sich zwar vordergründig in der Opposition, aber das war nicht die ganze Wahrheit. Es wurde nicht über Politik gesprochen, die äußeren Umstände wurden in dieser Welt ausgeblendet. Aber sich nicht einzumischen und einfach nicht hinzusehen, kann schlimme Folgen haben. „Davon habe ich nichts gewusst“, diesen Satz hört man heute immer noch im Zusammenhang mit der Judenverfolgung unter Hitler. Doch wer die Unterdrückung und Maßregelungen damals nichts mitbekommen hat, der hätte laut Uwe Tellkamps Großvater „schon blind sein müssen.“
20 Jahre sind eine lange Zeit. Im ehemaligen Ostdeutschland hat sich viel verändert. Es wurde abgerissen und erneuert. Auch am Viertel „Weißer Hirsch“ ist die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen. Die märchenhafte Welt in der sich Christian bewegt, existiert so nicht mehr, sagt Uwe Tellkamp:
„Der Zauber ist weg. Es hat sich sehr, sehr viel verändert. Es wohnt kaum noch jemand von den Menschen da, die ich in meinerKindheit kennengelernt habe. Eigentumsverhältnisse haben sich geändert, man musste aus den Wohnungen ausziehen, die Mieten waren nicht mehr bezahlbar. Und der Zauber ist letzen Endes einer, den die Kunst liefert. Das Viertel hat für einen Außenstehenden keinen Zauber. Ich bekomme ja auch grade aus dem Viertel manchen Vorwurf zu hören. Die sagen: ´Was machst du eigentlich für Märchen daraus? Hier ist doch alles ganz normal!´ Für sie. Für mich eben nicht.“