Ein Jugendorchester überschreitet Grenzen – das „Junge Klangforum Mitte Europa“

Foto: www.ysce.eu

Deutschland, Polen und Tschechien - drei Nachbarländer, deren Vergangenheit miteinander verwoben ist. Und das nicht nur im guten Sinn: Im Zweiten Weltkrieg litten Polen und Tschechen massiv unter der deutschen Besatzung. Danach waren die drei Nationen jahrzehntelang durch den eisernen Vorhang getrennt. Wenn Deutsche, Polen und Tschechen heute aufeinander treffen, dann sind sie also nicht allein. Immer blickt ihnen auch die Geschichte über die Schulter - ob man will oder nicht. Seit fünf Jahren spielt ein junges Orchester gegen die Vorurteile zwischen den drei Nationen an: das „Junge Klangforum Mitte Europa“.

Junge Musiker aus Deutschland, Tschechien und Polen musizieren zusammen - und sie zeigen, dass aus Unterschieden auch Inspiration wachsen kann. Wer sind aber die Orchestermitglieder?

„Ich bin Clemens Schult. Ich bin Geiger und bei dieser Tournee zum ersten Mal Konzertmeister.“

„Mein Name ist Tomas, ich komme aus Polen. Zurzeit studiere ich in Österreich. Ich spiele Horn.“

„Mein Name ist Veronika Petrašová. Ich spiele Geige.“

„Ich heiße Natalia. Ich spiele Geige. Normalerweise studiere ich in Würzburg in Deutschland. Und ich habe auch in Katowice in Polen studiert, in meiner Heimat.“

Christoph Altstaedt, Dirigent des Orchesters, erklärt was genau das „Junge Klangforum Mitte Europa“ so besonders macht:

„Ich glaube, das Besondere an dem Orchester ist, dass hier drei Nationen zusammenkommen, die eine sehr schwierige gemeinsame Vergangenheit haben. Zwischen den Ländern herrschen immer noch Ressentiments in der Bevölkerung. Das geht bei so genannten Polen-Witzen los und reicht bis in die höchsten politischen Ebenen, wenn es zum Beispiel um ein Zentrum für Vertriebene geht.“

Der junge Dirigent Christoph Altstaedt sitzt mir in einem Prager Café gegenüber. Nach einer Woche Tournee mit dem „Jungen Klangforum Mitte Europa“ sieht der 29-Jährige müde aus. Doch wenn er von der Arbeit mit den jungen Musikern erzählt, strahlen seine Augen. Vor fünf Jahren wurde die Idee für dieses junge grenzübergreifende Orchester geboren. Altstaedt war Mitinitiator und begleitet das Projekt, das nur als Eintagsfliege gedacht war, seit Beginn:

„Es gab ein Vorgängerorchester, das war noch ein rein deutsches Orchester. Es bestand aus ehemaligen Mitgliedern des Bundesjugendorchesters. Und dann gab es ein Projekt gemeinsam mit Tschechen in Theresienstadt. Dafür hatte Richard von Weizsäcker die Schirmherrschaft übernommen. Von Weizsäcker war so angetan von dem Projekt, dass er vorgeschlagen hat, auch polnische Musiker zu integrieren. Damit wurden praktisch die östlichen Nachbarn Deutschlands, die durch den Eisernen Vorhang getrennt waren, wieder zusammengeführt. Diesen gedanklichen Anstoß haben wir dann umgesetzt, und seit 2004 besteht das „Junge Klangforum Mitte Europa“ in seiner jetzigen Form mit Deutschen, Tschechen und Polen“, so Altstaedt.

Die Jubliäumstournee zum fünfjährigen Bestehen des Klangforums führt das Orchester derzeit durch die drei Herkunftsländer der Musiker. In einer Woche von Polen über Tschechien nach Deutschland, das kann ganz schön schlauchen. Und mit 80 Leuten und ihren teilweise sehr sperrigen Instrumenten zu reisen, erfordert logistische Höchstleistungen. Da bleiben Pannen nicht aus. Christoph Altstaedt weiß von vergessenen Intrumenten zu berichten und von Musikern, die gerne mal verschlafen. Zu einem Konzert kam sogar das ganze Orchester zu spät, weil der Busfahrer den längsten Weg gewählt hatte.

Es wird unter anderem in Breslau, Prag und Berlin gespielt. Im Gepäck sind Stücke von Smetana, Mendelssohn-Bartholdy, Karlowicz und eine Uraufführung des jungen deutschen Komponisten Johannes Fischer. Auch musikalisch werden alle drei Länder bereist. Bei diesem Programm sollte wirklich für jeden Geschmack etwas dabei sein.

Teilnehmer für das Junge Klangforum zu gewinnen, ist nicht schwer. Die jungen Musiker kommen in Scharen. Dabei erhalten sie weder Gehalt noch Luxusunterkünfte, doch die internationale und musikalische Begegnung und Weiterentwicklung sind Lohn genug. Darin sind sich die Teilnehmer einig:

„Ich bin das erste Mal bei diesem Projekt dabei, und finde es sehr toll. Es ist eine sehr gute Erfahrung für mich in einem Orchester zu spielen. Denn eigentlich bin ich Jazz-Geiger und Komponist. Aber ich wollte auch ein bisschen klassische Erfahrung sammeln“, so ein polnisches Orchestermitglied.

„Ich finde den Dirigenten wirklich toll. Er ist sehr gut, ganz professionell und er macht sehr gute Arbeit mit uns. Es ist wirklich erstaunlich, wie viel wir in einer so kurzen Zeit erreichen“, findet eine Musikerin.

Und ein männlicher Kollege pflichtet ihr bei:

„Solche Projekte bringen tolle Erfahrungen für junge Leute, und ich finde es einfach ganz großartig, wenn sich Leute aus drei Ländern treffen und zusammen musizieren.“

Alles also begeisterte Stimmen. Gibt es denn zwischen den Musikern gar keine Streitigkeiten? Christoph Altstaedt dazu:

„Es entstehen eigentlich erstaunlich wenig Konflikte. Wenn es zu Auseinandersetzungen kommt, sind es rein musikalische Fragen. Es gibt eigentlich keine Konflikte im politischen Sinne oder im Sinn von nationalistischen Gefühlen“, erzählt der Dirigent.

Die jungen Musiker gehören eben zu einer Generation, die schon erheblich weniger geschichtlichen Ballast mit sich herumschleppt als die Älteren. Diskutiert wird in einem babylonischen Sprachengewirr. Die Proben werden auf Englisch abgehalten und untereinander werden sprachliche Kompromisse gefunden. Es bilden sich Freundschaften und jeder schaut ein kleines Stück über seinen ganz persönlichen Tellerrand. Doch eines erstaunt auch Christoph Altstaedt immer noch:

„Im Endeffekt kriegen wir immer als Feedback, dass alle drei Nationen auseinandergehen und erstaunt sind, wie sie das andere Land wahrgenommen haben. Selbst wenn man also keine negativen Voreinstellungen und Vorurteile hat, ist das Bild der Deutschen bei den Polen doch ein ganz anderes, als es sich dann entpuppt, wenn sie in Berlin sind. Und genauso ist es auch andersrum: Wenn die Deutschen in Polen sind und sehen, wie großartig die Natur in Schlesien ist und welche tollen Städte es da gibt, ist das Erstaunen auch oft groß. Das Verständnis füreinander wird also maßgeblich durch solche Projekte oder solche Touren gefördert.“

Im September ist schon das nächste Projekt des „Jungen Klangforums Mitte Europa“ geplant. Christoph Altstaedt übernimmt auch hier wieder die Leitung und Koordination. Sicher werden Musiker und Publikum erneut von dem Ergebnis begeistert sein.


Informationen zu dem Orchester bietet die Internetseite des „Jungen Klangforums Mitte Europa“: www.ysce.eu

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